Bundesregierung reagiert mit Empörung auf Bauern-Protestaktion ...
Stand: 05.01.2024 12:21 Uhr
Eine wütende Menschengruppe hat gestern Vizekanzler Robert Habeck in Schlüttsiel (Kreis Nordfriesland) am Verlassen einer Fähre gehindert. Die Polizei musste Pfefferspray einsetzen. Landes- und Bundespolitiker verurteilen den Vorfall.
Hunderte aufgebrachte Menschen blockierten gestern in Schlüttsiel den Fähranleger einer von Hallig Hooge kommenden Fähre. An Bord: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Mit Traktoren, Trillerpfeifen und Geschrei sorgten die Personen dafür, dass Habeck - der sich auf der Rückreise eines Nordsee-Urlaubs befand - die Fähre nicht verlassen konnte. Letztlich musste das Schiff zur Hallig umkehren.
AUDIO: Politische Reaktionen auf Habeck-Vorfall in Schlüttsiel (1 Min)
Nach Angaben einer Sprecherin Habecks war der Minister durchaus dazu bereit, mit den Demonstrierenden ins Gespräch zu kommen. Doch die Sicherheitslage am Anleger habe dies nicht zugelassen, so die Sprecherin weiter. Aus der ganzen Republik werden nach dem Vorfall in Nordfriesland kritische Stimmen laut.
Kanzler Scholz: "Verrohung politischer Sitten"Über seinen Regierungssprecher teilte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über den Kurznachrichtendienst X mit, dass er den Vorfall in Schlüttsiel "beschämend" findet. Eine solche "Verrohung der politischen Sitten" sollte keinem egal sein.
Auch Habecks Parteikollegin Annalena Baerbock machte ihrem Frust noch am späten Donnerstagabend via X Luft. Es sei eine Grenze überschritten worden, so die Außenministerin.
"Das sind Leute, denen geht es nicht um die deutsche Landwirtschaft", sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) heute im ARD Morgenmagazin. Der Vorfall sei inakzeptabel - die Bauern, die Habeck am Verlassen der Fähre gehindert haben, hätten "feuchte Träume von Umstürzen", doch diese werde es nicht geben, so Özdemir weiter.
Bauernverband: "Blockade war ein No-Go"Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, distanzierte sich heute Morgen von der Aktion in Schlüttsiel. "Blockaden dieser Art sind ein No-Go. Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht."
Auch der Präsident des Landesbauerbverbandes SH, Klaus-Peter Lucht, distanzierte sich von der Aktion und sagte, das sei keine gute Form des Protestes, er lehne Gewalt ab. Als Bauernverband sei man daran interessiert, friedlich auf die eigenen Anliegen aufmerksam zu machen.
Daniel Günther verurteilt Vorfall in Schlüttsiel scharf"Diese Chaoten schaden dem eigentlichen Anliegen", ärgert sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Jeder Protest habe Grenzen - diese seien gestern weit überschritten worden, so Günther weiter. "Bei allem Verständnis für den Unmut der Landwirte: So ein Gebaren hat in Schleswig-Holstein nichts zu suchen." Günther sprach weiter von bitteren Bilder, die man zu sehen bekam. "Und diese Chaoten, die dort unterwegs waren, haben dem Anliegen dort wirklich einen Bärendienst erwiesen. Das war gestern völlig inakzeptabel - völlig neben der Spur und nicht zu tolerieren."
Auch Werner Schwarz, Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, spricht von Grenzen, die am Abend in Schlüttsiel überschritten worden sind. "Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren. Von daher verurteile ich die gestrigen Ereignisse." Weiter appelliert CDU-Politiker Schwarz an die Demonstranten, die sich an der anstehenden Protestwoche beteiligen wollen, sich friedlich zu verhalten.
Bauernverband auch in Hamburg empört"Das mit Habeck geht gar nicht!" entrüstet sich der Präsident des Bauernverbands Hamburg Martin Lüdeke. Er sagte NDR 90,3: "Wir distanzieren uns klar davon, dass Protest in Gewalt umschlägt. Das überschreitet demokratische Grenzen." Und die Demokratie habe sich doch vorher als funktionsfähig erwiesen, ergänzt der Landwirt. Die Bundesregierung habe ja auf die Bauernproteste reagiert. Die Befreiung von der Kfz-Steuer bleibt nun doch und die Steuererhöhung beim Agrardiesel kommt nur schrittweise.
Kritik am abgelehnten GesprächsangebotDer ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende in SH, Johann Wadephul, schrieb in der Nacht auf X: "Das ist nicht Schleswig-Holstein." Man lasse es nicht zu, dass ein solches Verhalten im Land zum Stil werde. Weiter kritisierte der Bundestagsabgeordnete, dass man ein Gesprächsangebot eines Ministers anzunehmen habe.
Habeck zeigt sich besorgtTrotz der Proteste ist es dem Wirtschaftsminister und früheren schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsminister in der Nacht gelungen, das Festland zu erreichen. "Herr Habeck ist gut zu Hause angekommen", sagte ein Sprecher der Flensburger Polizei am Freitagmorgen. Der Wirtschaftsminister habe eine Extra-Fähre genommen und sei gegen 2.30 Uhr zu Hause angekommen. Es habe auch keine weiteren Proteste gegeben. Auch ein Sprecher Habecks bestätigte die Ankunft.
Am Vormittag bedankte sich Robert Habeck über eine Sprecherin bei der Besatzung des Schiffes: "Sie sind unvermittelt in Mitleidenschaft geraten. Die Crew musste mit einem blockierten Hafen umgehen und die schwierige Lage managen." Weiter bedauerte Habeck, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte. Es bereite ihm Sorge, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheize.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | 05.01.2024 | 12:00 UhrSchlagwörter zu diesem Artikel Kreis Nordfriesland