Olympia: Die “große Prüfung” – Philipp Buhls dritter Olympia-Einsatz ...
Deutschlands erster und einziger Weltmeister im Ilca 7 (Ex-Laser, 2020) jagt ab heute zum dritten Mal seinen Olympia-Traum. Er kämpft mit 42 weiteren Olympioniken aus ebenso vielen Ländern um Edelmetall. Etwa sieben bis acht Top-Akteure kommen auf dem Papier für die Medaillenränge in Frage. Der deutsche Steuermann, der für den Segelclub Alpsee-Immenstadt und den Norddeutschen Regatta Verein in Hamburg startet, zählt sich selbst dazu. Top-Favoriten sind der amtierende Olympiasieger und Weltmeister Matt Wearn und der Brite Michael Beckett. Auch Buhls Sparringspartner Jean-Baptiste Bernaz und Hermann Tomasgaard wollen eine Medaille.
Sind für den deutschen Ilca-Dauerdynamo im dritten Olympia-Anlauf endlich aller guten Dinge drei? Der gereifte Athlet und Aktivensprecher der Segelnationalmannschaft darf mit einem Meer gedrückter Daumen daheim in Deutschland rechnen. Die Sympathien hat er sich nicht nur mit seinen Erfolgen, sondern auch als engagierter Athlet und Fairplayer verdient. Hier ein Blick in Philipp Buhls Gedankenwelt und seine Antworten zu den wichtigsten Fragen kurz vor dem Start:
Auf der Wunschliste ganz oben steht für dich bei Olympia?
Es ist kein Geheimnis: Eine Medaille wäre schön. Ob daraus was wird, muss sich erst noch zeigen. Na klar habe ich den Wunsch und das Ziel. Aber es haben sieben oder acht Leute eine wirklich reelle Chance auf eine Medaille. Da zähle ich mich selbst mit dazu. Ich kann jetzt nur eines machen: versuchen, mich zu fokussieren und möglichst viele meinen antrainierten Skills umzusetzen. Dann habe ich die beste Chance.
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Nach schwierigen und komplizierten Windbedingungen zum Auftakt: Was hältst du vom Olympia-Revier?
Marseille ist aufgrund der Topografie und der Berge drumherum ein ziemlich schwieriges Revier. Im Vergleich zu Rio sind es eher Hügel, aber sie haben trotzdem genügend Einfluss auf das Geschehen auf dem Rennkurs. Windablenkungen und Windkrümmungen über so einer Regattabahn machen alles ein wenig schwieriger. Das muss man ein bisschen einkalkulieren. Wir haben hier aber viel Zeit verbracht. Ich glaube, wir wissen in den meisten Fällen und den meisten Situationen damit umzugehen.
Aber: Auch die Konkurrenz weiß natürlich damit umzugehen. Das heißt: Wenn klar ist, wo man hinfahren muss, wissen alle, wo man hinfahren muss. Dann wird sich auch wieder um die Pole Position gestritten. Das macht es also nicht einfacher, ist eher eine Voraussetzung. Es ist auf jeden Fall ein etwas anderes Segeln bei speziellen Windrichtungen, weil es eben ein bisschen mehr auf eine Seite geht. Das Fleet wird ziemlich eng gepackt sein. Da zählt dann jeder Meter.
Insgesamt hängt das Geschehen auch von der Windrichtung ab. Die Bucht von Marseille ist ein komplexes Revier mit verschiedensten Anforderungen von teilweise sehr, sehr drehendem und leichten Winden. Alternativ gibt es die Mistral-Richtung, die es im Sommer nicht so häufig gibt, die aber trotzdem ab und zu kommt. Wenn, dann sehr stark und eigentlich ziemlich klar. Da geht es einfach um Fitness und schnelles Segeln.
Mit der Hitze in Marseille, wo die Temperaturen in diesen olympischen Wochen stets jenseits der 30 Grad liegen, kommst du gut klar?
Wir waren ganz besonders bei den letzten Olympischen Spielen in Enoshima und auch bei der WM in Mexiko damals, wo ich nun schon zweimal war, unter deutlich schlimmeren Bedingungen unterwegs. Deshalb kennen wir das schon ein bisschen. Der Umgang mit der Hitze ist relativ routiniert und gar nicht so dramatisch. Wir haben unsere Kühlwesten an, damit unsere Körperkerntemperatur irgendwie unter Kontrolle bleibt, solange wir das können.
Und wenn wir mal auf dem Wasser sind, ist es auch nicht mehr ganz so dramatisch. Das Wasser ist doch relativ kühl. Und die Temperaturen liegen vielleicht bei 30 bis 35 Grad. Das ist ja noch machbar. Wenn man dann noch ab und zu etwas frisches Wasser ins Gesicht und über die Arme bekommt, hält es sich alles in Grenzen. Dann schafft man es auch gut durch so ein Race. In dem Fall packt man sich ein kleines bisschen Eis in den Nacken und kommt gut klar. Es ist also nicht so superspeziell. Klar ist es ein bisschen wärmer als in Kiel, aber nicht extremst heiß.
Du bist fast dein Leben lang überzeugter Ilca-Segler – warum hat es dir diese Bootsklasse so angetan?
Die Ilca-Klasse ist meiner Meinung nach die puristischste Klasse unter den olympischen Segeldisziplinen. Das Boot ist relativ einfach. Es gibt verhältnismäßig wenige, nur die Basic-Verstellmöglichkeiten für Segel und alles, was dazugehört. Wir bekommen hier alle ein neues Boot zur Verfügung gestellt. Die sind alle identisch und noch mal speziell auf Gleichheit kontrolliert. Das heißt am Ende – und das ist eigentlich der wesentliche Gedanke – geht es darum, dass der Athlet und die Leistung des Athleten im Fokus stehen. Die Leistung des Athleten entscheidet, wer auf dem Podium steht und wer gewinnt. Nicht irgendein Materialvorteil oder sonst was.
Wir sind verhältnismäßig langsam, wahrscheinlich mit Abstand die Langsamsten, aber umso dichter ist das Racing. Wir sind weltweit die olympische Klasse mit der größten Verbreitung. Auch, weil das Boot preislich am günstigsten ist. Das erzeugt eine große Breite und eine hohe Leistungsdichte in der Spitze der Segler weltweit, die in dieser Klasse segeln. Das ist der besondere Reiz, die Herausforderung für den Wettkampf und den Fight um jeden Meter.
Wie würdest du deine Vorbereitungen auf den olympischen Gipfelsturm beschreiben?
Am Ende ist es für jeden olympischen Athleten ein großes Lebensprojekt, wenn man bei Olympischen Spielen erfolgreich sein will. Das ist ja für einen Sportler der größte Event, den es gibt. Um dort erfolgreich zu sein, musst du dich gegen die Athleten der ganzen Welt durchsetzen. In meinem Fall ist es so, dass ich die Bootsklasse segle, seit ich ein kleines Kind bin. Damals Laser und noch ein paar Jahre mit einem kleineren Segel, jetzt Ilca, insgesamt schon seit 23 Jahren.
Das Lernen und das Ringen um Verbesserungen hat viele, viele Jahre in meinem Leben die höchste Priorität gehabt. Da sind andere Sachen kürzer gekommen. So was wie das Studium, das ich abgebrochen habe. Manchmal habe ich eine Freundin verloren, weil ich einfach zu viel unterwegs war. Die Familie hat vieles hintenangestellt. Die Freunde müssen häufig warten. Ich habe meine Heimat, das Allgäu, zumindest temporär für Kiel eingetauscht. Das sind alles Entbehrungen, die immer Sinn und immer Spaß gemacht haben, weil es für mich ein großes Privileg ist, so einen Sport ausüben zu dürfen und Menschen wie hier zu treffen.
Diesen olympischen Vibe hier miterleben zu dürfen, das ist was Besonderes. Und als Sportler kommt man dann immer wieder schnell zu dem Schluss, dass die Teilnahme und diese Medaille das Wichtigste im Leben sind. Wenn man aber ein bisschen Erfahrung hat, die ich jetzt habe, ab und zu mal einen Schritt zurücktritt und etwas rauszoomt, dann merkt man, dass es einfach eine schöne Chance ist, ein schönes Privileg, aber nicht das Ein und Alles.
Vielleicht schaffe ich es ja diese Woche, in meinem Wettkampf diese Einstellung ein bisschen durchgehend in meinem Kopf zu behalten und es als schöne Chance zu sehen, hier meine Leistung zeigen zu dürfen. Und wenn mich diese Einstellung etwas entspannt, nicht der Druck da ist, dass das jetzt das Wichtigste ist in meinem Leben ist, der mich mehr verkrampft als löst, so wie in Rio, dann wäre es ganz gut. Ich hoffe, ich kriege es hin, etwas lockerer zu sein und das als Chance zu sehen.
Strebst du da draußen auf den Kursen nach dem perfekten Rennen? Gibt es das überhaupt im komplexen Segelsport?
Wahrscheinlich ist ein perfektes Rennen schwierig erreichbar. Aber wenn man das perfekte Race in Relation zu seinen Gegnern sieht, dann ist es ja schon perfekt, wenn du als Erster über die Ziellinie fährst. Denn am Ende zählen wir nicht die Zeit. Wir zählen die Punkte. Solange du einen ersten Platz segelst, hast du das Beste erreicht, das man erreichen kann. Das mit dem perfekten Rennen kann man also aus mehreren Perspektiven sehen. Wir kämpfen immer gegeneinander, immer in Relation zur Konkurrenz.
Wer waren und sind die Unterstützer auf deinem Weg?
Die Leute, die hinter mir standen, um das alles zu ermöglichen, sind zuerst meine Eltern. Mein Papa allen voran, der wirklich sehr, sehr viel auch recherchiert hat und bis heute noch den Wetterbericht für mich macht. Meine Mama hat mich viele Jahre in der Schulzeit durch ganz Europa zu Regatten mit dem Auto gefahren. Das Commitment familienseits ist da. Meine Schwestern mussten da wahrscheinlich ein bisschen drunter leiden. Also danke ich auch ihnen.
Dann natürlich meiner Partnerin, einigen Sponsoren und Supportern, die mir ziemlich viel mit auf den Weg gegeben haben. Das sind tolle Persönlichkeiten, die mich unterstützt haben. Natürlich bin ich meinem Coach dankbar und meinen nationalen und internationalen Trainingspartnern, ohne die geht es nicht. Und ganz vielen anderen, die ich gar nicht alle erwähnen kann. Auch dem Verband. Es ist bekannt, dass ich nicht immer happy und 100-prozentig hinter allem stehe, was die machen, aber im Wesentlichen geht es uns schon ganz schön gut als deutschen Seglern im Vergleich zu manchen anderen Konkurrenten, die einfach ganz andere Situationen vorfinden als wir. Uns wird schon ganz schön viel unterm Hintern gerichtet. Ich bin ja immer sehr kritisch und perfektionistisch, aber in der Summe spielen wir im Deutschen Segler-Verband schon in der höheren Liga.
Du sagst, du siehst deinem Wettkampf wie einer Prüfung entgegen. Wie meinst du das?
Wir segeln ja immer gegen die Konkurrenz und sind bei der eigenen Leistung auch darauf angewiesen, wie gut die Konkurrenz ist und wie viel die Konkurrenz im Wettkampf umsetzen kann. Es ist so: Wir lernen alle auf eine große Prüfung. Unser ganzes Leben lang. Mal mindestens vier Jahre von Spielen zu Spielen. In diesem Fall drei Jahre. Am Ende ist der Gewinner der, der die beste Arbeit schreibt. Es geht nicht darum, ob jemand die höchste Gesamtpunktzahl erreicht. Du musst einfach nur die beste Arbeit schreiben.
Dabei kommt es darauf an, wer von deinen Konkurrenten wie gut vorbereitet ist. Vielleicht ist auch einer der Konkurrenten besser vorbereitet als du, hat aber an einem Tag einfach einen Blackout. Oder er erinnert sich in der Woche nicht so gut an die Sachen, die er gelernt hat. Der ist dann vielleicht schlechter als du. Du kannst also auch dann gewinnen, wenn du nur 60 Prozent der Antworten richtig hinbekommen hast. Manchmal hast du einfach eine extrem starke Konkurrenz und brauchst halt 95 Prozent der richtigen Antworten, um die beste Arbeit zu schreiben. Vielleicht hilft das etwas, die Anforderungen zu verstehen.
Es geht bei uns allen immer nur darum, wie gut man in der Woche ist. Jetzt ist das Lernen abgeschlossen. Es geht darum, die Bücher zur Seite zu legen und möglichst das, was ich weiß, auch umzusetzen und nicht noch in letzter Sekunde was Spezielles machen zu wollen und dabei das Wesentliche wieder zu vergessen.
Ob Philipp Buhl das Vorhaben gelingt, wird sich ab heute zeigen. Sein erstes olympisches Rennen läuft an diesem Donnerstag seit kurz nach 13 Uhr.
“Burning for Paris 2024” – Philipp Buhl in der Nahaufnahme: