Der Verdächtige von Magdeburg ist in U-Haft: Was trieb Taleb A. an?

5 Stunden vor
Taleb

Fünf Menschen starben, vier Frauen und ein Bub. Gegen den Taleb A., einen Saudi, der sich gegen den Islam gewendet hat, wird ermittelt. Motiv könnte Unzufriedenheit mit Umgang von Flüchtlingen gewesen sein.

Am Freitagabend fuhr ein schwarzer BMW in der Magdeburger Innenstadt in die Menschenmenge auf dem dortigen Weihnachtsmarkt. Der saudische Arzt Taleb A. kommt als Tatverdächtiger nun in Untersuchungshaft, wegen fünffachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung. Die bisherigen Todesopfer: vier Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren sowie ein neunjähriger Bub. Weitere 200 Menschen wurden verletzt. Viele von ihnen erlitten schwere und schwerste Verletzungen, deswegen könnte die Zahl der Todesopfer weiter steigen.

Was Taleb A. trieb, ist weiter Gegenstand von Spekulationen. Deutsche Medien berichten über seine „wirre Welt“, denn was hier bekannt ist, ist jedenfalls widersprüchlich. So bezeichnete er sich etwa politisch als links, präsentierte sich aber als Fan der AfD und von Elon Musk. Taleb A. arbeitete als Arzt in einer psychiatrischen Fachklinik in Bern­burg, eine halbe Autostunde südlich des Tatorts.

Er war jedenfalls auffällig. Die Behörden kannten ihn aber nicht als Extremisten, sondern eher als scharfen Kritiker bzw. Querulanten. Immer wieder gab es Probleme mit der Justiz. Und auch Ärger mit Menschen und Behörden, denen er oft wirre Vorwürfe machte. Taleb A. tauchte schon vor Jahren in der Öffentlichkeit auf: 2019 interviewte ihn beispielsweise die deutsche FAZ, auch die britische BBC berichtete über ihn. Er präsentierte sich als Fluchthelfer, der vor allem saudische Frauen unterstützte, das streng muslimische Land zu verlassen.

Er habe sich vom Islam abgewandt, sagte er damals. 2006 kam er nach Deutschland, zehn Jahre später bekam er einen dauerhaften Aufenthaltsstatus: „Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte“, sagte er im Gespräch mit der FAZ. Es gebe „keinen guten Islam“. Deutschland würde Europa islamisieren wollen, verbreitete er etwa in sozialen Medien, und gegen saudische Ex-Muslime vorgehen. Angeklagt ist er aber eines Verbrechens, das typischerweise von radikalen Islamisten begangen wird.

Kein Hinweis auf islamistischen Anschlag

Der Leitende Oberstaatsanwalt hatte am Samstag gesagt, das Motiv von A. könnte Unzufriedenheit über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland gewesen sein. Dass er verwirrt war, deutet jedenfalls eine Episode aus Berlin an. Dort hatte er am Tag vor den Morden einen Gerichtstermin, zu dem er nicht erschien. Gegen ihn war eine Strafe verhängt worden, weil er den Notruf der Feuerwehr missbraucht habe. A. soll öfter angerufen und „rechtliche Beratung“ eingefordert haben. Im vergangenen Jahr prüfte das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt den verhaltensauffälligen Saudi. Das Ergebnis: Von ihm gehe „keine konkrete Gefahr“ aus.

BKA-Chef Holger Münch sagte im ZDF-„heute journal“, es gebe – anders als bei ähnlichen Taten in der Vergangenheit – keinen Hinweis auf einen islamistisch motivierten Anschlag. Auch der Generalbundesanwalt sage noch nicht eindeutig, wie der Sachverhalt einzuordnen sei. Der Tatverdächtige habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt, sagte der Chef des Bundeskriminalamts. Es sei aber noch nicht abschließend möglich zu sagen, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei.

Diskutiert wird nun wie häufig in solchen Fällen die Frage, ob die Sicherheitsbehörden nicht früher hätten handeln können oder müssen. Der Terrorismusexperte Peter Neumann sagte im ZDF, der Tatverdächtige habe nicht in ein bestimmtes Raster gepasst. „Er war eben kein typischer Islamist. Er war ein Saudi, der sich gegen den Islam gewendet hat. Das passt für Behörden nicht so richtig in die gängigen Schema rein.“ Zudem habe man heute eine Flut von Informationen von Tausenden von Leuten, die im Internet ähnliche Botschaften sendeten. „Und es ist ganz, ganz schwierig zu unterscheiden: Wer meint es ernst, und wer ist nur auf dem Internet und macht Sprüche?“

Debatte über Sicherheitskonzept

Der mutmaßliche Täter soll mit seinem Wagen über einen Flucht- und Rettungsweg auf den Weihnachtsmarkt gelangt sein. Diskutiert wurde danach, ob der Markt ausreichend geschützt war. Ronni Krug, Beigeordneter für Personal, Bürgerservice und Ordnung der Stadt, sagte dazu: Das Sicherheitskonzept für den Markt sei „nach bestem Wissen und Gewissen“ erstellt und zuletzt im November verschärft worden.

Der Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler äußerte in den ARD-„Tagesthemen“ hingegen Zweifel am Magdeburger Sicherheitskonzept. Es sei seit Jahren bekannt, dass Fahrzeuge und Menschenansammlungen eine sehr gefährliche Kombination darstellten. Es sei daher „schwer zu erklären, wieso es einem Fahrzeug gelungen ist, auf einen Weihnachtsmarkt in Deutschland zu gelangen“, sagte er.

Gedenken und Hilfe für Opfer

Die Tat löste auch international Entsetzen aus. Mehrere Staats- und Regierungschefs drückten ihr Mitgefühl aus. In Magdeburg selbst kamen am Abend Hunderte zu einem Trauergottesdienst zusammen. Die Andacht im Dom der Landeshauptstadt war vor allem für Angehörige von Opfern, Rettungskräfte sowie andere geladene Gäste gedacht. Vor der Kirche verfolgten Menschen den Gottesdienst vor einer Leinwand.

In das Gedenken in der Magdeburger Innenstadt mischten sich am Samstagabend aber auch rechte Parolen. Mehr als 2.000 Teilnehmer versammelten sich nach Angaben der Polizei auf einem zentralen Platz, vereinzelt kam es zu kleineren Störungen mit körperlichen Auseinandersetzungen. Mehrere Strafverfahren wurden eingeleitet.

Neben der juristischen Aufarbeitung steht die Betreuung der Opfer und schockierten Augenzeugen im Fokus. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober, rechnet mit mehreren Hundert Hilfsbedürftigen. „Das ist einer der größten Anschläge, die wir bisher zu verzeichnen hatten“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wenn man Tatzeugen und Ersthelfer mitrechnet, potenziert sich das auf eine hohe dreistellige Zahl betroffener Menschen.“ Das Erlebte könne große psychische Belastungen bedeuten.

Vorkehrungen in Österreich „intensiviert“

In Österreich werden ebenfalls Sicherheitsvorkehrungen bei Weihnachtsmärkten verschärft. So teilte die Stadt Linz am Samstag in einer Aussendung mit, die Besucher der Standl am Hauptplatz, am Volksgarten sowie des Marktes vor dem Neuen Dom durch „technische Sicherungsmaßnahmen“ zu schützen. Von der Wiener Polizei hieß es, die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen würden „auf hohem Niveau intensiviert“. Ähnlich äußerte sich das Innenministerium. (red./APA)

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