Album der Woche mit U2: Sinnlos, bloody sinnlos

17 Mär 2023
Rockband U2

Rockband U2

Foto: Kurt Iswarienko / Universal Music

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Album der Woche:U2 – »Songs of Surrender«

Wenn erfolgreichen Bands nichts Besseres oder gar Originelles mehr einfällt, fangen sie an, sich selbst zu covern. Nachdem die 1976 gegründete Rockband U2 aus Irland schon in den Neunzigerjahren begonnen hatte, den eigenen Superstar-Status mit regelmäßigen Best-of-Kollektionen zu untermauern und sich zuletzt mit neuem Material eher schwertat, tritt sie jetzt in den finalen Zustand der Selbsthistorisierung ein. »Songs of Surrender«, je nach Ausgabe 16 bis 40 Stücke umfassend, ist das MTV-Unplugged-Album von U2, das es unfassbarerweise noch nie gab. Nur dass halt kein von einem Musiksender betreutes Akustik-Konzert der Anlass war, sondern die kürzlich veröffentlichten Memoiren von Sänger Bono , in denen er unter anderem die Anfangstage seiner Band in Dublin Revue passieren lässt. Die »Songs of Surrender«, ein musikalisch und manchmal auch textlich revidiertes Best-of, spielte er nun im Studio, vorrangig zusammen mit Gitarrist The Edge, am Piano oder an der Akustikgitarre ein.

Eine »Re-Imagination« sollte das Album sein, kündigte die Band an. Dagegen spricht erst einmal nichts: Dass einen nach Jahrzehnten des Abspielens der eigenen Gassenhauer das Gefühl beschleichen kann, man müsse den ganzen langweilig gewordenen Kram nochmal gründlich umpflügen, scheint verständlich. Und selbstverständlich können sie mit ihrer Kunst tun und lassen, was sie wollen. Man wünschte sich nur, U2 wären an dieses Projekt nicht mit Altersmilde herangegangen, sondern mit Radikalität.

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»Sobald wir unsere Ehrfurcht vor der Originalversion aufgegeben hatten, öffnete sich jeder Song für eine neue, authentische Stimme aus dieser Zeit«, schreibt The Edge in den Liner-Notes zum Album. Nun erzeugt aber die bloße Reduktion auf Akustikversionen nicht automatisch Authentizität, sondern kann, wie hier unschön zu betrachten, auch in Verkünstelung und Verkrampfung resultieren.

U2 waren ja mal eine innovative Band, das vergisst man leicht, weil in der Historisierung von Pop- und Rock-Acts stets die frühen Sturm-und-Drang-Werke stärker betont werden, je weiter der Schritt ins Alterswerk vollzogen ist. »Achtung Baby«, »Zooropa« und das vielgeschmähte »Pop«, die U2-Alben der Neunzigerjahre, waren nicht immer gute, aber zumindest interessante Versuche, Rockmusik klanglich und visuell weiterzuentwickeln. Sie folgten immerhin einer Idee von Post-Punk, während Grunge und Britpop in die Nostalgie und Revision starteten.

Dort kamen dann auch U2 zu Beginn dieses Jahrtausends an – und drehen sich seitdem im Kreis. Mit »Songs of Surrender« erreichen sie nun austrudelnd den Stillstand. »Surrender« heißt auf Deutsch »Kapitulation«. Wenn U2, in den Neunzigern Meister der tollkühnen, oft auch blöden Remix-Aufträge, als Neuerfindung ihrer DNA nur noch einfällt, sie salbungsvoll nachzuzupfen und den Drive ihrer Jugend mutwillig auszubremsen – dann kommt das einer Selbstaufgabe schon sehr nah.

Man wünscht sich das Pathos zurück

Eben jene Lieder aus der Frühphase der Band, Songs wie »Stories for Boys«, das jetzt kurios nach Arctic Monkeys klingende »11 O’Clock Tick Tock« oder auch »Pride (In the Name of Love)« werden mit schmerzhafter Konsequenz entsaftet und entkräftet. Das einzige, was am »Boy«-Outtake »Out of Control« noch außer Rand und Band scheint, ist die Geschmackskontrolle.

Dabei waren es gerade diese teils explosiven New-Wave-Hymnen, die unironische Wucht, die den nachhaltigen Ruhm von U2 in den Achtzigerjahren überhaupt erst begründete. Genau diese Attribute wurden natürlich in den folgenden Jahrzehnten, während sich Bono mehr und mehr zum politischen Übergutmenschen stilisierte, von der Popkritik lächerlich gemacht und verspottet, als müsse man sich von einem guilty pleasure oder Jugendsünden der Uncoolness reinwaschen. Jetzt wünscht man sich ihr Pathos zurück. Und den aus viel Delay und Reverb konstruierten Edge-Gitarrensound, auf den er selbst offenbar keine große Lust mehr hat.

Songs, die wohl jeder Rockfan im angemessenen Alter lauthals mitsingen oder auswendig auf der Luftgitarre spielen kann, werden ja nicht allein dadurch besser oder mit neuer Bedeutung aufgeladen, dass sich Bono unter teils größter Anstrengung abmüht, die Strophen anders zu phrasieren oder mal komplett im Falsett zu singen, so wie hier bei »With Or Without You«, »Sunday Bloody Sunday« und, ganz schlimm, »Desire«. Wenn man nach dem Hören der neuen Versionen umso mehr Lust bekommt, im Plattenschrank nach den Originalen zu wühlen, ist das ein sicheres Signal, dass irgendwas nicht stimmt.

Einzig die neueren Songs von den jüngsten Alben »Songs of Innocence« und »Songs of Experience« gewinnen ein wenig. So wird »Every Breaking Wave«, auf Piano und Stimme reduziert, immerhin vom onkelhaften Adult-Rock des Originals befreit. Schon bei »Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of«, werden jedoch die Grenzen dieser Methode deutlich: Wenn U2 nicht mehr nach U2 klingen, sondern wie ein beliebiger Castingshow-Teilnehmer, der mit einer gediegenen Cover-Version vor allem seine Vokal-Verbiegungen zur Schau stellen will, dann ist das nicht nur Selbstaufgabe, sondern grenzt an Selbstdemontage.

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Man ahnt, dass Schlagzeuger Larry Mullen Jr. und Bassist Adam Clayton, seit Jahrzehnten vor allem live die energische, druckvolle Rhythmusmaschine von U2, vielleicht gar nicht böse waren, hier weitgehend unbeteiligt gewesen zu sein. Das einzig Gewitzte dieser »Songs of Surrender« ist, dass sie mit »One« anfangen und mit »40« enden. Haha. (2.0)

Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)

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