„Tatort“ aus Dortmund: Das Leben gehört den Lebenden

„Du bleibst hier, versprochen“: Das waren die letzten Worte der Kommissarin Martina Bönischs (Anna Schudt), als sie im vergangenen Jahr in der „Tatort“-Folge „Liebe mich!“ in den Armen ihres Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) starb. Von der Erstbesetzung dieses WDR-„Tatorts“ ist nun nur noch er übrig. Faber ist eine gequälte Seele, von einem Erzfeind verfolgt, ein angeschlagener Kommissar, der sich schließlich psychisch und emotional erholte und zu lieben bereit war, gerade dann, als ein Stalker Martina Bönisch zu Tode brachte.

Faber, eindrucksvoll gespielt von Hartmann, der mit Jürgen Werner dieses Mal auch das Drehbuch geschrieben hat, wandelte sich – von erratisch und unberechenbar, immer am Rand des Suizids, zu zugänglich, liebenswert fast. Was die Liebe alles vermag. Neben all den harten Fällen, die aus Dortmund kamen, stand zuletzt fast ein Happy End. Doch bekam dies eine brutale Wendung.

Erzählt um die Lerstelle herum

Nun, im 22. Fall von Faber, ist Bönisch tot. „Du bleibst hier“ erzählt um die Leerstelle herum, die der Tod der Kommissarin bei allen zentralen Figuren, auch bei den Polizisten Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und Jan Pawlak (Rick Okon), hinterlässt und konzentriert sich in tristen und nostalgischen Bildern auf die Probleme der Hinterbliebenen. Dieser „Tatort“ ist atmosphärisch und dramatisch verdichtete Trauerarbeit, kein Kriminalfilm, der die Tätersuche in den Mittelpunkt stellt.

Der erste Todesfall in „Du bleibst hier“, stimmig in Szene gesetzt von Richard Huber, dicht kadriert von Hendrik A. Kley, ist ein möglicher Mord ohne Leiche. Ein Immobilienhai ist verschwunden. Zwei Liter Blut am Tatort machen das Überleben unwahrscheinlich. Verdächtige gibt es im halben Dutzend. Da ist die Mieterin im Kreuzviertel, die nach Jahrzehnten wegen der Luxussanierung aus ihrer Wohnung weichen soll. Die verlassene Ehefrau spielt eine Rolle, die unter prekären Umständen den schwerbehinderten Sohn versorgt, denn ein Geizkragen war der Verschwundene dazu. Verdächtig sind alle, die im Westviertel bei Sekt, Kuchen und Dauerwelle im Friseursalon von Martin Engel (Andreas Schröders) unter Trockenhauben von anno dazumal sitzen, lustige Witwen spielen und sich den Veränderungen verweigern. Unter den Verdächtigen ist auch Jupp (Wolfgang Rüter), der in seiner Wohnung Schallplatten hört, jeden Tag auf „lecker Essen“ wartet und der im Westpark von jugendlichen Drogendealern überfallen wurde. Ein zweiter Mann ist wohl verschwunden, vor einem halben Jahr: der Dealer, dessen Ecstasy für den Schlaganfall verantwortlich ist, der den Sohn des ersten Verschwundenen zum Pflegefall machte.

Trailer : „Tatort: Du bleibst hier“

Video: ARD, Bild: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas

Herzog und Pawlak ermitteln, während der krankgeschriebene Faber in seinem Manta wohnt und seinen Waldschratbart wachsen lässt. Alle drei sind angeschlagen. Herzogs RAF-Mutter ist untergetaucht, das LKA sucht sie, Pawlaks drogenabhängige Frau ist im Gefängnis, seine Tochter leidet. Faber erkennt in Jupp seinen seit Jahren gemiedenen Vater.

„Nicht sentimental werden“, gibt Bönischs Erscheinung Faber in einer stillen Kirchenszene weniger mahnend als belustigt mit auf den Weg. Das Leben gehört den Lebenden, und in diesem Dortmund heißt das, dass sich die Kommissare die Trauer als trinkende und tanzende Feierbiester gemeinsam aus den Kleidern schütteln. Die Aufklärung der beiden Fälle ohne Leiche ist Nebensache. Wichtiger sind die Lebenden, zum Beispiel Fabers Vater Jupp und dessen Demenz. Unter der Erde, im ausgedehnten Stollensystem unter dem Westpark, wird der Vater-Sohn-Konflikt in Bilder gegossen. Zwei Männer schälen sich aus dem Dunkel, ihre Gesichter nehmen Konturen an und werden beleuchtet, sie führen ein seit Jahren überfälliges Gespräch.

Wie kürzlich im Berliner „Tatort“ ist es die Vergangenheit, sind es Beziehungen aus der Jugend, die die Trauerarbeit in Fluss bringen. „Du bleibst hier“ widmet sich dem Übergang und – unkitschig – der Liebe über den Tod hinaus. Für Zuschauer, die vom „Tatort“ Verbrechen und deren Aufdeckung erwarten, gibt es zum Schluss eine Lösung, die mehr Melancholie als Genugtuung in sich hat. Folgerichtig wäre gewesen, den Krimi-Rest auch noch in der Schwebe zu behalten. Aber so weit wollte man mit „Du bleibst hier“ offensichtlich dann doch nicht gehen.

Der Tatort: Du bleibst hier läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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