Neuer Roman von Sally Rooney:Trauer, Liebe und all diese Gefühle

2 Stunden vor

Taylor Swift mag ihre Bücher, Sarah Jessica Parker lässt sich gerne mit einem ihrer Romane in der Hand fotografieren, und Barack Obama hat sie natürlich auch auf seiner „Must-Read“-Liste. Die Rede ist von der irischen Schriftstellerin Sally Rooney, die nicht nur von Prominenten hofiert, sondern auch von Millionen Leserinnen und Lesern geliebt wird. Rooneys Bücher erreichen eine schwindelerregend hohe Auflage, und die Veröffentlichung eines neuen Romans wird zelebriert wie ein Pop-Ereignis. Und jetzt ist es wieder so weit: Gestern ist weltweit der vierte Roman der 33-Jährigen erschienen. Er trägt den Titel „Intermezzo“, ist mit knapp 500 Seiten der bislang dickste Brocken der Irin, und die ersten Kritiken sind ziemlich einhellig hymnisch. Wie Rooney mit der Übersetzung des neuen Romans ins Hebräische umgehen wird, ist noch unklar. Als Mitglied der in Großbritannien sehr aktiven BDS-Bewegung ließ sie aus Protest gegen Israels Politik ihren dritten Roman nicht übersetzen.

Sally Rooney - Figure 1
Foto Kleine Zeitung

Literarisch gesehen ist Rooneys neuer Roman ein weiterer Entwicklungsschritt in der Vita einer Schriftstellerin, die seit ihrem Debütroman „Gespräche mit Freunden“ im Jahr 2017 (in deutscher Übersetzung 2019) als „Stimme der Millennials“ gehandelt und gehypt wird. Dem bereits enorm erfolgreichen Erstling folgte der Roman „Normale Menschen“, 2021 – mitten in der Pandemie – „Schöne Welt, wo bist du“ und jetzt eben der vierte Streich. Das Etikett „Popstar der Literatur“ bekam Rooney schnell verpasst, sie reagierte darauf mit Rückzug in die irische Provinz. Was den Rooney-Sound so einzigartig und magisch macht, ist schwer erklär- und entschlüsselbar. Die Themen, die Rooney beackert, sind im Grunde alt und immer die gleichen: Es geht um Beziehungen, Freundschaft, oft um das Erwachsenwerden. Die Millennials lieben und leiden wie die Altvorderen, aber sie gehen anders damit um. Diese großen Themen, diese latente Traurigkeit, beschreibt Rooney mit einer großen Natürlichkeit, hinter der sich freilich hohe literarische Kunstfertigkeit verbirgt.

Unfassbar klug und komplex

In ihrem neuen Roman wird das Tableau erweitert. Es geht nicht mehr nur um Zweierbeziehungen, sondern um das filigrane Konstrukt Familie. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein ungleiches Brüderpaar, das den Tod des Vaters bewältigen muss. Peter ist 33 Jahre alt, Anwalt, desillusionierter Frauenheld, liiert mit einer um etliches jüngeren Studentin. Peter ist einer, der „ganz leicht über die Oberfläche des Lebens gleitet“. Der Gegenentwurf dazu: Ivan ist 23, scheuer Datenanalyst, Schachwunderkind, trägt Zahnspange und viele Komplexe mit sich, dann lernt er eine Frau kennen, die um vieles älter ist als er. Beide Brüder gehen Beziehungen ein, „die durch die Umstände in etwas nicht Entzifferbares verstümmelt werden.“

Neu ist auch, dass Rooney hier aus der Perspektive von zwei Männern schreibt. Wie sie das tut, ist unfassbar klug und komplex. Ja, es wird wieder viel geredet. Über Persönliches, Politik, Chancengleichheit, Gerechtigkeit. Aber diese Dialoge sind ebenso geistreich wie sinnlich. Selbst die detailliert beschriebenen Sexszenen geraten Rooney nicht zur schlüpfrigen Peinlichkeit.

Wie in all ihren Romanen verweigert sich Rooney auch in „Intermezzo“ der Eindeutigkeit und dem klischeehaften Figurenschnitzen. Die Schriftstellerin selbst, ihre Roman-Menschen und die Leserinnen und Leser mit ihnen sind zwar erwachsen geworden, aber sie taumeln weiterhin durch eine Welt, in der sich alte Werte und Bedeutungen längst aufgelöst haben. Peter und Ivan sind unsicher und mitunter auch unsympathisch. Das macht sie angreifbar – aber auch greifbar. Und vielleicht findet sich hier die DNA zur Rooney-Literatur: Ihre „Buchmenschen“ sind aus Fleisch und Blut, mit Fehl und Tadel, und sie gehen einem so nahe, dass man es förmlich körperlich spürt. Kurz: Man ist ohne pickige Rührung berührt. Und das schafft nur große Literatur.

Sally Rooney. Intermezzo. Claassen, 490 Seiten, 24,70 Euro.

© Claassen

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