Ist Sean „Diddy“ Combs der Weinstein des Pop?

14 Stunden vor

Der Rapper Sean „Diddy“ Combs sitzt in Untersuchungshaft, ihm werden schwerer Menschenhandel und sexueller Missbrauch vorgeworfen. Reißt er Hollywood mit in den Abgrund?

„Die Mauer des Schweigens ist gebrochen“, sagte Anwalt Tony Buzbee diese Woche in Texas bei einer Pressekonferenz. Er meinte damit jenen Wall, der den Rapper Sean Combs über Jahrzehnte abgeschirmt hatte; ihn – glaubt man den massenhaft Anschuldigungen– in Ruhe delinquent walten hat lassen. 120 Menschen mit Vorwürfen gegen Combs will Buzbees Kanzlei vertreten – 60 Frauen, 60 Männer, davon 25 minderjährig, der jüngste neun Jahre alt. Und es könnten noch mehr werden.

Zuvor schon hatten mutmaßliche Opfer (als Erste Combs Exfreundin Cassie Ventura 2023) vereinzelt Klagen eingereicht. Schließlich hat im September die Staatanwaltschaft des Southern District of New York Anklage gegen Combs erhoben. Auf 14 Seiten Anklageschrift steht detailliert beschrieben, wie der Rapper ein regelrechtes System aufgebaut haben soll, um Menschen sexuell gefügig zu machen. Mithilfe eines ganzen Angestelltenapparats – die Staatsanwaltschaft nennt es „kriminelles Unternehmen“. Opfer dürften mit dem Versprechen einer blühenden Musikkarriere gelockt worden sein. Bei Combs’ „Freak offs“ – so nannte er offenbar seine aufwendig organisierten sexuellen Geschehnisse, offiziell Partys – sollen sie unter Drogen gesetzt und zum Sex gezwungen worden sein. Die Szenen seien aufgezeichnet worden und Opfer mit dem Videomaterial anschließend erpresst.

Cassie Ventura mit Sean Combs bei der Met-Gala 2018.

Cassie Ventura mit Sean Combs bei der Met-Gala 2018. Reuters / Eduardo Munoz

In „Brooklyns Hölle“

Combs ist Musikmogul, gilt als einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Künstler der Neunzigerjahre. Er ist bekannt für die Nummern „I’ll Be Missing You“ und „Bad Boy for Life“. Auch bei anderen Musikern hat er viel mitgemischt, und er ist ein erfolgreicher Unternehmer: Er macht in Parfum und Schmuck, ihm gehört die Wodka-Marke Cîroc. Sagt einem sein Name nichts, klingelt es vielleicht bei Puff Daddy oder P. Diddy, einfach Diddy, PD oder Love. Hinter jedem dieser Pseudonyme steckt Combs. Und er nun im Gefängnis in Brooklyn.

Am 16. September wurde der Rapper in New York festgenommen. Aktuell sitzt er in Untersuchungshaft. Zwei Versuche seiner Anwälte, ihn gegen Kaution herauszuholen, scheiterten. Im Metropolitan Detention Center, „Brooklyns Hölle“ genannt, harrt er nun des Prozessbeginns. Wann es zur Verhandlung kommt, ist noch nicht bekannt. Ob Combs verurteilt wird, ist natürlich offen. Im Falle eines Schuldspruchs droht ihm lebenslange Haft.

Sean Combs während einer Kautionsanhörung vor einem Bundesgericht im Stadtbezirk Manhattan von New York City, am 18. September 2024.

Sean Combs während einer Kautionsanhörung vor einem Bundesgericht im Stadtbezirk Manhattan von New York City, am 18. September 2024. Reuters / Jane Rosenberg

Der Rapper selbst plädiert auf „nicht schuldig“, bisherige Funde ergeben aber ein anderes Bild: Im März 2024 fanden Ermittler (teilweise illegale) Schusswaffen und absurde Mengen Babyöl und Gleitgel (mehr als 1000 Flaschen) in seinen beiden Häusern in Miami und Los Angeles. Der Fund passt zur letztjährigen Klageschrift Venturas, wonach Babyöl bei Combs’ „Freak offs“ großzügig zum Einsatz kam. Im Mai 2024 veröffentlichte der US-Sender CNN ein Video, das Combs zeigt, wie er Ventura, seine damalige Partnerin, in einem Hotel zu Boden schlägt, nach ihr tritt und sie dann über den Flur schleift. Dafür hat sich Combs dann öffentlich entschuldigt (abstreiten war hier offensichtlich keine Option). Nach jahrzehntelangem Walten – die Vorwürfe reichen zurück bis in die Neunzigerjahre – muss er sich nun bald für illegale Geschäfte, schweren Menschenhandel und Förderung zur Prostitution vor Gericht verantworten.

Im Fall Combs sehen viele das Potenzial eines Wendepunkts für das Pop-Geschäft, wie es jener Harvey Weinsteins beim Film war. Für einen derart gut verbandelten Mogul haben sich – wie bei Weinstein – kaum Menschen zur Unterstützung von Combs gemeldet. Wird ein jeder Freund bald beteuern, ihn nur flüchtig gekannt zu haben? Im Netz mehren sich jedenfalls bereits Theorien darüber, wer über die Übel Bescheid wusste.

„R-A-P-E-R“ und „Yummy“

So hatte R&B-Sänger Usher schon 2016 einmal – recht salopp – über die von Combs organisierten Zusammenkünfte erzählt. Ashton Kutcher sprach ebenso rätselhaft davon, bezeichnete Combs immer wieder als Freund. Online kursiert außerdem zuhauf Bildmaterial von namhaften Prominenten auf Combs’ berüchtigten „White Partys“ (ob diese mit den „Freak offs“ in Verbindung stehen, ist nicht bekannt).

»I’m like a R-A-P-E-R / got so many S-AS / wait, he didn’t just spell the word ‚rapper’ and leave out a P, did he? «

Eminem in „Fuel“

Popstar Justin Bieber wird von vielen im Netz als Opfer vermutet – er war schon als 15-Jähriger in der Obhut von Combs. In Videoschnipseln, in denen er mit Combs zu sehen ist, wirkt der minderjährige Bieber oft angespannt, vereinzelt gar sediert. Derzeit wird spekuliert, ob sein Musikvideo zu „Yummy“ auf eine von Combs’ Partys anspielt. Bieber ist darin deutlich jünger als andere (weiß gekleidete) Gäste, ihm werden merkwürdige Speisen serviert. Geäußert hat sich der Sänger bislang nicht.

Viral geht derzeit auch die Nummer „Fuel“ aus Eminems jüngstem Album. Mit zweideutiger Raffinesse beschimpft er darin Combs, wie er es schon seit Jahrzehnten zu tun weiß – nur noch deutlicher als sonst: Er bringt ihn mit dem Wort „Raper“ (zu Deutsch: Vergewaltiger) in Verbindung. Rapperkollege 50 Cent hat sich ebenso schon häufiger gegen Combs geäußert, schon vor Jahren auf der Bühne gesagt, er bleibe von dessen Partys fern. Nun hat er eine Doku-Serie über Combs angekündigt, die weit über die Schlagzeilen hinaus gehen soll. Netflix hat sich die Rechte gesichert. Falls Combs bald untergeht, bleibt die Frage: Wer geht mit ihm?

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