„Verzweiflungstat eines gescheiterten Präsidenten“: Pressestimmen ...

14 Stunden vor

Das „Wall Street Journal“ sieht in Südkorea einen bestandenen Demokratie-Test, die „NZZ“ schreibt von einer Verzweiflungstat eines gescheiterten Präsidenten. Die tschechische „Lidove noviny“ ortet bei der Demokratie in Südkorea noch Nachholbedarf.

Südkorea - Figure 1
Foto DiePresse.com

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol ist mit Massenprotesten und Rücktrittsaufforderungen konfrontiert. APA / AFP / Philip Fong

Zeitungen kommentieren am Mittwoch die innenpolitische Krise in Südkorea, wo Präsident Yoon Suk-yeol kurzzeitig das Kriegsrecht ausgerufen hatte:

„Wall Street Journal“ (New York)

„Südkoreas Demokratie hat am Dienstag ihre größte Bewährungsprobe seit Jahrzehnten bestanden, als sie die zweifelhafte Verhängung des Kriegsrechts durch Präsident Yoon Suk-yeol schnell zurückwies. (...)

Auch wenn die unmittelbare Krise in Seoul vorüber ist, werden die politischen Folgen noch einige Zeit nachwirken. Die Abgeordneten könnten versuchen, Yoon seines Amtes zu entheben - mit ungewissen Folgen.

Die Südkoreaner haben Opfer gebracht, um ihre Freiheit gegenüber dem Norden zu bewahren und in den 1980er Jahren eine autoritäre Herrschaft zu beenden. Die Ereignisse von Dienstag deuten darauf hin, dass die demokratische Kultur Wurzeln geschlagen hat, was mit Blick auf einen der wichtigsten Verbündeten der USA im asiatisch-pazifischen Raum beruhigend ist.“

„Neue Zürcher Zeitung“

„Die Ausrufung des Kriegsrechts mutete wie die Verzweiflungstat eines gescheiterten Präsidenten an. Seine Partei hatte die letzte Parlamentswahl verloren, das Budget der Regierung war am Widerstand der linken Opposition gescheitert. Yoon fühlt sich von politischen Gegnern bedrängt und hat sich mit Skandalen und Fehlleistungen selbst in eine Ecke manövriert. Woche für Woche marschieren Menschenmassen zum Protest gegen ihn auf. (...)

Das Land wird von dem bis zu den Zähnen bewaffneten Nachbarn im Norden bedroht. Kim Jong Uns Schreckensregime ergötzt sich an der Vorstellung, die südkoreanische Hauptstadt Seoul zu vernichten. Die nordkoreanischen Generäle sammeln an der Seite russischer Truppen gerade wertvolle Kriegserfahrung. Gegen den Feind im Norden braucht es glaubwürdige militärische Abschreckung und gewiss keinen Coup.

Yoon Suk Yeol hat mit seinem Angriff auf die Demokratie jegliches Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Auch das Militär hinterlässt einen zweifelhaften Eindruck. Statt sich sofort und unmissverständlich von Yoon zu distanzieren, fuhren zunächst Panzer auf. Südkorea hat seine autoritäre Vergangenheit erst in den Achtzigerjahren abgelegt. Das demokratische Südkorea zeigt seither, zu welchen Leistungen ein freiheitliches System fähig ist. Diese Errungenschaft gilt es mit allen Mitteln zu verteidigen.“

„Lidove noviny“ (Prag)

„Dies geschieht ausgerechnet in einem Land, das ein Gegenpol zum totalitaristischen und militaristischen Nordkorea sein soll. Südkorea hat sich eine prestigeträchtige Stellung in der Entwicklung und Produktion von Autos, Computern, Handys, Filmen und Computerspielen erarbeitet. Es hat einen Ruf als Hort der Meinungsfreiheit und als kultivierte Demokratie errungen. Doch wie man sieht, hapert es offensichtlich irgendwo. (...)

Die Älteren unter uns, die Generation der 80- und 90-Jährigen, werden sich indes noch gut an eine Zeit erinnern, als sich Nord- und Südkorea gar nicht so unähnlich waren. Denn lange hatte auch in Südkorea das Militär das Sagen. Und es ging nicht zimperlich mit Widerstand um. Eine Demokratie westlichen Stils konnte sich erst nach den Olympischen Spielen von 1988 durchsetzen. (...)

Sicherlich steht Südkorea bereits seit einem dreiviertel Jahrhundert unter einer konkreten und bedrohlichen Gefahr, wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Das ist eine Situation, die ständige Wachsamkeit und Aktionsbereitschaft erfordert. (...) Doch berechtigt das dazu, die Opposition als pro-nordkoreanische und antistaatliche Elemente zu beschimpfen?“

„ABC“ (Madrid)

„Dass eine liberale Demokratie nicht garantiert ist, ist eine Binsenweisheit, die gestern in Südkorea, einem der fortschrittlichsten und wohlhabendsten Länder der Welt, Realität wurde. (...) In seiner Rede, die an die Militärdiktatoren der 1960er und 1970er Jahre erinnerte, sagte Yoon, er habe keine andere Wahl als das Kriegsrecht zu verhängen, um die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen (...). Er beschuldigte die Opposition, den Interessen des kommunistischen Regimes in Nordkorea zu dienen (...).

Die Episode ereignet sich zudem in einer Region, in der sich das Beispiel des autoritären Regimes in China ständig als wirksamere Alternative zur liberalen Demokratie anbietet. Diese Woche war für deren Anhänger eine düstere. Zunächst beschließt (US-Präsident) Joe Biden, seinen Sohn Hunter zu begnadigen, und missbraucht damit das präsidiale Vorrecht in dem Land, das in der Welt als Leuchtturm der rechtsstaatlichen Demokratie gegolten hat.

Und gestern wandelte Südkorea auf dem schmalen Grat zwischen Rechtsstaatlichkeit und Diktatur und erinnerte uns daran, dass Länder die Demokratie viel schneller verlieren können, als sie benötigten, um sie zu gewinnen.“ (APA/dpa)

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