Nordkorea und der Ukraine-Krieg: "Enormer Prestigegewinn für Kim ...
interview
Stand: 25.10.2024 19:46 Uhr
Sollte Nordkorea tatsächlich Soldaten nach Russland entsenden, wäre das innenpolitisch ein Erfolg für Machthaber Kim, sagt der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank. Im Gespräch erläutert er, wovon Kim profitiert - und welche gewaltige Gefahr besteht.
tagesschau.de: Es gibt widersprüchliche und nebulöse Aussagen zur Entsendung nordkoreanischer Soldaten nach Russland und ihren Einsatz im Krieg gegen die Ukraine. Halten Sie es für denkbar, dass Nordkorea Russland auf diese Weise unterstützt?
Rüdiger Frank: Wir sind in einer Kriegssituation. Das bedeutet, man muss bei jeglichen Nachrichten immer skeptisch sein. Ich würde das Szenario aber nicht komplett von der Hand weisen und im Moment davon ausgehen, dass es tatsächlich eine Beteiligung nordkoreanischer Soldaten - in welcher Form auch immer - an dem Konflikt geben wird. Wichtig ist, dass im Westen mit einer Reaktion gewartet wird, bis echte Fakten auf dem Tisch liegen, denn es kommt vor allem auf die offizielle Form der Beteiligung an.
"In letzter Konsequenz wäre das der Dritte Weltkrieg"tagesschau.de: Welche Unterschiede sind dabei relevant?
Frank: Wenn nordkoreanische reguläre Einheiten in nordkoreanischen Uniformen offiziell zum Beispiel im Rahmen des militärischen Beistandsabkommens in Europa in einen Krieg eingreifen, dann würde der Krieg von einem bilateralen Krieg zu einem multilateralen Konflikt werden. Es wäre für die NATO dann enorm schwer, sich dem Drängen der Ukraine nach einer Entsendung eigener Bodentruppen zu widersetzen.
Dann führt kein Weg mehr vorbei an der Entsendung deutscher, französischer, britischer und amerikanischer Truppen in den Krieg. Russland könnte dann nachziehen und seinerseits weitere Länder involvieren.
Man muss es so hart sagen: In letzter Konsequenz wäre das der Dritte Weltkrieg. Den kann kaum jemand wollen. Ich hoffe inständig, dass auch die Führung in Moskau das verstanden hat und dass es diese Variante nicht geben wird.
tagesschau.de: Und wenn Nordkoreaner in anderen, russischen Uniformen eingesetzt würden?
Frank: Das würde dem Westen zumindest die Möglichkeit lassen, flexibel zu reagieren. Im Korea-Krieg 1950 wurde so etwas Ähnliches gemacht. Dort haben offiziell nur "Volksfreiwillige" gegen "UN-Truppen" gekämpft, auch wenn jeder wusste, dass dort eigentlich China und die USA Krieg führen.
Zur Person
Rüdiger Frank ist Professor am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien. Er ist außerdem Gründer und Direktor des Europäischen Zentrums für Nordkorea-Studien. Frank hat zahlreiche Bücher und Studien zu Nordkorea veröffentlicht und berät Regierungen und internationale Organisationen.
tagesschau.de: Was könnte sich der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un von einer solchen Entsendung versprechen?
Frank: Für Kim Jong Un bedeutet das innenpolitisch einen enormen Prestigegewinn. Das schwache Nordkorea war von Beginn seiner Existenz immer auf Hilfe aus Russland beziehungsweise der Sowjetunion angewiesen. Dies jetzt umzudrehen ist eine enorme Genugtuung für die Führung in Pjöngjang.
Es wertet Nordkorea zudem international auf. Es stärkt Nordkorea auch in dem permanenten bilateralen Wettstreit mit Südkorea.
tagesschau.de: Gibt es auch ein Risiko, das für Kim darin liegt?
Frank: Kaum. Mögliche Verluste an eigenen Soldaten zählen in dieser Diktatur nur wenig. Kim Jong Un kann hingegen die genannten politischen Gewinne erwarten. Hinzu kommen massive wirtschaftliche Einnahmen.
Was sich Nordkorea wünschttagesschau.de: Weil Nordkorea auf mehr Unterstützung aus Russland und auf mehr Handel hofft?
Frank: Die südkoreanische Wirtschaft hat durch die Beteiligung von 300.000 Soldaten am Vietnam-Krieg in den 1960er-Jahren einen enormen Anschub erfahren und Nordkorea abgehängt. Es ist viel Geld aus den USA an den Staat geflossen, und viele auch bei uns sehr bekannte Konzerne haben damals den Schritt vom kleinen Unternehmen zum globalen Player geschafft. Ähnliches könnte mit Nordkorea geschehen.
Es geht um Investitionen, den Zugang zum russischen Markt für Waffen und andere Güter, aber auch um Lieferungen von russischen Produkten an Nordkorea - Erdöl, Erdgas, wo es wegen des nordkoreanischen Atomprogramms internationale Sanktionen gibt. Es könnte um kurzfristige Hilfen im Bereich von Lebensmitteln und Konsumgütern gehen. Aber auch um langfristige Unterstützung im Bereich von Industrieanlagen.
Nordkorea wünscht sich nach wie vor Atomkraftwerke. Hier könnte Russland helfen, da die von den USA in den 1990er-Jahren versprochenen Reaktoren nicht fertiggestellt wurden. Der wirtschaftliche Gewinn wäre enorm. Und dann könnte es auch zum Transfer von fortschrittlicher militärischer Technologie von Russland nach Nordkorea kommen. Hier machen sich die Staaten in der Region besonders große Sorgen.
"China hat andere strategische Pläne"tagesschau.de: Berührt dies auch das Verhältnis Nordkoreas zu China? Ist das ein abgestimmtes Verhalten oder auch eine Art der Emanzipation von China?
Frank: Nordkorea hat immer darauf geachtet, vor allem die eigenen Interessen zu wahren. Und natürlich kann es Nordkorea nicht gefallen haben, gerade beim Außenhandel in eine nahezu totale Abhängigkeit von China zu geraten. Deshalb halte ich das Emanzipationsargument für nachvollziehbar. Daraus eine Rivalität zwischen China und Russland um die Gunst Nordkoreas abzuleiten, ginge aber zu weit.
Grundsätzlich ist das Verhältnis von Nordkorea und China immer ein pragmatisches gewesen, es hat sich immer durch ein Auf und Ab ausgezeichnet. Im Westen ist der Einfluss Chinas auf Nordkorea bewusst überbewertet worden.
tagesschau.de: Könnte das ein Grund dafür sein, warum sich China derzeit mit Kommentaren zurückhält?
Frank: Das ist zumindest auffallend. Wir wissen nicht, ob diese Politik mit China koordiniert ist. Es gibt zwar einen engen Austausch. Aber wir wissen aus der Vergangenheit, dass Nordkorea selbst eigenen Verbündeten gegenüber nie wirklich mit der ganzen Wahrheit herausrückt.
Ich glaube, die Chinesen versuchen sich herauszuhalten, solange es noch geht. Sie haben ganz andere strategische Pläne. China geht es geostrategisch vor allem um die Konkurrenz mit den USA, um die Frage, was mit Taiwan passiert und dem Südchinesischen Meer.
Und solange die Ereignisse in der Ukraine und das nordkoreanische Verhalten auf Chinas Interessen keine negative Auswirkung haben, werden die Chinesen nichts tun, um das zu unterbinden. Stattdessen schauen sie zu, wie sich alle ihre strategischen Gegner und Konkurrenten gegenseitig schwächen.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de