Kriegsrecht-Coup in Südkorea gescheitert: Amtsenthebung von Präsident Yoon ...

18 Stunden vor

Für wenige Stunden hatte Südkoreas Präsident Yoon das Kriegsrecht ausgerufen. Nun rufen immer mehr Stimmen nach seinem Rücktritt. Die Opposition beantragt die Amtsenthebung und stellt Yoon ein Ultimatum.

Südkorea - Figure 1
Foto DiePresse.com

Vor allem im Gebäude des Parlaments in Seoul zeigen sich noch die Spuren der chaotischen vergangenen Nacht. Reuters / Kim Hong-ji

Am nächsten Morgen zeigte sich die südkoreanische Hauptstadt fast so, als wäre nichts gewesen. Als hätte das Land nicht die wohl turbulentesten politischen Stunden der letzten Jahre hinter sich. Nur mehr die erhöhte Polizeipräsenz erinnert noch an den Ausnahmezustand, den der amtierende Präsident verhängte. Abseits der Bereitschaftspolizisten, meist junge Koreaner im Wehrdienstalter, ist es ruhig. Der Seouler Alltag zeigt sich praktisch unbeeindruckt: Die Leute strömen aus überfüllten Bussen in die gläsernen Bürotürme, viele der Angestellten haben einen obligatorischen Kaffeebecher in der Hand.

Doch in der Nacht zuvor hat sich ein politisches Schauspiel zugetragen, das selbst für das zum Drama neigende Korea seinesgleichen sucht: Der konservative Präsident Yoon Suk Yeol hat – für praktisch alle politischen Beobachter vollkommen überraschend – das Kriegsrecht für sein Land ausgerufen. Die radikale Maßnahme erinnert an die dunklen Tage der Militärdiktatur: Zuletzt wurde im Frühjahr 1980 ein solcher Ausnahmezustand verhängt, und damals wurde er mit der Gefahr durch Nordkorea begründet.

Fast 45 Jahre später zitiert Yoon ebenfalls die Bedrohung aus dem Norden. Er warf der oppositionellen Linken vor, mit dem Regime in Pjöngjang zu sympathisieren – ohne jedoch konkrete Beweise vorzulegen. Das Kriegsrecht würde darauf abzielen, „pro-nordkoreanische Kräfte auszuradieren“ und die freiheitliche Ordnung zu sichern. Dabei handelt es sich offensichtlich um die "Kommunisten-Keule", die die Rechte pauschal regelmäßig gegen die linke Opposition schwingt.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol steuert sein Land in eine politische Krise. APA / AFP / Handout

Ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver

Ein anderer Vorwurf ist jedoch konkreter zu fassen: Dass die Opposition den Staat „lähmen“ würde, wie Yoon behauptet, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Erbittert streiten die politischen Fraktionen seit Wochen bereits um ein Haushaltsgesetz für das kommende Jahr, zudem hat die Linke inflationär Anträge für Amtsenthebungsverfahren eingereicht. Doch daraus die Notwendigkeit für das Verhängen des Kriegsrechts abzuleiten, scheint dennoch absurd.

Für viele Experten mutet eine andere Erklärung naheliegend: Yoon Suk Yeol hat nach massivem innenpolitischen Druck ein Ablenkungsmanöver gestartet. Von extrem niedrigen Beliebtheitswerten und Korruptionsvorwürfen gegen seine Ehefrau geplagt, hatte es zuletzt mehrere Wochenenden in Folge Anti-Regierungs-Demonstrationen in der Seouler Innenstadt gegeben. Möglicherweise wollte Yoon der sich aufbauenden Dynamik einen Riegel vorschieben.

Die Maßnahme ging jedoch nach hinten los. Innerhalb der Nationalversammlung eilten die Abgeordneten nachts in den Plenarsaal. Lee Jae Myung, Anführer der linken Opposition, filmte sich im Live-Stream, wie er – vorbei an Sicherheitspolizisten – über den abgesperrten Zaun in die Parlamentsanlage springt. Dort stimmten sämtliche 190 anwesenden Politiker, dass Präsident Yoon das Kriegsrecht wieder zurücknehmen solle. Eindeutiger ließ sich nicht offenbaren, dass ein Staatsoberhaupt sein politisches Rückgrat verloren hat.

Viele Menschen auf den Straßen der südkoreanischen Hauptstadt Seoul forderten den Rücktritt ihres Präsidenten. Reuters / Kim Hong-ji

Soldaten verlassen das südkoreanische Parlament in Seoul. Reuters / Yonhap

Jubel nach Zurücknahme von Kriegsrecht

Und auf dem anderen Ende des abgesperrten Geländes hatten sich mehrere tausend Demonstranten eingefunden, die Fahnen schwingend und musizierend Yoons Rücktritt forderten. Bis auf kleinere Rütteleien blieb es in dieser Nacht friedlich. Dass sich unter der Oberfläche jedoch eine Menge Frust gegenüber dem Staatsoberhaupt angesammelt hat, war dennoch deutlich.

Es dauerte ein paar Stunden, bis Yoon vor Morgengrauen der Abstimmung der Abgeordneten folgte und das Kriegsrecht wieder aufhob. Die Demonstranten nahmen die Entscheidung mit Jubel auf: Denn tatsächlich hätte das Kriegsrecht massive Folgen gehabt – sämtliche politische Aktivitäten sind darunter verboten, auch die Berichterstattung der Medienhäuser wäre massiv eingeschränkt.

Am Tag danach deuten nun alle Zeichen auf Neuwahlen hin. Denn Yoon Suk Yeol erfährt nicht nur Gegenwind von der Öffentlichkeit und der Opposition, sondern auch von den eigenen Reihen. Sein eigener Parteichef, Han Dong Hoon, hat sich unmittelbar gegen das Kriegsrecht ausgesprochen und angekündigt, dieses „mit dem Volk stoppen“ zu wollen.

Druck von Verteidigungsminister

Mittlerweile haben sämtliche ranghohen Sicherheitsberater von Yoon ihren Rücktritt angeboten. Und etliche Abgeordnete haben sich für ein Ultimatum ausgesprochen: Demnach habe der Präsident 72 Stunden Zeit, von sich aus zurückzutreten. Ein Amtsenthebungsverfahren wurde mittlerweile beantragt.

Zudem hat sich mittlerweile ein wenig der Nebel über die politischen Hintergründe gelegt: So soll Präsident Yoon von seinem Verteidigungsminister zu der Entscheidung gedrängt worden sein, auch der Sicherheitsminister hat das Ausrufen des Kriegsrechts befürwortet. Doch es scheint, als ob es sich auch um zwei klassische Sündenböcke handelt. Denn feststeht: Es gibt auch prominente Gegenstimmen in der Regierung, darunter die Außen- und Finanzminister. Und schlussendlich wird die Öffentlichkeit nur eine Person für die umstrittene Entscheidung zum Kriegsrecht verantwortlich machen: den Präsidenten selbst.

Südkorea im Überblick

Bei der Parlamentswahl im April 2024 hat die sozialliberale Opposition einen überwältigenden Sieg über die Regierungspartei des konservativen Präsidenten Yoon errungen. Durch den Erfolg der Opposition bei der Wahl droht dem Präsidenten nun, während seiner noch verbleibenden drei Jahre im Amt innenpolitisch weitgehend handlungsunfähig zu werden. In Südkoreas Präsidialsystem laufen fast alle wichtigen Entscheidungen über das Staatsoberhaupt. So ernennt der Präsident auch den Premierminister. Allerdings erfordert dessen Ernennung die Zustimmung des Parlaments.

Südkorea und Nordkorea befinden sich seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 weiter im Kriegszustand, in jüngster Zeit hatten die Spannungen zwischen beiden Ländern zugenommen.

Die Regierung von US-Präsident Biden stehe in Kontakt mit der südkoreanischen Regierung und beobachte die Situation genau, hieß es aus dem Weißen Haus in Washington D.C.

Seit Monaten hatten sich zuletzt die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel erhöht. Nordkorea baute in den vergangenen zwei Jahren seine Raketentests deutlich aus und verschärfte seine Rhetorik gegen die USA und Südkorea.

Zudem schickte Nordkorea laut Angaben des südkoreanischen Geheimdienstes und des US-Verteidigungsministeriums über 10.000 Soldaten nach Russland, wo diese teilweise rund um Kursk gegen das ukrainische Militär kämpfen.

Zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt

Die Ereignisse in Südkorea sind auch von weltwirtschaftlicher Bedeutung. Südkorea ist die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Für Österreich ist das Land nach den USA, China und Japan der viertgrößte Handelspartner außerhalb Europas. Südkorea ist in wichtigen Technologien Weltmarktführer. Etwa in der Halbleiterindustrie. Samsung ist der weltgrößte Chip-Konzern. Die Samsung-Aktie gab an der Londoner Börse um 7,5 Prozent nach.

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