Novemberpogrome: Rosenkranz an Gedenken gehindert
Novemberpogrome
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) ist am Freitag von jüdischen Demonstrierenden daran gehindert worden, mit einem Kranz beim Denkmal auf dem Judenplatz in Wien der Novemberpogrome zu gedenken. Die Jüdischen Österreichischen Hochschüler:innen hatten eine Menschenkette um das Denkmal gebildet und richteten dem Nationalratspräsidenten aus: „Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert!“ Rosenkranz sprach von „Gewalt“. Er ist deutschnationaler schlagender Burschenschafter.
Online seit heute, 12.11 Uhr (Update: 13.12 Uhr)
Rosenkranz und seine FPÖ-Parteikollegen und -kolleginnen waren im Begriff, am jüdischen Denkmal in der Wiener Innenstadt ihre Gedenkveranstaltung abzuhalten. Begleitet wurde der Nationalratspräsident dabei von Parlamentsdirektor Harald Dossi und beiden Geschäftsführerinnen des Nationalfonds.
Der vorbereitete Kranz der FPÖ wurde zunächst vor dem Transparent und der Menschenkette postiert, doch die Demonstrierenden stellten sich rasch davor und sangen die israelische Hymne. Unter den Demonstrierenden war auch Künstler Gottfried Helnwein.
„Sie beleidigen mich“„Ich darf jetzt ersuchen, dass mir die Möglichkeit gegeben wird, hier zu dem Kranz durchzukommen“, sagte Rosenkranz umringt von zahlreichen Medienvertretern. Gefragt, ob die Aktion nicht ein legitimer demokratischer Protest sei, antwortete Rosenkranz: „Ich würde Sie um eines ersuchen: Sie könnten mich nachher befragen, nachdem diese Feierlichkeit beendet ist.“ Zum Gedenken kam es allerdings erst gar nicht, stattdessen versuchte die Polizei, die Demonstrierenden zum Rückzug zu überreden, auch Rosenkranz diskutierte mit den Protestierenden.
Demonstrierende machten ein Durchkommen von Rosenkranz unmöglichDen friedlichen Demonstrierenden warf er „Gewalt“ vor: „Sie hindern mich mit Gewalt. Aber ich weiche der Gewalt von Ihnen“, sagte Rosenkranz. „Niemand hier übt Gewalt aus“, widersprachen die Protestierenden. „Bitte respektieren Sie das Gedenken an unsere Vorfahren! Wir wollen nicht mit Ihnen gedenken, wir wollen nicht, dass Sie unseren Vorfahren ins Gesicht spucken“, so ein Demonstrant. „Sie beleidigen mich“, entgegnete Rosenkranz.
„Ein Schlag ins Gesicht für alle Überlebenden der Schoah“„Es ist für mich eine entscheidende Frage, ob ich mich dieser gegen österreichische Gesetze entsprechenden Aktion beuge oder nicht“, so Rosenkranz. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Überlebenden der Schoah, dass Sie heute hier stehen“, warfen ihm die Demonstranten hingegen „Propaganda“ vor.
Rosenkranz argumentierte wiederum, es handle sich um einen Kranz des Parlaments und der Abgeordneten: „Ich möchte als Parlamentspräsident hier als Repräsentant der Republik Österreich eine Gedenkveranstaltung machen.“ „Treten Sie endlich zur Seite“, riefen ihm Protestierende zu. „Als Zeichen meines guten Willens werde ich von meinem Vorhaben im Andenken an Ihre Vorfahren (…) werde ich mich Ihrer Gewalt beugen und gehen. Sie hindern mich gewaltsam am Zutritt“, sagte Rosenkranz. Die Demonstrierenden widersprachen, dass ein „vollkommen friedlicher Protest“ als Gewalt verunglimpft werde.
Rosenkranz machte kehrtNach einigen Minuten machte Rosenkranz kehrt und verließ den Judenplatz. „Ich verstehe alles, dass es Unmut gibt, und als Demokrat lasse ich auch zu, dass es entsprechende Kundgebungen und Veranstaltungen gibt“, sagte Rosenkranz vor Medien. „Und solange ich in diesem Land etwas mitzureden habe in irgendeiner Form, wird es immer Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere auch Versammlungsrechte, Kundgebungsrechte, Meinungsfreiheit, geben.“
In der Nacht auf den 10. November 1938 waren im gesamten Gebiet Nazi-Deutschlands systematisch Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte geplündert und Jüdinnen und Juden misshandelt worden. Allein in Österreich wurden damals mindestens 30 Jüdinnen bzw. Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Das Gedenken daran fand heuer einen Tag vor dem eigentlichen Jahrestag statt, weil dieser diesmal auf einen Samstag und damit auf den jüdischen Ruhetag Sabbat fällt.
Auf dem Judenplatz wurde am Freitag auch an jene 101 israelische Geiseln erinnert, die sich nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas am 7. Oktober 2023 noch immer in der Gewalt der Terrororganisation befinden. Für sie wurde von der Initiative „Hostages and Missing Families Forum – Bring them home now“ ein Sabbat-Tisch aufgestellt.
IKG gedachte bei Shoah-Namensmauern-GedenkstätteDie Israelitische Kultusgemeinde (IKG) fand sich unterdessen bei der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte ein. Die FPÖ war hier explizit unerwünscht. Grund dafür ist laut IKG-Präsident Oskar Deutsch, dass die IKG mit Verweis auf zahlreiche antisemitische Vorfälle weiterhin Distanz zur FPÖ und damit auch zum vor zwei Wochen gewählten Nationalratspräsidenten hält.
Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) hat gemeinsam mit Politikvertreterinnen und -vertretern der Opfer der Novemberpogrome von 1938 gedacht. IKG-Präsident Oskar Deutsch und Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) legten bei der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte Kränze nieder.
Es sei „unmöglich, mit so einer Person gemeinsam der Opfer zu gedenken“, begründete Deutsch die Nichteinladung am Rande der Gedenkveranstaltung gegenüber Medien. Erneut forderte Deutsch, dass Rosenkranz den mit dem Amt als Nationalratspräsident verbundenen Vorsitz des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus sowie seine Rolle bei Friedhofsfonds und Wiesenthal-Preis zurücklegt. Einen Kontakt der IKG mit Rosenkranz und anderen FPÖ-Funktionären schloss er auch für die Zukunft aus.
„Tag sollte uns als Mahnung in Erinnerung bleiben“Bei dem Gedenken an der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte nahmen der Zweite Nationalratspräsident Peter Haubner (ÖVP), mehrere Ministerinnen und Minister von ÖVP und Grünen sowie Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) teil. Verhindert waren heuer Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der sich von einer Bandscheibenoperation erholt, und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der am EU-Gipfel in Ungarn teilnimmt. Für die SPÖ war der geschäftsführende Klubobmann Philip Kucher anwesend, für NEOS Parteichefin Beate Meinl-Reisinger.
„Dieser Tag sollte uns stets als Mahnung in Erinnerung bleiben – Hass, Gewalt und Antisemitismus haben bei uns keinen Platz“, so Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigte sich besorgt angesichts der weltweiten Zunahme antisemitischer Vorfälle und sprach von „einer gemeinsamen Verantwortung – als Politik, als Gesellschaft, als Menschen –, diesen Hass zu bekämpfen und jüdisches Leben zu schützen und zu fördern“.
Beamtenminister und Grünen-Chef Werner Kogler rief dazu auf, „dem Gift des Judenhasses – in welcher Form auch immer er sich zeigt – entschlossen“ entgegenzutreten und jüdisches Leben mit allen Mitteln zu schützen. Auch SPÖ-Chef Andreas Babler bezeichnete den Anstieg antisemitischer Vorfälle als „höchst alarmierend und besorgniserregend“ und sah darin einen klaren Auftrag, „jeden Tag für Freiheit, für Demokratie und für Menschenrechte zu kämpfen“. Meinl-Reisinger rief zu Wachsamkeit und Einsatz für ein respektvolles Miteinander auf.