Sam Smith im Zürcher Hallenstadion: kräftige Stimme mit Message

Sam Smith: Die Stimme ist der Gesangskunst gewidmet. Der Bauch markiert nonbinäre Freiheit

Im Konzert im vollen Zürcher Hallenstadion gibt sich Sam Smith aber nicht mit der Kunst zufrieden. Die Musik des britischen Pop-Stars soll als Medium einer freiheitlichen Message dienen.

Sam Smith: Die Klamotten können die Bewegungsfreiheit einschränken.

Sam Smith: Die Klamotten können die Bewegungsfreiheit einschränken.

Gonzales Photo / Terje Dokken / Imago

Was soll der goldene Riese auf der Bühne? Völlig entblösst, aber mit dem Rücken gegen das Publikum streckt er die Beine auf die linke Seite, während das Gesicht nach rechts über die Schultern zeigt. Die gigantische Statue mag eine märchenhafte Vorstellung von Macht und Schönheit vermitteln. Wenn es um menschliche Grösse geht, kommen allerdings andere Dimensionen zum Tragen.

Das zeigt sich am Dienstagabend im vollen Stadion, wenn zwischen den Gliedern des Bühnengiganten die Menschlein zum Vorschein kommen, eins nach dem andern – eine Pianistin, eine Bassistin, ein Drummer, ein Gitarrist, ein Gesangstrio. Zuletzt erscheint zwischen dem goldenen Hinterteil und der goldenen Schulter endlich auch Sam Smith. Und wenn er nun zu seinem Gesang ansetzt, versteht man bald, was Smiths Bravour ausmacht.

Die zwei schönsten Balladen stehen am Anfang des Konzerts: «Stay With Me» und «I’m Not The Only One». Der britische Pop-Star mag etwas phlegmatisch wirken auf der Bühne. Zumal ihn die anfängliche Bekleidung – ein Konstrukt aus Hemd, Krawatte und einem an dieser angeknüpften Unterleibspanzer – etwas in der Bewegung behindert. Wenn er die Stimme erhebt, fühlt man sich als Zuhörer aber sofort wohl.

Herzerwärmende Stimme

In souligem Singen haucht Sam Smith den Melodien bald Wärme, bald Hitze ein. Dabei schwebt der Gesang mit Leichtigkeit durch die Register, die flammenden Koloraturen schrauben sich aus bauchigen Tiefen hoch in den Sopran, in den Falsett und zurück zu den Grundtönen. Und wenn der Pop-Star mit dem bulligen Gesicht sich dann bald einmal seines Panzers entledigt, um majestätisch zu tänzeln und fröhlich zu grinsen, erinnert er an eine glückliche Gottheit.

Ist es nicht schön, mag man sich denken, dass einen dieser singende Star dank vokaler Körperkultur natürliche Beschränkungen und Hemmnisse vergessen lässt in der Musik? Wenn sich im Publikum die Stimmen der weiblichen Fans zu stürmischen Chören verbinden, zu wogendem Geschrei, zur elementaren Kraft der Zustimmung und Begeisterung, dann liegt es nicht am Macho, der auf der Rampe seine Leiblichkeit zur Schau stellt.

Es liegt vielmehr an der expressiven und virtuosen Gesangskunst eines beseelten Mitmenschen, der damit offenbar Herzen erobert. Dass sich dieser aber auch von den zeitgeistigen Fragen nach Gender und körperlicher Identität in Anspruch nehmen lässt, zeigt sich im Konzert später immer deutlicher.

Die ersten zwei Drittel des Abends werden von Mid-Tempo-Soul und Pop-Balladen wie «Kissing You» oder «Lay Me Down» dominiert. Sam Smith setzt dabei immer wieder auf die wippende Gravitas der Phrasierung, die mit Gospelchören rhythmisch geschickt aufgelockert wird. Manchmal wie in «To Die For» greift Smith auf synthetische Effekte zurück, die den eigenen Gesang harmonisch auffächern.

Die Show ist vorläufig auf Kostümwechsel reduziert: Einmal zeigt sich Sam Smith in einem barocken, violetten Abendkleid, dann wieder in einem ausladenden Fummel in Rosa. Schliesslich auch in machoartigem Schwarz, um dem Publikum plötzlich Beine zu machen.

Disco- und Voguing-Klassiker

Mit poppigen Stücken wie «Gimme» und «I’m Not Here To Make Friends» wird das Tempo beschleunigt, «Promises» und «Latch» leiten in den letzten Teil über, in dem sich das Konzert in eine Party verwandelt. Rein musikalisch hat das zwar den Nachteil, dass der Gesang nun von den treibenden Dance-Rhythmen getaktet und diszipliniert wird. Tatsächlich lässt sich Sam Smith ins zweite Glied der Performance versetzen, um die Bühne weitgehend einer Tanzgruppe zu überlassen.

Im Pas de deux des Flirtens und Kopulierens erinnert die Choreografie an die amerikanische Voguing-Kultur der 1970er Jahre, als alle möglichen Übergänge und Mischformen von Sexualität tänzerisch gefeiert wurden. Passend zitiert auch die Band Disco- und Voguing-Klassiker wie «I Feel Love» von Donna Summer oder Madonnas «Human Nature». Die Atmosphäre wird sinnlich aufgeheizt. Der erotische Taumel aber soll auch eine Message transportieren.

Sam Smith versteht sich als nonbinär und macht sich stark für die Queer-Bewegung. Dabei reicht das Engagement für die Musik, in der sich das Geschlecht bloss auf die Frage von Dur und Moll reduziert, offenbar nicht. Vielmehr entblösst der Star im Finale von «Unholy» seinen üppigen Oberkörper, um sich als gewichtiger Bacchus für Lust, Freiheit und Toleranz einzusetzen.

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