In Schaffhausen kam es zu einem ersten Einsatz der Sarco-Kapsel

Im Kanton Schaffhausen nimmt sich eine erste Person in der Suizidkapsel Sarco das Leben

Die Kapsel kam am Montag in einer Waldhütte bei Merishausen das erste Mal zum Einsatz. Die Schaffhauser Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord eingeleitet.

Sarco Suizidkapsel - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Die Suizidkapsel Sarco. Diese Woche kam sie in Schaffhausen ein erstes Mal zum Einsatz.

Ennio Leanza / EPA

In Schaffhausen ist es zu einem ersten Einsatz der Sarco-Kapsel gekommen. Das bestätigt der Sarco-Erfinder Philip Nitschke der NZZ.

Wie die Staatsanwaltschaft Schaffhausen mitteilt, ist die umstrittene Suizidkapsel Sarco am Montag in einer Waldhütte bei Merishausen im Kanton Schaffhausen erstmals eingesetzt worden. Eine Person, laut der niederländischen Zeitung «de Volkskrant» eine 64-jährige Amerikanerin, nahm sich darin mit Stickstoff das Leben. Laut Staatsanwaltschaft wurde die Polizei um 16 Uhr 40 am Montagnachmittag von einer Anwaltskanzlei über den Einsatz informiert. Die Schaffhauser Polizei rückte daraufhin an den Tatort aus und verhaftete mehrere Personen.

Die Staatsanwaltschaft Schaffhausen hat gegen mehrere Personen ein Strafverfahren wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord eröffnet. Mehrere Personen befänden sich in Polizeihaft, hiess es. Möglicherweise befindet sich darunter auch Florian Willet, der Co-Präsident der Schweizer Sarco-Organisation The Last Resort («der letzte Ausweg»). Die Sarco-Kapsel sei beschlagnahmt worden, meldet die Polizei. Die verstorbene Person wurde zur Obduktion ins Institut für Rechtsmedizin in Zürich gebracht.

Der Sarco lässt sich von der sterbewilligen Person per Knopfdruck bedienen. Die Kapsel füllt sich mit Stickstoff, der Insasse stirbt an Sauerstoffmangel. Es ist eine Methode, die ohne Gift auskommt, das getrunken oder intravenös verabreicht werden muss. Der Tod soll schnell eintreten.

Christian Jackowski, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Bern, erklärte gegenüber der NZZ, dass Sauerstoffmangel vom Körper als eher angenehm empfunden werden könne. Damit bei Sauerstoffmangel keine Erstickungsgefühle auftreten, ist es laut dem Mediziner entscheidend, dass der Körper das Kohlendioxid gut abatmen kann. Dafür muss der Behälter, der den Kopf oder den Körper einer sterbewilligen Person umgibt, ein Volumen von mindestens fünf bis zehn Litern haben – diese Bedingung erfüllt die Sarco-Kapsel problemlos.

Baume-Schneider griff gegen Suizidkapsel durch

Brisant ist der Zeitpunkt der Premiere: Erst am Montag hatte Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider in der Fragestunde des Nationalrates klargemacht, dass sie einen Einsatz des Sarco in der Schweiz für gesetzeswidrig hält. «Die Suizidkapsel Sarco ist in zweierlei Hinsicht nicht rechtskonform», betonte Baume-Schneider. Zum einen erfülle sie die Anforderungen des Produktesicherheitsrechts nicht. «Sie darf daher nicht in Verkehr gebracht werden.» Wer bei einem Verstoss gegen dieses Verbot zuständig sei, müsse im Einzelfall geklärt werden, sagte die SP-Bundesrätin.

Ursprünglich hätte die Kapsel im Juli im Kanton Schaffhausen ein erstes Mal eingesetzt werden sollen, wie die NZZ publik machte. Das scheiterte damals am Umstand, dass sich die Amerikanerin, die für die Premiere vorgesehen war, mit den Sarco-Leuten überwarf. Dies auch, weil sie durch die öffentlichen Debatten über die Rechtmässigkeit der Kapsel verunsichert war.

Hier bekommen Sie Hilfe:

Wenn Sie selbst Suizid-Gedanken haben oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, wenden Sie sich bitte an die Berater der Dargebotenen Hand. Sie können diese vertraulich und rund um die Uhr telefonisch unter der Nummer 143 erreichen. Spezielle Hilfe für Kinder und Jugendliche gibt es unter der Nummer 147.

Die Sarco-Promotoren hingegen waren stets davon ausgegangen, dass es zu einem Strafverfahren kommt – dass sie dieses jedoch gewinnen würden. Bereits 2021 hatten sie ein juristisches Gutachten bei einer renommierten Zürcher Kanzlei in Auftrag gegeben. Das Ergebnis damals: Der Sarco verstosse gegen kein Schweizer Gesetz.

Nitschke setzt sich seit Jahren für Sterbehilfe ein

Mit dem Ersteinsatz geht für Philip Nitschke ein Traum in Erfüllung. Der australische Aktivist kämpft schon seit Jahrzehnten für eine Liberalisierung der Sterbehilfe. Alle zurechnungsfähigen Erwachsenen sollten das Recht auf einen selbstgewählten friedlichen Tod haben, findet er – auch wenn sie bei guter Gesundheit sind.

Nitschke hat einst einen Plastikbeutel entwickelt, der sich über den Kopf ziehen und abdichten lässt, über einen Schlauch gelangt Stickstoff in den Beutel. Der Sarco ist eine Weiterentwicklung dieser Suizidmethode. Den Apparat, den er zusammen mit dem niederländischen Designer Alexander Bannink entwickelt hatte, stellte Nitschke 2019 an der Designmesse von Venedig der Öffentlichkeit vor.

Der Sarco ähnelt nicht zufällig einem futuristischen Transportmittel: Er verhilft den Patienten laut dem Gestalter Bannink zu einer «letzten Reise», bei der sie durch den transparenten Deckel den Himmel im Blick haben. Deshalb wurde der Sarco auch schon als «Tesla der Sterbehilfe» bezeichnet.

Ursprünglich wollte Nitschke mit der Nordwestschweizer Sterbehilfeorganisation Pegasos zusammenarbeiten. Doch diese machte aus juristischen Bedenken einen Rückzieher und wollte danach nichts mehr mit Nitschke zu tun haben. Deshalb gründeten Nitschke und seine Partnerin Fiona Stewart den Schweizer Ableger The Last Resort.

Nitschke verfolgte den Vorgang in Schaffhausen aus der Ferne über eine Kamera und beschreibt gegenüber «de Volkskrant», wie er den Tod der Amerikanerin erlebte: Es habe genau so ausgesehen, wie sie es erwartet hätten. «Ich schätze, dass sie innerhalb von zwei Minuten das Bewusstsein verlor und nach fünf Minuten starb.» Es habe kleine Kontraktionen und Bewegungen der Muskeln in ihren Armen gegeben, aber da sei sie wahrscheinlich bereits bewusstlos gewesen.

Die Zentralschweizer Aktivistin Ingrid Hieronymi, die zu den Unterstützerinnen des Sarco-Projekts gehört, freut sich über den ersten Einsatz. Der Zeitpunkt sei gut gewählt, findet sie. «Nachdem Frau Baume-Schneider soeben versucht hat, dem Sarco-Projekt mit juristischen Spitzfindigkeiten noch mehr Steine in den Weg zu legen, war Eile angebracht. So konnte Sarco erfolgreich angewendet werden, bevor sich die politische Stimmung derart zugespitzt hätte, dass potenzielle Nutzer des Sarco abgeschreckt worden wären.»

Nun müssten die Gerichte über die Rechtmässigkeit der Anwendung entscheiden, sagt Hieronymi. Den Personen, die sich bei der ersten Anwendung engagiert hätten und erwartungsgemäss verhaftet worden seien, gebühre ein «grosses Lob für ihren Mut zum Tabubruch».

SVP-Nationalrätin ist entsetzt

Nina Fehr Düsel hingegen ist «entsetzt», dass der erste Sarco-Suizid Tatsache geworden ist. Die SVP-Nationalrätin war es gewesen, die von Baume-Schneider Auskunft zur Kapsel verlangt hatte. Die Juristin findet den Sarco nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus medizinischer und ethischer Sicht problematisch. Der Organisation The Last Resort wirft sie vor, in der Schweiz ein Geschäft mit dem Sterben machen zu wollen und damit auch den Sterbetourismus anzuheizen. Die Leute von The Last Resort hingegen betonten stets, die Benutzung des Sarco sei praktisch gratis.

Fehr Düsel plant trotzdem, im Parlament einen Vorstoss einzureichen, der weitere Einsätze des Sarco verhindern soll. Die Zürcherin möchte dabei nicht grundsätzlich die liberale Schweizer Sterbehilfepraxis aushebeln, denn dies würde auch die bewährten hiesigen Organisationen treffen. Stattdessen will sie erwirken, dass der «umstrittene» Einsatz von Stickstoff für die Suizidbegleitung verboten wird.

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