Ein altes Format über Zeitgeistiges zu stülpen, ist gewagt. Im ersten Wiener „Tatort“ der Saison, „Deine Mutter“, gelang es authentisch.
Vielleicht ist es der Heimvorteil. Oder aber der wohldosierte Wiener Schmäh, der Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) freilich alt, aber nie altbacken aussehen lässt. Nicht einmal dann, wenn sie im jungen Rap-Milieu ermitteln: Ted Candy, in Wahrheit Aleksandar Simonovski vulgo Yugo, tritt im Pillow Club auf, in Wahrheit das Flex. Ein bisserl Koks später ist er tot. Nicht aber wegen des Koks. Oder irgendwie schon. Der Schlag auf den Hinterkopf wäre nicht tödlich gewesen, hätte sich nicht wegen der vielen Drogen ein Hirnaneurysma gebildet, das da geplatzt ist.
Aufgefunden wird er direkt vor dem Studio seines ehemaligen Produzenten, mittlerweile Erzfeinds, Akman 47 (Murat Seven), dessen Figur offensichtlich Bushido nachkommt. Die beiden ließen sich gern öffentlichkeitswirksam Hassbotschaften ausrichten, sie haben „Beef“, so heißt das in der Szene. Die Leiche des anderen vor dem eigenen Arbeitsplatz liegen zu lassen, würde nicht von Raffiniertheit zeugen. Wäre auch zu einfach.
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser). Foto lernen so einiges dazu bei diesem Fall. ORF/Petro Domenigg
Nein, dieser „Tatort“ (der übrigens der erste nach der Sommerpause war) führt mehrere Verdächtige ins Spiel: die heimliche Affäre des toten Rappers, der „schöne Ferl“ (Tobias Resch), den neuen Schützling des Produzenten, Bashir Ahmadi (Francis Ayozieuwa vulgo Frayo 47), die Mutter (Edita Malovčić). Irgendwann führen alle Hinweise zum großen Strippenzieher, Igor Salvin, um dann doch wieder beim kleinsten Rapper zu münden, und dessen Freundin Dalia (Kiara Hollatko aka Keke).
Echte Rapper, Heilige und HurenNeben Beziehungen wird auch das Genre analysiert: sexistische Texte, aufgeblasene Muskelkasperln, meint Eisner. Nickt dann im Auto mit Zigarette zum Beat. Homophobie und Frauenhass innerhalb der Szene werden nur angerissen, aber pointiert (Eisner: Man kenne dort offensichtlich nur zwei Kategorien von Frauen: Heilige und Huren, „schon richtige Spießer“). Dass Mirjam Unger als ehemalige Musikjournalistin für die Regie verantwortlich war und die Figuren teils mit realen Musikern (allesamt beachtlich gespielt) besetzt wurden, hat dem Krimi gutgetan. Das Unterfangen, junge Lebensrealitäten in altbewährter Form abzuhandeln, läuft ja schnell Gefahr, blamabel zu werden. Ist hier nicht passiert. Einzig das Geschlechterverhältnis hätte wirklichkeitsgetreuer sein können: Wiens Szene besticht eigentlich mit einem recht großen Rapperinnenanteil.
Die Wiener „Tatort“-Folge läuft am 15. September um 20.15 Uhr in ORF2/ARD.