"Weißt Du noch": Ein Ausmisten am Hochzeitstag

15 Sep 2023

APA - Austria Presse Agentur

Marianne und Günter sind vom Leben gezeichnet. Oder eigentlich nicht. Sie haben schlichtweg ihr Leben als Paar und Eltern gelebt über fünf Jahrzehnte. Mit Höhen und Tiefen. Und am Ende steht für die beiden 80-Jährigen Routine. Keine vollends lieblose, aber auch keine freudvolle. Bis Günter am Hochzeitstag mit einer Wunderdroge anrückt. "Weißt Du noch", ein Kammerspielduell zwischen Senta Berger und Günther Maria Halmer, kommt am Freitag ins Kino.

Senta Berger - Figure 1
Foto k.at

Das Grundsetting, das Regisseur Rainer Kaufmann ("Und wer nimmt den Hund?") mit seinem Co-Drehbuchautor Martin Rauhaus ersonnen hat, ist dabei denkbar schlicht. Der gesamte Film spielt im satten Weichzeichnerlicht am Hochzeitstag von Marianne und Günter im Haus der beiden, wenn man von wenigen, quergeschnittenen Jugendaufnahmen absieht. Und letztlich geschieht nichts, außer dass die beiden miteinander sprechen. "Weißt Du noch?" verlässt sich vollends auf seine beiden Schauspiellegenden. Berger ist eine wohlartikulierende Dame, jedoch nicht abgehoben oder unpassend im gutbürgerlichen Setting. Halmer hingegen gibt den von ihm wohlbekannten intellektuellen Grantler. Und gerade dadurch entwickelt "Weißt Du noch" einen Sog der Authentizität.

Die Dialoge zerfallen dabei in zwei Teile. Zunächst entwirft Kaufmann Szenen einer Ehe nach Jahrzehnten des gemeinsamen Beisammenseins. Beide werden ein wenig vergesslich, das Gehör spielt nicht mehr so mit wie früher, aber an sich ist man soweit fit. Dennoch hält man das Ganze dem Partner stets vor, sieht die Fehler des anderen, negiert die eigenen. Eingeübte Rituale des Streits, der genervten Sticheleien.

Über die Jahre hinweg gab es Verletzungen, Kränkungen, und doch ist in diesem Leben letztlich nichts Außergewöhnliches geschehen, nicht im Positiven, nicht im Negativen. Bei Günter dominiert die Angst vor dem Alter, die Resignation angesichts eines absehbaren Endes, während Marianne sich auf ein Leben im Hier und Jetzt fokussiert. Man hat sich mit der Situation arrangiert, die Leidenschaft jedoch ist perdu. Vieles kennt der Kinogeher von den eigenen Eltern, Großeltern oder durchaus auch sich selbst.

Aus diesem festgefahrenen Sein wählt Kaufmann den Drehbuchkniff, dass Günter als Hochzeitstagsgeschenk zwei blaue Pillen anbietet, die er von einem Freund organisiert hat. Allerdings nicht mit aufputschender Wirkung für den Lendenbereich, sondern fürs Hirn. Die Erinnerung und die Gefühle der jugendlichen Anfänge werden zurückgebracht.

Und das erste Mal seit vielen Jahren sprechen Günter und Marianne wirklich miteinander. Sie reflektieren die schwierige Beziehung zu den Kindern, eine vergangene Affäre, die gemeinsam überstandene Krebserkrankung. Man mistet am Hochzeitstag aus - in den angesammelten Schichten der Vergangenheit ebenso wie im Kleiderschrank, in dem man auch Rudimente aus Tagen der jugendlichen Verliebtheit wiederentdeckt.

Was sich zwischen diesen beiden Menschen abspielt ist charmant, ein Wechselbad der Gefühle aus Melancholie und wiedererwachender Freude. Es ist der Tanz zweier alter Menschen, ein Wiederverlieben, wenn auch nur für kurze Zeit, hält die Wirkung der Pille doch nicht lange an. Nun müssen sich Marianne und Günter der Realität stellen.

Letztlich ist "Weißt Du noch" das schauspielerische Hochamt für zwei deutschsprachige Kinostars, die schon wiederholt gemeinsam vor der Kamera standen und hier eine reife Geschichte erzählen, ein Sujet, das es sonst nur selten auf die große Leinwand schafft. Dass Regisseur Kaufmann dabei zum narrativen Mittel einer Wunderpille greift, anstatt offenzuhalten, wie weit diese wirklich wirkt oder als Placebo lediglich die Hinwendung der beiden Charaktere ermöglicht, ist ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten lebensklugen Werk.

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