135 Jahre Mr. Rapid: In Gedenken an Dionys Schönecker
29.04.2023
Verein, Geschichte
Er gilt als Vater des Rapid-Geists, als „Mister Rapid“: Dionys Schönecker, der unseren Verein wie kaum ein anderer geprägt hat. Am 29. April feiert somit nicht nur Guido Burgstaller seinen Geburtstag, sondern hätte auch Dionys Schönecker seinen 135. Ehrentag gefeiert.
Er war es, der in der ersten Krise des noch jungen Vereins auf den Plan trat und ihn als Sektionsleiter und Trainer übernahm. Nach dem Leitsatz „Gemeinsam. Kämpfen. Siegen.“ schickte Schönecker in seiner ersten Saison bei Rapid eine sehr junge Mannschaft aufs Feld, nachdem die arrivierten Spieler Rapid verließen, als die Stadt Wien den Pachtvertrag kündigte, den der junge Verein für den Rudolfsheimer Sportplatz hielt. Auf Anhieb wurde die junge Truppe 1911/12 erster offizieller Meister.
Geht mit uns auf Zeitreise: Die Geschichte des SK Rapid
Zu Ehren an Dionys Schönecker. © Red Ring Shots
Der legendäre Dionys Schönecker, seiner damaligen Zeit voraus, legte die Grundsteine für unseren so ruhmreichen Verein. Seine Statue findet Ihr bekanntlich direkt vor dem Block West.
Als der 18-jährige Schriftsetzer Dionys Schönecker im Jahr 1906 erstmals für Rapids Kampfmannschaft auflief, wurde ihm keine große Spielerkarriere bescheinigt. Im Gegensatz zu seinem Bruder Eduard, der es sogar zu Länderspielehren bringen sollte, war Dionys fußballerisch nicht sonderlich begabt, wurde auch nur sporadisch eingesetzt, ja kurzfristig sogar an den Wiener Sport-Club verliehen. Sein wahres Talent zeigte sich erst 1910, als er die „Packeln“ an den Nagel hängte und die Geschicke Rapids als Trainer und Sektionsleiter in die Hände nahm.
Die Bestellung des erst 22-jährigen zum sportlich und auch wirtschaftlich Hauptverantwortlichen war eigentlich eine Notlösung. Rapid war 1910 nämlich von fast allen guten Geistern verlassen worden und kurz vor dem Aus. Die Führung des hoch verschuldeten Vereins war geschlossen zurückgetreten, und auch ein Großteil der Spieler hatte dem SCR den Rücken gekehrt. Darüber hinaus kündigte die Stadt Wien den Pachtvertrag für den Rudolfsheimer Sportplatz, dessen Areal man für die Vergrößerung des Meiselmarktes brauchte, womit Rapid quasi über Nacht ohne Heimstätte da stand.
Doch just der bisher unauffällige Reservist Dionys Schönecker fasste sich ein Herz, machte aus der Not eine Tugend und rettete Rapid. Gemeinsam mit Kapitän Josef Schediwy formte er aus der talentierten „Jungmannschaft“ um „Seppl“ Brandstetter und „Rigo“ Kuthan, dessen Schwester Emilie er später heiraten sollte, eine schlagkräftige Truppe, die völlig überraschend die ein Jahr später erstmals ausgespielte Meisterschaft für sich entscheiden konnte. Markenzeichen der Jungen Wilden war ein aus Budapest und Prag importiertes flaches, kurzes und schnelles Kombinationsspiel, welches das herkömmliche „Kick and Rush“ ablöste. Eine Prise Wiener Schmäh und der „Rapidgeist“ taten ihr übriges, um mit diesem System, in dem Schönecker und Schediwy die Zukunft des Fußballs erkannten und das später als „Scheiberln“ ein Hauptmerkmal der „Wiener Schule“ werden sollte, den heimischen Fußball in den nächsten zehn Jahren fast nach Belieben zu dominieren.
Auch wirtschaftlich dachte Schönecker visionär und konnte dadurch einiges bewegen. Von der Pfarre Hütteldorf pachtete er ein Grundstück, auf das sein Bruder Eduard, der inzwischen zum gefragten Stadionarchitekten geworden war, die legendäre „Pfarrwiese“ baute, welche Rapid bis 1978 als Heimstätte dienen sollte. Der Umzug in den von Villen gesäumten Wald- und Wiesengürtel am Stadtrand brachte aber auch mit sich, dass sich deren meist wohlhabende BesitzerInnen für den neuen Nachbarn zu interessieren begannen. Schönecker wusste auch diesen Umstand zu nutzen und konnte zahlreiche Künstler, Ärzte und Unternehmer als zahlungskräftige Mitglieder und Förderer für den Verein gewinnen. Auf diese Art gelang es Rapid binnen weniger Jahre nicht nur finanziell zu gesunden, sondern auch die Pfarrwiese sukzessive auszubauen, sodass dort schließlich 25.000 ZuschauerInnen Platz finden sollten.
Dennoch betonte Schönecker stets die proletarischen Wurzeln des SCR. Seine legendären Reden, die der blendende Rhetoriker im gegenüber der Pfarrwiese gelegenen Hütteldorfer Brauhaus nach jedem Heimspiel vor versammelter Mannschaft und Funktionärsriege, sowie vor hunderten Anhängern hielt, begann er gerne mit folgenden Worten: „Mein Herren, wir sind Arbeiter, und als Arbeiter müssen wir arbeiten!“ Um die neuen Rapidler aus „besseren“ Kreisen miteinzubeziehen, wurden sie einfach als „geistige Arbeiter“ bezeichnet.
Diese wendige Prinzipientreue im Dienste Rapids zeichnete Schönecker überhaupt aus. Trotz Arbeiterethos hatte er mithin auch keine Skrupel, sich betont gentlemenlike zu kleiden, was ihm als zeitweiliger Geschäftsführer des in der City firmierenden englischen Herrenausstatters Ernest Blyth, dem ehemaligen „Cricketer“ und nunmehrigen Rapidmitglied, auch gut anstand.
Mitte der 1920er-Jahre, gerade als die Austria zum ernsten Rivalen avanciert war, schlitterte Rapid erneut in eine Krise. Die Mannschaft der ersten Stunde war überaltert, weigerte sich aber trotzdem das Feld für den Nachwuchs zu räumen. Titel blieben aus. Dazu kamen vereinsinterne Streitigkeiten, auch weil Schönecker stets eine egalitäre Gagenpolitik verfocht: hochbezahlte Primgeiger, bei den Veilchen gang und gäbe, waren ihm zuwider, jeder Spieler gleich viel wert. Die Altstars unter Führung von Kapitän Kuthan meuterten, forderten Einnahmenbeteiligung, Kantinenpacht und ein Mitspracherecht in den Vereinsgremien. Der Patron reagierte, er entließ einige Rädelsführer, aber wohlweislich auch sich selbst als Trainer und setzte seinen langjährigen Weggefährten Eduard Bauer auf die Betreuerbank.
Mit der für Rapid relativ neuen Vorgangsweise, Spieler von anderen Wiener Vereinen abzuwerben, kehrte der Erfolg schon bald nach Hütteldorf zurück. Schöneckers Charakter war wertkonservativ, gleichzeitig aber war er für alles Neue offen, wenn es denn Rapid nur nutzte. Sein Führungsstil war autoritär, fast schon diktatorisch. Widerspruch duldete er nicht, schon gar nicht aus den eigenen Reihen. Alles, auch das Privatleben, ordnete er seinem erklärten Ziel, Rapid zur besten Mannschaft Europas zu machen, unter. Das erwartete er auch von seinen Spielern, was selbst Ausnahmekönner zu spüren bekamen, wie z.B. „Jahrhunderttorschütze“ Josef Bican, den der gestrenge Sektionsleiter 1935 aus disziplinären Gründen vor die Tür setzte. Nichtsdestotrotz konnte der Mister Rapid insbesondere bei Derbys schon ordentlich in Saft gehen. Beim Skandalspiel vom Frühjahr 1937 etwa, als, durch Verletzte und Ausschlüsse bedingt, beim Stand von 0:5 nur noch 6 Rapidler auf dem Praterrasen waren. Der Schiri pfiff wohlweislich ab, worauf Schönecker auf diesen zurannte und seine, nicht druckfähige Meinung sagte, was ihm eine saftige Geldstrafe einbrachte.
Als Dionys Schönecker im September 1938 an einer Bauchfellentzündung unerwartet und viel zu früh starb, war er bereits eine Legende. Schon 1935 war ihm für seine Verdienste das Silbernen Ehrenzeichen der Republik verliehen worden. Nun wurde Schönecker ein Ehrengrab der Stadt Wien zuteil, und tausende Trauergäste säumten am Baumgartner Friedhof den letzten Weg des grün-weißen Übervaters.
Bis heute gilt er nicht nur als einer der längstgedienten, sondern auch als der mit Abstand erfolgreichste Funktionär des SCR. Unter seinem 28-jährigen Regnum errang Rapid nicht weniger als 12 (!) Meistertitel und legte damit das Fundament für die Rekordmeisterschaft. Unter ihm holten die Hütteldorfer zudem drei Mal den Cup und stiegen zu einem der stärksten Teams Kontinentaleuropas auf. Mit dem Gewinn des Mitropacups im Jahr 1930 wurde Schöneckers Rapid zum Aushängeschild des österreichischen Fußballs.
Sein nachhaltigstes Erbe bleibt aber wohl, dass er die Rapid-Tugenden Gemeinschaftssinn, Kampfkraft und Siegeswille in der Vereinsmentalität verankert hat. Damit prägte er den „Rapidgeist“, als dessen Ahnherr er heute zurecht gilt.
Der Großteil des Texts stammt von Domenico Jacono und John Chalmers (aus „Alles Derby! 100 Jahre Rapid gegen Austria“)
Dionys Schönecker ist weiterhin fester Bestandteil von Rapid. © Red Ring Shots