Frankreich: Robert Badinter ist tot

Politiker und moralische Instanz: Der ehemalige französische Justizminister Robert Badinter ist im Alter von 95 Jahren gestorben

Robert Badinter - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Als er 1981 die Guillotine abschaffte, wurde Robert Badinter zum unbeliebtesten Minister Frankreichs. Doch danach wurde der Jurist und Politiker zu einer moralischen Instanz, dessen Renommee weit über Frankreich hinausstrahlte.

Robert Badinter in einer undatierten Aufnahme.

Michel Baret / Gamma-Rapho / Getty

Am 17. September 1981 war Robert Badinter keine vier Monate Justizminister. Doch er hielt vor der französischen Nationalversammlung eine Rede, die heute als französisches Kulturgut gilt. Über zwei Stunden lang führte Badinter aus, warum die Todesstrafe in Frankreich abgeschafft werden sollte. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte dem Vorschlag der sozialistischen Regierung nur dreizehn Tage später zu – und bereits im Oktober war der Tod durch die Guillotine in Frankreich Geschichte.

Was heute als grosse Errungenschaft gefeiert wird, brachte Badinter damals viel Misskredit ein. Monatelang galt er als unbeliebtester Minister der sozialistischen Regierung von Präsident François Mitterrand. Denn viele Franzosen und besonders die Konservativen waren gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Sie diene der Abschreckung, lautete das Hauptargument, und dieser sozialistische Minister sorge dafür, dass die französische Justiz verweichliche.

Vor den Nazis im Bergdorf versteckt

Robert Badinter hatte als Anwalt – nicht immer erfolgreich – gegen die Vollstreckung der Todesstrafe an seinen Mandanten gekämpft. Im Justizministerium wurde der Kampf für eine gerechtere Justiz und für menschenwürdige Haftbedingungen zu seinem Hauptanliegen. Er schaffte in knapp fünf Jahren die Sondergerichtsbarkeit (etwa für das Militär) ab, richtete die Institution der Opferhilfe ein und sorgte dafür, dass Häftlinge in ihren Zellen Zugang zu einem Fernseher bekamen.

Mit der Zeit verbesserten sich auch seine Popularitätswerte – und sie sind bis zu seinem Tod in der Nacht auf Freitag immer nur noch angestiegen. Denn Badinter, der 95 Jahre alt wurde, war in seinem Leben nicht nur Politiker und Jurist, sondern auch Schriftsteller und je länger, desto mehr eine moralische Instanz.

Robert Badinter kam als Sohn jüdischer Einwanderer am 30. März 1928 in Paris zur Welt. Seine Familie war gut integriert und legte viel Wert auf Bildung. Schon sein Vater stand den Sozialisten nahe. Dank gefälschten Ausweisen entkamen er, seine Mutter und sein Bruder der Verhaftung durch die deutschen Besetzer. Sie tauchten in einem Dorf in den Savoyen unter.

Sein Vater, der 1919 vor den Pogromen in Bessarabien (in der heutigen Republik Moldau) nach Frankreich geflüchtet war, wurde 1943 ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und kehrte nie wieder zurück. Diese Erfahrung war für Badinter prägend. Er habe Anfang der vierziger Jahre gar nicht begriffen, was es heisse, jüdisch zu sein, sagte Badinter 2018 gegenüber «Le Monde»: Seither sei er Franzose, französischer Jude, das sei für ihn untrennbar.

Ein internationales Renommee

Nach dem Krieg studiert er zunächst Soziologie, dann Rechtswissenschaften. Ab 1950 wirkt er als Anwalt. Badinter vertrat zunächst vor allem Schauspieler und Journalisten in Urheberrechtsfragen, bevor er sich den schweren Fällen des Strafrechts zuwandte. Sein Ruf als integrer und unkorrumpierbarer Jurist brachte ihm nach seiner Zeit in der Politik eine Berufung ans französische Verfassungsgericht.

Als dessen Präsident wurde er auch im Ausland wahrgenommen: etwa von einem gewissen Michail Gorbatschow, der ihn bat, zusammen mit anderen renommierten Juristen über eine neue russische Verfassung nachzudenken. Er präsidierte zudem eine von der Europäischen Gemeinschaft eingerichtete Kommission, die sich mit juristischen Fragen nach dem Zerfall Jugoslawiens befasste – sie wurde sogar nach ihm benannt.

Längst hatte er das Rentenalter erreicht, als er sich mit 67 Jahren für die Sozialisten um einen Sitz im Senat, der kleinen Kammer des französischen Parlaments, bewarb. Er sass dort 16 Jahre lang. Auch danach galt er als vielbeachteter Kommentator des Zeitgeschehens. Gegenüber der NZZ stellte Badinter 2021 mit einer gewissen Genugtuung fest, dass Frankreich 1981 das 36. Land gewesen sei, in dem die Todesstrafe abgeschafft worden sei. Nun seien es bereits 120.

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