Syrien: Aleppo nicht mehr unter Kontrolle der Regierung
Nach dem Vorrücken jihadistischer Gruppierungen in Nordsyrien hat die syrische Regierung laut Aktivisten die Kontrolle über Aleppo verloren. Zudem habe es weiterer russische Luftangriffe auf Rebellenstellungen gegeben.
"Erstmals seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 ist die Stadt Aleppo nicht mehr unter der Kontrolle der syrischen Regimekräfte", sagte der Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Sonntag. Die russische Luftwaffe setzte unterdessen ihre Angriffe auf Jihadistenrebellen im Nordwesten Syriens fort.
In der Nacht und Sonntag früh habe es russische Angriffe in den Provinzen Idlib und Hama sowie in Aleppo gegeben, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OSDH) weiter mit. Mindestens ein Zivilist soll dabei getötet worden sein, mehrere weitere seien verletzt worden. Die USA sehen die Abhängigkeit der syrischen Staatsführung von Russland und dem Iran als Grund für die Eskalation.
Seit Mitte der Woche konnten Rebellen unter Führung der islamistischen Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, größere Gebiete im Nordwesten Syriens zurückerobern. Am Samstag drangen Rebellen weit in die Millionenstadt Aleppo vor. Syriens Machthaber Bashar al-Assad kündigte eine Gegenoffensive an.
Erstmals seit 2016 wieder russische LuftangriffeErstmals seit 2016 flog Russland am Wochenende wieder Luftangriffe auf Ziele in Aleppo. Oleg Ignasjuk, stellvertretender Leiter der russischen Mission in Syrien, erklärte bereits am Samstag, bei Attacken russischer Kampfjets seien rund 300 Kämpfer getötet worden. Es seien Befehlsstellen, Artilleriestellungen und Lager der Rebellen angegriffen worden.
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Seit 2011 herrscht in Syrien ein verheerender Krieg. Die syrische Regierung kontrollierte zuletzt mit Hilfe ihrer Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Die Kämpfe im Nordwesten stellen seit Jahren des Stillstands eine neue Eskalation in dem Bürgerkrieg dar.
Bei den heftigsten Gefechten seit 2020 wurden laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OSDH) bisher mehr als 320 Menschen getötet, darunter 44 Zivilisten. Die OSDH mit Sitz in Großbritannien bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort in Syrien. Ihre Angaben sind schwer überprüfbar.
Auch Iran unterstützt DamaskusDer Iran hat der mit ihm verbündeten Führung in Damaskus unterdessen seine unerschütterliche Unterstützung zugesichert. Er werde von Teheran nach Damaskus reisen, um der syrischen Regierung und ihren Streitkräften die Botschaft der Unterstützung seines Landes zu "übermitteln", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Sonntag den iranischen Außenminister Abbas Arraghchi vor dessen Abreise nach Damaskus.
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AFP
"Wir unterstützen die Armee und die Regierung in Syrien nachdrücklich", sagte Arraghchi demnach. Er sei sicher, dass die syrische Armee "diese terroristischen Gruppen" erneut besiegen werde, "wie in der Vergangenheit", sagte der Minister weiter.
Die US-Regierung macht die Abhängigkeit der syrischen Staatsführung von Russland und dem Iran für die jüngsten Entwicklungen mitverantwortlich. Zudem habe Präsident Bashar al-Assad mit seiner Weigerung, sich auf einen politischen Prozess zur Befriedung einzulassen, die Bedingungen für die Situation geschaffen, erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, Sean Savett.
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"Gleichzeitig haben die Vereinigten Staaten nichts mit dieser Offensive zu tun", betonte er. Die Offensive werde angeführt von der Terrororganisation HTS.
Savett sagte, die USA drängten auf Deeskalation, Schutz der Zivilbevölkerung und Minderheiten sowie auf einen politischen Prozess, der den seit 2011 anhaltenden Bürgerkrieg im Einklang mit der Resolution 2254 des UNO-Sicherheitsrats ein für alle Mal beenden könne.
Das oberste Gremium der Vereinten Nationen hat eine Reihe von Resolutionen zum Syrien-Krieg verabschiedet. Die Resolution 2254 vom 18. Dezember 2015 sieht unter anderem die Vermittlung von Friedensgesprächen der Regierung mit der Opposition vor.
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