Dünnsein ist sexy, rappt Shirin David – meint sie das ernst?
Als Shirin David vergangenen November auf einem Jetski zu «Hoes up G’s down» durchs Zürcher Hallenstadion twerkte, war ich ihr verfallen. Ich habe ihr geglaubt, dass ich alles darf. Die deutsche Rapperin kann man unangenehm finden – optisch vielleicht. Schliesslich ist bei ihr nach eigenen Aussagen bis auf den Kontostand nicht mehr viel echt. Man kann ihre Wortwahl obszön finden, ihre Jury-Jobs im TV peinlich.
Wenn man dann aber das Prollige von der gekünstelten Oberfläche wischt, hat die gute Frau einfach recht – im Song «Ich darf das» rappt sie: «Ob ich darf? Ja, ich darf das, Pech» und «No way, fuck Shaming / Stell keine Frau in den Schatten, damit ich schein». Bei David geht es darum, als Frau das zu machen, was man will, so auszusehen, wie man will – und sich gegenseitig dabei zu unterstützen.
Ihre Musik und ihr Look zelebrieren ein neues feministisches Selbstverständnis, ihre Konzerte liefern glitzerndes Selbstbewusstsein to go, abgefüllt in strassbesetzen Parfumflakons.
«Geh’ ins Gymmy, werde skinny»Jetzt ist ihr neuer Song «Bauch Beine Po» erschienen. Da heisst es «Du willst ein’n Body? / Dann musst du pushen / Bist du ein Hottie / werden sie gucken / Geh’ ins Gymmy, werde skinny.» In ihrer Instastory wirbt sie mit einem Gewinnspiel für den Song: Man kann Trainingseinheiten bei einer Fitnessstudio-Kette absahnen.
Während es in «Du darfst das» hiess «Selbst wenn du einen kleinen Arsch hast / Shake Booty, Babygirl, denn du darfst das», soll man exakt den laut «Bauch Beine Po» jetzt bitte prall trainieren.
Um «pretty im Bikini» zu sein, propagiert sie die sogenannte Clean-Girl-Ästhetik – ein TikTok-Phänomen, das als klassistisch gilt, weil es mit einem teuren und sehr zeitaufwändigen Lebensstil verbunden ist, und ausserdem – man kann es nicht anders sagen – fettfeindlich ist.
Hobby: Gym. Goal: dünn und straff sein. Was ist da los? Meine Liebe zu Shirin bröckelt.
Ein kurzer Exkurs: Die Clean Girls auf Social Media haben, was ihren Lifestyle angeht, eine fleckenfrei weisse Weste. Sie stehen früh auf, folgen einer rigiden 10-Step-Skincare-Routine, verachten Alkohol, Zigaretten und Kohlenhydrate (kurzum: Spass), formen ihren schmalen Astralkörper in teuren Fitnessstudios und hüllen ihn idealerweise in noch teurere Designerklamotten.
Der Lifestyle: minimalistisch. Reduziert aufs Wesentliche eben – gut aussehen.
Bodyshaming oder cleveres Gaming?Nun rappt auch Shirin David darüber, so ein Clean Girl zu sein – nämlich mit Iced Matcha Latte zum Pilates und dann im Range Rover zu Bottega Veneta zu fahren. Die Botschaft des neuen Songs: Ein hotter Body ist geil, Gym ist geil, Fleiss und Selbstoptimierung sind megageil.
Hat Shirin David der Bodypositity-Bewegung und damit ihrer Glaubwürdigkeit ihr eigenes Grab geschaufelt? Wo ist die Selbstbestimmung hin, wenn ein Schönheitsideal den Takt des Lebens diktiert?
Kann doch alles nicht sein. Also versuche ich verzweifelt, in den Lyrics eine Botschaft zu finden, die den Skinny-Bikini-Body-Hype vielleicht zwischen den Zeilen eben doch kritisiert.
Nun ja. Also.
Shirin eröffnet «Bauch Beine Po» mit der Zeile: «Iced Matcha Latte, zu spät beim Pilates». Die typische Clean-Girl-Persona schlürft täglich einen cremigen Becher Grünes, das ist korrekt – aber als «After Pilates Treat», also NACH der Sporteinheit. Als Belohnung für den Fleiss.
Und: Das perfekte Clean Girl würde natürlich niemals zu spät kommen. Ist das Ganze also doch unterschwellige Satire?
Ein weiterer Hinweis für reine Provokation: Das Äussere eines Clean Girls zeichnet sich durch einen natürlichen Look aus, der taufrisch aussieht, so, als wäre man ungeschminkt. Alles in allem: zurückhaltend.
Ich erinnere nochmal daran: Shirin David twerkt mit tonnenweise Make-up, Lipgloss, Fillern und Silikon auf Jetskis – in einem Glitzer-BH, der den Schriftzug «fotzig» trägt.
Ist Shirin David nicht sowieso eher «Brat»? Der rotzige, rebellische «Brat»-Trend gilt als Gegenbewegung zur aufgeräumten Clean-Girl-Ästhetik und beschreibt auf Social Media junge Frauen, die direkt und ehrlich sind und auf die Meinung anderer scheissen.
Ausserdem: Wer einen Eistee namens «DirTea» vertreibt, kann kaum clean sein, oder?
Findet Shirin David das funfreie Sauberfrau-Leben also auch hohl? Scheffelt sie einfach Geld durch Kollaborationen mit Gyms, die Bauch-Beine-Po-Stunden anbieten? Nutzt unsere Dummheit aus? Erntet medienträchtige Shitstorms, damit wir uns alle aufregen, um es dann irgendwann aufzulösen?
Auf dem Cover zur Single trägt sie ein T-Shirt mit der Aufschrift «Work in Progress». Klar, es geht immer noch mehr. Der Arsch könnte grösser sein, die Taille schmaler, die Arme muskulöser. Der Mensch ist eine Baustelle – und vor allem der Popstar, der ja sowieso immer perfekt sein soll.
Das leidige Thema GleichberechtigungWas aber auch konstant in Arbeit ist, ist das leidige Thema Gleichberechtigung, das die ehemalige Youtuberin seit Anfang ihrer Karriere mit stolz geschwellter Silikonbrust musikalisch bearbeitet.
Dank ihr wissen wir, dass nicht nur harte Kerle Erfolg im Deutschrap haben können. In ihren Texten fordert sie negativ konnotierte Begriffe wie «Bitch» und «Hoe» zurück und schreibt ihnen eine kraftvolle Bedeutung zu.
Schon allein die Tatsache, dass man als Frau immer die richtigen Werte vermitteln soll, während Männer unkommentiert über Blowjobs und Ärsche rappen, ohne ein Vorbild für kleine Jungs sein zu müssen, beweist, dass da tatsächlich noch sehr viel Work in Progress ist.
Der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und das «mit den Waffen einer Frau, brra-pa-pa-pap»? Hot.
Toxische Schönheitsideale promoten? Sollte das alles ernst gemeint sein, darf das leider nicht mal Shirin David.
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