Dresdner Tatort: Unter Feuer mit Cornelia Gröschel und Martin ...
Zwei kleine Szenen des aktuellen „Tatorts“ seien herausgegriffen, beiläufig im Hinblick auf die Falldynamik, aber doch ganze Beziehungsdramen erzählend. Einmal trifft der junge Staatsanwalt Klasen (Timur Isik) am Morgen im noch leeren Kommissariat auf dessen Leiter Schnabel (Martin Brambach), der eine Tüte mit klappernden Bierflaschen aus dem Büro trägt; „alkoholfrei“, brummelt er kleinlaut. Vermutlich gelogen. Klasen wiederum wollte der von ihm sehr gemochten Kommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) unter der Hand eine geheime Information zustecken, was Schnabel wiederum ahnt, der hier wie ein Vater wirkt, der einen ihn beängstigenden, weil zu perfekten Schwiegersohn abbügelt. Entgegen seiner markigen Sprüche – „Familie, Gorniak, das ist der Horror; seien Sie froh, dass Sie keine mehr haben“ – ist der Chef der Mordkommission nämlich im Herzen einsam. „Es ist privat“, gibt Klasen vor und damit irgendwie auch die Wahrheit zu. Großartig ausgespielt ist dieses gewitzte Duell, in dem das Unausgesprochene durchweg in der Mimik der Figuren lesbar bleibt, während die Unterhaltung in einem Patt endet.
Die andere Szene ist eine scheiternde Aussprache zwischen Winkler und ihrem dominanten, mit Schnabel befreundeten Polizistenvater (Uwe Preuss) über das seit Winklers Einstiegsfolge „Das Nest“ (2019) zwischen ihnen stehende Thema: den Tod von Leonies Bruder, auch er Polizist, erschossen bei einer Razzia. Leo hielt ihn noch am Tatort in den Armen. Vater Winkler, Scheit um Scheit Brennholz hackend, weigert sich heute wie damals, anzuerkennen, dass sein Sohn Probleme hatte. Der Dienstgruppenleiter habe ihm das Gegenteil versichert. Auch hier ist der Subtext weit größer als das Gesagte, denn in dieser Szene kollidieren nicht nur Geschlechterbilder (Otto Winkler traut allein Männern zu, gute Polizisten zu sein), sondern auf ruhige, bezwingende Weise werden all die familiären Verletzungen wachgerufen, die in den Episoden des Dresdner „Tatorts“ immer wieder angedeutet worden sind. Genau in diesem Moment aber hat der Alte ein zu großes Stück Holz auf den Hackklotz gewuchtet, die Axt steckt fest. Klar wird: In dieser Folge wird etwas kippen.
Private Verwicklung der Kommissarin wirkt nicht aufgesetzt
Nichts an diesen sprechenden Szenen wirkt konzeptuell. Ähnlich intensiv, stimmungsvoll und perfekt getimt sind so gut wie alle Begegnungen in dieser trotz einiger Action sehr dialogischen und klug verschachtelten Episode aus der Feder von Christoph Busche, die Regisseur Jano Ben Chaabane („Kleo“) und Kameramann Tobias von dem Borne konsequent mit einem milchigen Gegenlichtschleier überzogen haben. Diese Eintrübung durch Helligkeit sorgt dafür, dass die Kontraste zurückgenommen sind, was sehr gut zu dem Umstand passt, dass die zu Beginn scheinbar klar verteilten Täter-Opfer-Rollen – ein offen gezeigter Angreifer schießt bei einer Verkehrskontrolle im sächsischen Nirgendwo auf zwei Streifenpolizisten – bald Zwischenstufen Platz machen. Ähnlich korrespondiert die Regieidee, die Tonspur dem Bild vorlaufen zu lassen, der Bedeutung von Ahnungen auf der Handlungsebene. Früh, sogar ein wenig früher als Kollegin Karin Gorniak (Karin Hanczewski), die überhaupt etwas zurücktritt, erfahren wir, dass Leonie Winkler diesmal direkt involviert ist, und das nicht nur, weil die Opfer ebenjener Wache von Revierleiter Jens Riebold (Andreas Lust) entstammen, auf der ihr Bruder einst Dienst tat.
Trailer„Tatort: Unter Feuer“
Anders als in vielen anderen Fällen wirkt die private Verwicklung der Kommissarin hier nicht aufgesetzt, weil die Figur konsistent bleibt und diese Eskalation lange vorbereitet worden ist. Und weil Cornelia Gröschel die Rolle der sich von jovial autoritären Männern emanzipierenden Kommissarin so hervorragend spielt, nämlich nicht auftrumpfend, sondern innerlich wund. Auch Brambach bringt die bedrückende Komik seiner cholerischen Figur hervorragend zum Ausdruck: Der männerbündische Schnabel scheint gar nicht zu merken, wie abschätzig seine Parteinahme für Leo gegenüber dem Vater ist, wenn er sie zwar en passant eine „gute Polizistin“ nennt (das eine Reminiszenz an die Auftaktfolge), aber dann sagt: „Was noch viel wichtiger ist: Die lebt, die hast du noch.“
Während ein Suchtrupp unter Schnabels und Gorniaks Kommando nach dem flüchtigen Polizistenmörder fahndet und auf eine nie aufgeklärte Einbruchserie stößt, folgt Leo privaten Spuren und ihrem Instinkt, muss dabei ihr Trauma noch einmal durchleben. Jedes Detail der dichten Narration ist wichtig für das Gesamtbild, zumal es nach einer Stunde zu einem Präfinale kommt, nach dem mehr Fragen offen als beantwortet sind. Nicht unbedingt nötig war das ausgiebige Aufgreifen eines bereits in „Das Nest“ überstrapazierten Dingsymbols: Die ganze Familie Winkler nutzt Zippo-Benzinfeuerzeuge; Leo lässt bei Nervosität gerne eines auf- und zuschnappen. Dass sie nun just im Zippo-Feuerzeug des Bruders, das ihr nach Jahren in die Hände fällt, einen Hinweis auf seinen einstigen Seelenzustand findet, wirkt konstruiert. Aber schon die nächste Szene, die am Hackklotz, reißt es wieder raus.
Überzeugend sind die inszenatorischen Motive über lange Bögen hinweg, etwa die Blicke durch spiegelnde oder beschlagene Scheiben hindurch. Hierarchien des Versteckens und des Ausgeliefertseins werden damit angedeutet. Der zu Beginn der Folge einsetzende Regen, der die Spuren des Täters verwischt, wird aufgegriffen durch Wassertropfen, die in der (wegen eines Wasserschadens bezogenen) provisorischen Dienststelle des Riebold-Reviers, einer stillgelegten Kirche, von der hohen Decke fallen. Und dass Leo nun endgültig Männern wie ihrem Vater oder dem erschöpften Schnabel („Wenn jeder, der ein bissel erschöpft ist, einfach Urlaub macht“) entwachsen ist, das macht ganz am Ende eine spiegelbildliche Holzhackszene deutlich: Nun steht Leo am Klotz. Der Vater bleibt allein im Haus (respektive Nest) zurück, und wie die Blicke der beiden sich durch die Scheibe hindurch kreuzen, wird deutlich, dass auch Otto Winkler verstanden hat, dass es auf seine Weltanschauung nicht mehr ankommt. Ein starkes Schlussbild einer starken „Tatort“-Episode.
Der Tatort: Unter Feuer läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.