Frauke Petry, Ricarda Lang und die Familienfrage: Ein besonders ...

14 Tage vor

Es sind die immer gleichen Reflexe. Wie Ricarda Lang überhaupt noch auf Social Media unterwegs sein kann, ohne komplett an der Menschheit zu verzweifeln – es ist rätselhaft. Denn es ist ja das eine, sich mit ihren politischen Ansichten auseinanderzusetzen, die Grünen-Chefin in Fragen der Migrationspolitik oder für die Folgen der Klimaschutzmaßnahmen zu kritisieren.

Ricarda Lang - Figure 1
Foto Berliner Zeitung

Und damit hätten die Partei und ihre Bundesvorsitzende schon genug zu tun: Kaum eine Partei bekommt derzeit so viel Hass ab wie die Grünen. Bei Ricarda Lang kommt aber stets noch eine andere Ebene hinzu, eine persönliche, auf blanke Herabsetzung einer jungen Frau abzielende Schmähung.

Keine Social-Media-Debatte ohne feixende Kommentare zu ihrem Gewicht, kein Instagram-Feed ohne fiese Angriffe unter der Gürtellinie. Besonders auf Elon Musks Plattform X ist das Niveau unterirdisch.

Eines der jüngeren Beispiele: das Hochzeitsfoto der 30-Jährigen mit ihrem Mann, dem Mathematiker Florian Wilsch. Lang hatte es selbst auf Social Media gepostet, wohl wissend, was sie sich neben Gratulationen damit auch einhandeln würde. Mehr als 3500 Kommentare haben sich in den letzten dreieinhalb Wochen allein bei X unter dem Bild angesammelt. „Glückwunsch an den Pommespanzer“ oder „Ach wie süß … beide auf ihre Weise überaus unattraktiv“ sind dabei noch die „netteren“ Beiträge.

Solcherlei Bodyshaming und die gewichtsbezogene Stigmatisierung mussten sich, fairerweise bemerkt, in der Vergangenheit auch männliche Politiker gefallen lassen. Siehe die CDU-Granden Helmut Kohl oder Peter Altmaier. Doch bei Ricarda Lang kommt noch eine weitere Angriffsfläche hinzu, die sie nur deshalb bietet, weil sie eine Frau ist.

Ricarda Lang auf X: Es sind nicht nur Bot-Armeen und gesichtslose Profile

So wird unter dem Hochzeitsfoto geunkt, wann denn nun der Nachwuchs käme – Langs „Übernahme von Verantwortung für unsere Gesellschaft“. Sie solle Kinder kriegen und hinter den Herd gehen, wird der Politikerin da empfohlen. Nun könnte man sagen, das ist halt X, das sind Bot-Armeen, gesichtslose Profile, die man nicht weiter ernst nehmen muss. Doch es gibt auch Leute mit einem Namen und einem Porträtbild, die sich nicht zu schade sind für entsprechende Übergriffigkeiten.

Ricarda Lang - Figure 2
Foto Berliner Zeitung

Und so schaffte es eine sechsfache Mutter, promovierte Chemikerin und ehemalige AfD-Politikerin, einen neuen Diskurstiefpunkt zu setzen. Frauke Petry stellte am Dienstag höchst öffentlich via X eine „persönliche Frage“ an Ricarda Lang: „Sie haben anlässlich Ihrer kürzlichen Eheschließung bestimmt auch über die Gründung einer Familie nachgedacht. Neues Leben geschenkt zu bekommen, ist eine der wunderbarsten Erfahrungen im Leben einer Frau (und des Vaters). Dieses Leben existiert ab dem Tag seiner Entstehung im Mutterleib, ab diesem Moment sind wir Frauen dafür zu 100 Prozent verantwortlich. Das Lebensrecht gilt für beide – Mutter und ungeborenes Kind, der §218 war ein mühsamer Kompromiss, der Deutschland seit Jahrzehnten in dieser Frage befriedet hat. Warum wollen Sie einen Krieg eröffnen, bei dem Frauen und Kinder am Ende die Leidtragenden sind?“ 

Ich habe ein persönliche Frage an @Ricarda_Lang : Sie haben anlässlich Ihrer kürzlichen Eheschließung bestimmt auch über die Gründung einer Familie nachgedacht. Neues Leben geschenkt zu bekommen, ist eine der wunderbarsten Erfahrungen im Leben einer Frau (und des Vaters). Dieses… https://t.co/iJw7BXZ9Pe

— Frauke Petry (@FraukePetry) September 10, 2024

Es geht Petry auf der inhaltlichen Ebene um die Abtreibungsfrage, und natürlich kann man die Debatte über die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf dieser Ebene auch führen. Dass Petry dabei aber auf die Hochzeit der Grünen-Chefin referenzieren muss, dass sie insinuiert, Lang habe bestimmt auch über Familiengründung nachgedacht – das ist schon ein besonders hässlicher Zug. Von der romantisierten Zeugungspoesie mal ganz zu schweigen. 

Offenbar hat Frauke Petry nicht darüber nachgedacht, dass es Familien gibt, die keine Kinder wollen oder die keine bekommen können. Oder dass Familienplanung auch ganz unabhängig vom Ritual der Eheschließung stattfinden kann.

Sie erwarte ja keine Antwort, raunte Petry noch in den Kommentaren – doch da hatte sie die Rechnung ohne Ricarda Lang gemacht. Diese griff sich den Post und schrieb ihrerseits dazu: „Hallo Frau Petry, ob ich Kinder will oder nicht, ist ehrlich gesagt meine private Angelegenheit. Und vor allem ist es meine Entscheidung – nicht Ihre und auch nicht die des Staates. Und dieses Recht sollte jede Frau haben.“

Zum wiederholten Male zeigen sich Lang und ihr Team auf Social Media ausgesprochen souverän. Wie neulich, nach den Landtagswahlen im Osten, als Lang ein Foto von sich einfach selbst auf ihren Kanälen teilte, bevor es anderweitig viral ging. Darauf sieht man sie mit angesetzter Bierflasche, überdrüssigem Blick aufs Handy und angedeutetem Mittelfinger.

Lang schrieb dazu: „Wenn ich ‚Grillen muss erlaubt bleiben‘-Plakate sehe“. Auch die Thüringer CDU, die Lang mit ihrem Beitrag auf die Schippe nahm, reagierte mit grinsendem Emoji. Das Bierflaschen-Foto ist jetzt ein Meme, Ricarda Lang hat Humor bewiesen. In einem Umfeld aus Hass und Häme durchaus keine Selbstverständlichkeit – aber wohl die einzige Strategie, an der man nicht verzweifelt. 

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