Tatort. Deine Mutter aus Wien in der ARD
Gerade noch umjubelt beim Auftritt im Wiener Hip-Hop-Club, jetzt erschlagen in einer Tiefgarage: Der erste Tote der neuen „Tatort“-Saison heißt Theodor Sänftner aka Ted Candy (Aleksandar Simonovski aka „Yugo“). Er war ein erfolgreicher Rapper und hatte 250.000 Follower auf Social Media. Was man, verglichen mit den Stars der Szene, nicht viel finden mag. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) aber ist beeindruckt. Er habe 29 Hatscher (österreichisch für Hinterherschleppen) und finde das schon viel.
Protzen, Sexismus, Gangsterspiele
Überhaupt bemüht er sich, vorläufig ahnungslos, um Verständnis für diese Musikszene, die seit den Neunzigern ein milliardenschweres Geschäft unterhält. Noch scheinen ihm die Codes absurd. Das Protzen, der Sexismus, Gangsterspielen, Homophobie, die Inszenierung von Auseinandersetzungen als „Beef“, er findet es so altmodisch, auch ermüdend. Beschäftigen sich die Jungen nicht mit Klimawandel und Diversität? Eisner, dessen Protestsongerfahrung bei Bob Dylan aufhört, der von Eminem oder von Tupac Shakur und Notorious B.I.G. aber schon gehört hat und sein Wissen gern an Bibi Fellner (Adele Neuhauser) weitergibt, tut sich schwer. Fellner ist offen. Wo es ums große Geld geht, gilt immer „Cui bono?“, und die Musik findet sie gar nicht schlecht.
„Deine Mutter“, der „Tatort“-Auftakt nach der Sommerpause, könnte ein weiterer Versuch der Jugend-Anbiederung der Abteilung Aktuelles und Relevanz der Öffentlich-Rechtlichen sein. Ist aber nicht so. Da seien die Wiener vor, das gute Drehbuch von Franziska Pflaum und Samuel Deisenberger, die die Fiktion der „Authentizität“ der Rapper entlarvende Kamera von Sebastian Thaler und, vor allem, die Inszenierung der ehemaligen Musikjournalistin und Indieradio-Mitgründerin Mirjam Unger. Vor allem ist hier nicht alles eine Rap-Soße, es treten auf Gangsta-Rapper, wie sie in der Steinzeit des Hip Hop, also bis etwa 2010, en vogue waren; es geht um massentauglichen Mainstream-Rap und nicht zuletzt um das Ungeschliffene in der Text-Realität von Künstlern mit Migrationserfahrung.
Das hat schon den Punk gekillt
Das Subthema, und das, was diesen „Tatort“ neben dem gewohnt souveränen Auftritt von Krassnitzer und Fellner sehenswert macht, ist das Doppelbödige. Die Vermarktung von Authentizität, die schon den Punk gekillt hat, Musiker in die Unaufrichtigkeit treibt und woran nicht wenige zerbrechen. Unger schaut nicht von oben auf die Wiener Rap-Szene, sondern lässt die Protagonisten selbst zu Wort kommen (und rappen). Aleksandar Simonovski aka „Yugo“, der tote „Ted Candy“, ist auch Berater dieses „Tatorts“. Es treten auf Kiara Hollatko aka KeKe und Francis Ayozieuwa aka Frayo 47, die schauspielerisch eine gute Figur machen. Von den Wiener Produzenten „Lametta“ stammen die Tracks, die Musik ist ansonsten von Sebastian Watzinger. Ted Candys Gegenspieler, der Label-Besitzer Aman Onur aka Akman 47, gespielt vom Schauspieler Murat Seven, macht auch als „Haftbefehl“-Rap-Nachfolger etwas her.
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„Deine Mutter“ wird da interessant, wo die Bruchlinien zwischen Hip-Hop-Persönlichkeitsinszenierung und privater Existenz in den Blick kommen. Ted Candy war ein dauernd zugedröhntes Mamasöhnchen, dessen Mutter (Edita Malovcic) eine Vergangenheit hat, die vermutlich nicht zu den Szeneklischees passt. Genauso wenig wie ein anderes wichtiges Detail aus Theodor Sänftners bürgerlichem Leben. Akman 47 stellt zu Hause, in der noblen Villa, die Pantoffeln unter den Tisch, tut ein bisschen gefährlich und sorgt sich um seine selbstbewusste, hochschwangere Lebensgefährtin Sarah (Salka Weber).
Den größten Reibach machen die Hintermänner des Rap-Geschäfts: Hary Prinz hat als Igor Slavin, alter Bekannter aus Fellners Zeit bei der Sitte, einen hübschen Kurzauftritt als Orchideenzüchter im grotesk wirkenden Hip-Hop-Outfit; Roland Koch spielt den Musikmanager eines Großlabels als Kaffeeexpertisen-Angeber. „Deine Mutter“ punktet auch als Erkundungsreise in die Wiener Rap-Kultur. Visueller Höhepunkt ist ein imaginiertes Musikvideo, in dem Fellner Ted Candys Rolle einnimmt, Polizei und Rapper auf einer Brücke ein „Battle“ inszenieren und sich musikalisch bekriegen (laut Unger inspiriert vom Video „Sabotage“ der Beastie Boys, was beim Nachprüfen eher seltsam wirkt).
Das Musikvideo war bloß eine Traumerscheinung Fellners, aber eine, die das Gespür für Ironie im Wiener „Tatort“ zeigt. Auch Fans von Hardcore-Ermittlungsarbeit werden nicht enttäuscht. Auch wenn zum Schluss die Frage nach dem Täter eher nebensächlich wird.
Der Tatort: Deine Mutter läuft an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.