Die lieben Kollegen: Hach, diese jungen Leute
Catherine Falls Commercial / Moment RF / Getty Images
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Ich bin 55, und manchmal frage ich mich immer noch, was ich eigentlich werden will, wenn ich mal groß bin. Das unterscheidet mich von vielen meiner jungen Kolleginnen und Kollegen, die oft ganz gut wissen, wo es genau hingehen soll.
Es ist ja nicht so, dass ich völlig verplant wäre oder nach mehr als dreißig Jahren Berufserfahrung nicht wüsste, wie mein Job geht. Es ist eher ein Grundgefühl von Gelassenheit, ein Geschenk dieser vielen Jahre: Gelernt zu haben, das Leben als eine Fülle von Optionen zu betrachten und immer die Kraft des Möglichen gegen die Macht des Faktischen zu setzen. Auch, wenn man bei Letzterem bleibt und auch, wenn meist das Ist über das Wäre triumphiert.
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So aktivieren Sie Ihre BenachrichtigungenAbgesehen davon, dass ich noch lange berufstätig sein will, hat mich die Wertschätzung gefreut. Denn ich arbeite ungemein gern mit jungen Menschen zusammen: Es ist erfrischend. Sie machen manches anders und vieles besser. Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, machen sie den Mund auf, statt hinzunehmen. Und Themen, bei denen ich denke: Ach Gott ja, darüber haben wir ja schon vor 20 Jahren geschrieben, packen sie aus dem Blickwinkel ihrer anderen Lebenserfahrung an, sodass sich auch mir neue Perspektiven öffnen.
Die Arbeit ist indes nur das Eine. Ich bin groß geworden mit dem Spruch »Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.« Aber beides stimmt nicht mehr, finde ich. Gefühle haben ihren Platz bei der Arbeit – wo wären wir ohne echtes Interesse aneinander? Und wer braucht noch Schnaps, wenn das Miteinander auch nüchtern nicht nur zu ertragen ist, sondern Spaß macht? Darüber reden, wie es uns geht, sensibel zu sein für die Bedürfnisse anderer, aber auch die eigenen – das prägt meinen Berufsalltag viel mehr, seit mein Geburtsjahr den Altersschnitt des Kollegiums merklich hebt.
Jüngst erzählte eine Praktikantin von einer bevorstehenden Prüfung an der Uni. Die Angst, es zu vermasseln, war groß, aber ihr Selbstvertrauen auch: Sie habe geweint, erzählte die junge Frau, aber dann habe sie mit verheulten Augen in den Spiegel geschaut und sich selbst laut gesagt: »Ich bin ein She-Boss!« Davon habe ich gelernt. Und zwar sowohl von der Selbstvergewisserung als auch von der Offenheit, diese Szene so freimütig zu erzählen. Hätte ich mich mit Anfang 20 sicher nicht getraut. Sich einander zu öffnen und füreinander zu interessieren – und klar zu kommunizieren, wie es um einen selbst steht, auch wenn man sich damit verletzlich macht: Diese Kühnheit kam relativ spät in mein Leben, und ich verdanke sie Menschen, die jünger sind als ich.
Viele junge Leute wollten nicht mehr Vollzeit arbeiten, liest man hier und dort, und viele stellten absurde Forderungen und wollten nach dem Abi erst mal mindestens ein Jahr chillen. Weil sie glaubten, mit dem Schulabschluss im Grunde schon ihre Lebensleistung erbracht zu haben. Klar, mag es alles geben. Die, die man bei der Arbeit sieht, sind natürlich die, die auch arbeiten wollen.
Da stehe ich nun in meinem T-Shirt, auf dem steht »It’s weird being the same age as old people«, und ich wundere mich manchmal ein bisschen, dass Leute mich »Frau Hoffmann« nennen, bis mir einfällt: Ach ja, ich bin ja die älteste Person im Raum! Das »Du« sollte wahrscheinlich zuerst von mir kommen. Wenn man sich darauf einlässt, kann diese Art von Respekt nicht nur ein Memento mori sein, sondern sich sogar gut anfühlen. Die alternde Gesellschaft, die wir nun einmal sind, fährt gut damit, das Alter als etwas Erstrebenswertes zu feiern, und wir Älteren tun gut daran, mitzufeiern. »Die 6 vorn sieht scheiße aus«, jammerte eine Freundin, deren runder Geburtstag bevorstand. Mal ehrlich: Das Kreuz dahinter fände ich deutlich blöder.
Ich habe natürlich noch immer beruflichen Ehrgeiz. Ich will gut sein in meinem Job, ich will Neues lernen und Neues machen, aber ich will auch gut sein für die anderen Menschen in meinem Umfeld. Ich habe selbst wenig She-Boss-Ambitionen, unterstütze jedoch die gern, die welche haben. You go, girl! Und wenn unterwegs das Leben über diesen jungen Frauen zusammenschlägt, das Kind das dritte Virus in zwei Wochen von der Kita mit nach Hause bringt, alle auf dem Zahnfleisch krabbeln, dann kann ich vielleicht ein kleiner Lichtblick sein. Einfach, indem ich da bin, den Bauch schon lange nicht mehr einziehe und sage: Mädels, das ist jetzt eine harte Zeit, aber freut euch schon mal auf die große Sause nach der Menopause.