Stefanie Hering schüttelt den Kopf und fährt sich mit der Hand durch das Haar: „Da bist du schon sprachlos. Das ist dann schon eine Situation, wo du überlegst: Lassen wir es in Deutschland, oder gehen wir auch raus?“
So reagiert die Unternehmerin, die eine Weltmarke im Bereich des Porzellans geschaffen hat, auf Robert Habecks Aussage, ein Betrieb, der keine Aufträge mehr habe, brauche nicht Insolvenz anzumelden, er müsse nur einfach aufhören zu arbeiten. Stefanie Hering, die schon einige brutale Krisen wie die Finanzkrise oder Corona erlebt hat, sieht die aktuelle Lage als „absolut kritisch“ an, wie sie der Berliner Zeitung in der Berliner Zentrale ihres Unternehmens in einer Gründerzeit-Villa in Zehlendorf erzählt: Vor allem die hohen Preise machen ihr, wie den meisten anderen Unternehmen in Deutschland, zu schaffen: „Das ist das, woran wir heute noch knabbern, und das ist das, wo wir auch noch den einen oder anderen Verlust erleiden werden, dass Betriebe einfach die Grätsche machen und es nicht mehr schaffen.“
Corona konnte sie nutzen, um die Digitalisierung voranzutreiben, sie investierte in die Marke und in neue Märkte, nützte die staatlichen Fördertöpfe: „Das hat sehr geholfen“, sagt Hering. Während Corona ging es zunächst an die Substanz: Hering verlor 44 Prozent des Umsatzes, weil das Unternehmen die Hälfte seines Umsatzes mit der Hotellerie und der Gastronomie macht. 2019 war noch ein sehr erfolgreiches Jahr gewesen. Ein Jahr später fragte sich die Unternehmerin: „Mach ich jetzt den Laden zu, wo geht die Reise denn hin? Da hast du schon ein paar schlaflose Nächte.“ Sie machte rastlos neue Business-Pläne, um für die Eventualitäten gerüstet zu sein, verkaufte das Tafelsilber. Das Unternehmen überlebte. Denn Corona brachte einen „doppelten Push“: Jeder kümmerte sich plötzlich darum, wie es zu Hause aussieht. Statt Urlaub hätten die Leute Geschirr gekauft. Nach der Pandemie, als die Restaurants wieder öffneten, achteten plötzlich alle auf Qualität: „Unsere hochwertigen Produkte waren plötzlich noch mehr gefragt.“
Deutsche Präzision: Herings bekannteste Linie „Cielo“ erfüllt diese Erwartung mit handgestanzter Lochung.Jens Boesenberg
Gerettet hat die Berliner jedoch auch ein unglaublicher Zufall bei der Porzellan-Manufaktur Reichenbach in Thüringen. Reichenbach und Hering arbeiten eng zusammen. In Berlin entstehen die Entwürfe und Vorlagen für Teller, Becher und anderes Geschirr. In Thüringen wird gefertigt. Als mit Corona eine schwere Krise drohte, landete Reichenbach einen „Sechser im Lotto“, wie Stefanie Hering erzählt: „Die hatten in der Zeit ein Produkt im Film „Parasite“ platziert. Ein Geschirr der Reichenbacher wurde in einem koranischen Spielfilm gezeigt, der einen Oscar gewann; und ein kluger Koreaner fand heraus, wo es das Geschirr zu kaufen gab und hat es nach Korea importiert. Die hatten dann zwei Jahre volle Auftragsbücher, während Corona. Das hat uns beide gerettet.“
Seit Corona macht nun die seltsame Wirtschaftspolitik in Deutschland den Unternehmen zu schaffen. Energiekrise, Lieferketten, Entsorgung, Material – viele dieser Bereiche waren früher in der Kalkulation nicht relevant, weil es nur Cent-Beträge waren. Heute sind die höheren Kosten signifikant, man muss sie weiterberechnen, „und dann kommst du heute in eine jährliche Verteuerung von 10 bis 15 Prozent“. Die Löhne müssen mitgehen, damit die oft familiengeführten Betriebe attraktiv bleiben: „Wenn Vater oder Mutter in einem Betrieb gearbeitet haben, dem Sohn oder der Tochter sagen, mach mal den Job, dann müssen die auch mal die Familie ernähren können.“ Die Verteuerungen wirken sich auf die Kunden aus, „nochmal und nochmal und nochmal, und dann verlierst du, weil du zu teuer bist“. In Deutschland ist die Produktion teurer als in anderen Ländern. Stefanie Hering verweist auf die viel niedrigeren Energiepreise in Frankreich. Die Gipsformen kosten mittlerweile das Dreifache von früher, die Entsorgung ist teurer. Hering sagt: „Es wird irgendwann der Genickschuss, oder du musst sagen, es rechnet sich nicht mehr.“
Sie selbst hat die Vertriebsstrategie ihres Unternehmens verändert: Zum ersten Mal wurden 2024 im ersten Quartal mehr Angebote für den amerikanischen Markt geschrieben als für den deutschen. Im Bereich Licht, in dem Hering auch produziert, könnte sie auch mit der Produktion in die USA gehen. Sie hat dort eine Niederlassung gegründet: „Unsere Ware kostet aktuell in den USA 1,6-mal so viel wie in Deutschland, wir müssen dort produzieren.“ Andere Bereiche will sie so lange wie möglich in Deutschland halten: „Das Porzellan würde ich immer hier produzieren“, sagt Stefanie Hering: „Ich vertraue nach wie vor auf Deutschland und Europa, wir haben hervorragende Ausbildungsstätten.“
Stefanie Hering Adahlia Cole Gaggenau
Um jedoch ein Schicksal wie das des Thüringer Traditionsherstellers Eschenbach zu vermeiden, der nach 130 Jahren vor einem Jahr schließen musste, setzt Hering auf eine Stärkung ihrer Marktposition im Luxussegment. In dieser Liga der Studio-Manufakturen spielt aus Deutschland neben Hering nur noch Nymphenburg. Neue Märkte sind neben den USA der Nahe Osten, und auch „das Tor nach Indien öffnet sich“. Taiwan ist seit langem Kunde, auch die Volksrepublik China ruft an. „Dass wir den Eastern und Oriental Express ausstatten dürfen, der zwischen Bangkok und Singapur fährt, beflügelt uns natürlich.“ Die Klientel für maßgeschneidertes Porzellan im Segment Zeitgenössische Moderne sei weltweit vorhanden: „Du musst schauen, wie du an die Sahne kommst“, sagt die Unternehmerin.
Der internationale Durchbruch von Hering ist eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte. Als Stefanie Hering mit gerade mal sechs Mitarbeitern in einer kleinen Werkstatt in der Lychener Straße am Prenzlauer Berg im Jahr 1999 beschloss, die Welt zu erobern, begab sie sich auf die Suche nach einem Geschäftspartner. Denn um Geschirr zu produzieren, bedurfte es einer größeren Produktion, als sie es mit ihrem einzigen Ofen hätte bewerkstelligen können. Hering wollte das für ihr Design typische Biskuit-Porzellan umsetzen. Sie erzählt: „Wir hatten eine klassische Ausschreibung per Papier an die infrage kommenden Unternehmen geschickt. Plötzlich stand Günter Burgold aus Thüringen vor der Tür, ich war so perplex, dass ich sogar vergessen habe, ihm einen Kaffee anzubieten.“ Der Chef von Reichenbach war nach Berlin gefahren und sagte der jungen Designerin: „Ich bin total fasziniert, was du da machst, ich möchte den Auftrag haben, ich möchte mit dir arbeiten“, so erzählt es Hering.
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Günter Burgold, er starb 2023, war zu DDR-Zeiten als Leiter des VEB Reichenbach eingesetzt worden – eine klassische Ostkarriere. Das Unternehmen, ursprünglich ein Familienbetrieb mit der Spezialität Kobalt-Malerei, hatte schon vor der Wende die Produktionsstätte erneuert, Devisen herangeschafft, neue Öfen installiert. Während viele andere dichtmachen mussten, war Burgold voller Tatendrang ob der neuen Freiheiten im vereinten Deutschland. Stefanie Hering erzählt: „Für Günter war wichtig: Du gehst zum ersten Mal auf die Frankfurter Messe, und du siehst: Donnerwetter, hier wird ja alles produziert, was will ich noch da? Was ist meine Spezialität?“
Hering weiß den Beitrag des Ostlers zu ihrem eigenen Erfolg zu würdigen: „Ohne Günter Burgold hätten wir uns so gar nicht entwickeln können, definitiv.“ Also ein Entwicklungshelfer aus dem Osten? Stefanie Hering lacht: „Ich habe ihm auch geholfen! Wir haben voneinander profitiert. Als ich 2004 nach einem Kongress in Selb über Reichenbach zurückgefahren bin, da habe ich gesagt: Hey, wir müssen was ändern, wir müssen das Geschirr für das 21. Jahrhundert machen.“ Es war die Zeit, in der die Küchenchefs die Stars wurden. Burgold stieg ein. Gemeinsam entwickelten Hering und Reichenbach 150 verschiedene Formen, setzten gemeinsam Maßstäbe: „Da ist so viel Engagement von allen Seiten reingeflossen, dass wir heute ein Produkt haben, das ist einzigartig, und das ist auch nicht so einfach zu kopieren“, sagt Hering.
Jens Boesenberg
Ihr eigener Weg führte sie aus der westdeutschen Provinzialität zur internationalen Karriere. Sie stammt aus einer Handwerkerfamilie, jedoch ohne goldenen Boden: Ein Großvater war Wagenmacher, „er hat die Räder noch von Hand gemacht“, ein anderer Großvater hatte einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, ihr Vater hatte Werkzeugbauer gelernt, ging schließlich zu Mercedes Benz. Mit 16 entschied sich die heute 57-jährige Hering für den Beruf der Keramikerin. Sie wollte von der „Urform der Erde bis zum Endprodukt alles selbst fertigen“. Handwerk war damals angesagt, es war ein alternativer Lebensstil: „Man konnte Töpfer werden oder Goldschmied oder Florist“, es gab keine Hürden, Ausbildungsplätze waren heiß begehrt, weil die Gesellschaft Handwerker brauchte: „Es war eine Zeit, da hatten wir noch keine Einkaufs- und Verkaufsgiganten, es gab kein Ikea, kein Strauss Innovation, kein Butler’s“, sagt Hering.
Sie ging nach Irland und Dänemark. Schließlich landete sie bei einem Keramiker, der aus der DDR ausgewiesen wurde. Es folgten Messen in New York und Japan. Und schließlich der Erfolg mit dem west-östlichen Vorzeigeunternehmen. Es entspricht ihrer Natur, dass sie auf die aktuellen Probleme nicht wehleidig reagiert, sondern mit einer klaren Ansage: „Wir müssen mal aus dem Land der Tränen rauskommen, mit dem Jammern aufhören, den Hintern zusammenklemmen und sagen: Los, weiter geht’s!“
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