"Gardening Leave": Formel-1-Teams streben kürzere Sperrzeiten an
(Motorsport-Total.com) - Im Formel-1-Fahrerlager gibt es einen Witz, und der geht so: "Noch nie waren die Gärten in England so gut gepflegt wie jetzt!" Das ist als Anspielung auf die vielen Arbeiternehmer zu verstehen, die sich derzeit in bezahlter Freistellung befinden, ehe sie den Arbeitgeber wechseln und sich einem anderen Formel-1-Team anschließen. Im Englischen nennt man das "Gardening Leave", also sozusagen "Gartenpause".
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Spezielle Gärtnerarbeiten in England: Ein Formel-1-Auto und Mechaniker aus Büschen Zoom Download
Der Hintergrund dieser Maßnahme liegt auf der Hand: Lieber bezahlt ein Team einen Mitarbeiter eine Zeit lang fürs Nichtstun, statt dass dieser Mitarbeiter direkt zur Konkurrenz geht und dort aktuelle Informationen preisgibt. Lässt man den Mitarbeiter aber ein halbes Jahr oder länger außen vor bei der Entwicklung, hält sich der Wissenstransfer in Grenzen. Doch jetzt scheint dieses System sein Limit erreicht zu haben.
Wie it.motorsport.com als Schwesterplattform von Motorsport-Total.com, Formel1.de und de.motorsport.com im Motorsport Network berichtet, erwägen die Formel-1-Teams eine Kürzung der branchenüblichen Sperrzeiten, um Transfers von Angestellten zwischen Rennställen zu vereinfachen und früher Zugriff auf die neuen Mitarbeiter zu haben.
Denn derzeit ist das Problem der vielen Sperrzeiten größer denn je. Ein Insider witzelt sogar: "Wenn wir alle zusammenholen, die gerade 'Gardening Leave' haben, dann kriegen wir damit ein elftes Team aufgestellt!"
Acht von zehn Formel-1-Renställen habe neue TeamchefsDas hat nicht zuletzt mit den vielen Umwälzungen an der Spitze der Formel-1-Teams zu tun: In den zurückliegenden zweieinhalb Jahren haben acht von zehn Rennställen neue Teamchefs erhalten, nur Christian Horner (Red Bull) und Toto Wolff (Mercedes) haben ihre Ämter behalten. Und meist gehen die neuen Verantwortlichen direkt für ihre neuen Teams auf Personalsuche, mit Folgen für Gärten in England, wo das meiste Formel-1-Personal herstammt.
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Folgen hat das aber auch für die internen Planungen der Teams. Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur etwa hat bereits im vergangenen Winter beklagt: "Wenn du heute einen neuen Mitarbeiter holst, weißt du, es dauert zwölf Monate, ehe er wirklich bei dir anfangen kann. Erst dann kann er seinen Beitrag leisten, und dieser Beitrag wird erst im darauffolgenden Jahr sichtbar."
Im Prinzip müsse man bei einem neuen Mitarbeiter also rechnen: Vom Zeitpunkt der Einstellung bis zu wirklich sichtbaren Ergebnissen vergehen locker "zwei bis drei Jahre", meint Vasseur. Und so sehen das auch andere Verantwortliche in der Formel 1, weshalb nun ein Umdenken einzusetzen scheint.
Kritik an der aktuellen Sperrzeiten-RegelungVasseur und Co. stellen dabei bezahlte Freistellungen generell in Frage, weil die technischen Voraussetzungen inzwischen ganz andere sind als noch vor einigen Jahren. Wer etwa soll überprüfen, ob ein freigestellter Mitarbeiter wirklich im Garten an den Rosen zupft oder virtuell schon in Kontakt steht zu seinem neuen Arbeitgeber? Vor Ort sein im Werk muss ein Ingenieur heute schließlich nicht mehr zwingend.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der schleichende Wissenstransfer, der sich aus langen Sperrzeiten ergibt: Früher konnten sich Mitarbeiter besser von A nach B bewegen und somit auch aktuelle Informationen mitnehmen. Das wiederum hatte mehr Dynamik im Feld zur Folge, weil sich Ideen rascher verbreiteten. Durch Sperrzeiten von mitunter einem Jahr gibt es dergleichen nur noch stark eingeschränkt.
Doch wohin solche Überlegungen führten könnten, das ist noch nicht absehbar. Ebenso wenig, ob sich die Teams überhaupt auf eine veränderte Vorgehensweise einigen können. Aber das Thema brennt vielen Teamchefs unter den Nägeln: Sie alle sind angehalten, möglichst rasch Ergebnisse vorzulegen - und Investitionen in neue Mitarbeiter sollen sich ebenso schnell rechnen. Eine Zwickmühle unter den aktuellen Spielregeln.
Eine prominente Ausnahme aber gibt es: Adrian Newey darf Red Bull am Jahresende ohne Künstlerpause im heimischen Garten verlassen. Das aber ist eine Ausnahme, nicht die Regel - vor allem nicht für einen leitenden Angestellten seines Kalibers.