Recaro-Insolvenz: Autozulieferer ist zahlungsunfähig
Der Zulieferer Recaro ist zahlungsunfähig. Die zuständige Gewerkschaft zeigt sich von dem Insolvenzantrag überrumpelt. Das Unternehmen selbst hüllt sich in Schweigen. Das befeuert Spekulationen über die Hintergründe.
Der traditionsreiche Autositz-Hersteller Recaro in Kirchheim unter Teck hat Insolvenz angemeldet, das wirft Fragen auf. Denn von den Verwerfungen rund um die Antriebswende sollte das Geschäft mit Autositzen eigentlich unberührt bleiben. Auch die Gewerkschaft IG Metall zeigte sich von dem Insolvenzantrag überrumpelt. „Was das nun für die 215 Beschäftigten der Recaro Automotive GmbH in Kirchheim bedeutet, ist unklar“, hieß es in einer ersten Mitteilung.
Was klar ist: Das Amtsgericht Esslingen ordnete am Montag vorläufige Eigenverwaltung an und ernannte den Stuttgarter Rechtsanwalt Holger Blümle zum vorläufigen Sachwalter. Er soll die wirtschaftliche Lage der Recaro Automotive GmbH prüfen und die Geschäftsführung überwachen. Aus Sicht des Esslinger IG-Metall-Geschäftsführers Alessandro Lieb ist das auch nötig.
Über mehrere Jahre hinweg habe die Belegschaft durch Verzicht und Verschiebung von Entgelten dazu beigetragen, das Unternehmen wirtschaftlich stabil zu halten. „Heute müssen wir – die Belegschaft, der Betriebsrat und ich – feststellen: Es hat nicht gereicht", sagte er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Das Management habe nicht genug getan, sonst wäre die heutige Situation nicht entstanden, kommentierte Lieb.
Ähnlich äußerte sich der Betriebsrat: „Wir sind enttäuscht und fühlen uns vom Management im Stich gelassen“, hieß es von dessen Chef Frank Bokowits. „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben große Opfer gebracht, um das Unternehmen zu unterstützen.“ Die IG Metall fordert einen transparenten Dialog mit der Geschäftsführung und dem Sachwalter. „Wir erwarten, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Arbeitsplätze zu sichern und eine nachhaltige Lösung zu finden“, erklärte Lieb. Ein Treffen mit den Belegschaftsvertretern sei in den kommenden Tagen geplant, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Das Unternehmen selbst äußerte sich auf Anfrage bisher nicht. Lediglich die Recaro Group – die das Geschäft mit Flugzeug-, Gaming- und Zugsitzen verantwortet – drückte ihr Bedauern aus. Recaro Automotive ist hiervon jedoch unabhängig, es besteht lediglich ein Lizenzverhältnis, machte die Sprecherin deutlich.
Klumpenrisiko bei den Kunden
Lieb machte klar, dass Recaro differenziert zu betrachten sei. Er glaubt eher an individuelle Faktoren, die zu der Insolvenz geführt haben. Zu den Gründen für die Insolvenz könne man zwar noch nicht viel sagen, so der Gewerkschafter, da sich das Unternehmen noch nicht geäußert habe. Er sieht in der mangelnden Diversifizierung des Geschäfts und der Abhängigkeit von wenigen Auftraggebern einen möglicherweise kritischen Risikofaktor.
Zwar habe die Geschäftsführung auf den letzten Betriebsversammlungen keine Andeutungen über eine Krise gemacht, aber die Frage, ob die geplanten Stückzahlen, Auftragseingänge und Umsätze erreicht werden, sei ein Thema gewesen. Der IG-Metall-Vertreter stellte auch die Frage, inwieweit in der Vergangenheit der Effizienz in der Produktion der notwendige Stellenwert eingeräumt worden sei.
Die Region Esslingen gelte gerade im Maschinenbau als wichtiger Standort. Zwar sei die Situation bei Recaro nicht ohne weiteres übertragbar, aber er sehe auch in der Region insgesamt eine Verunsicherung bei den Unternehmen. Vor diesem Hintergrund bekräftigte Lieb die Bereitschaft der Gewerkschaften, ihren Beitrag für einen zukunftsfähigen Standort zu leisten.
Dafür brauche es Sicherheiten. „Bei Sicherheiten reden wir über Investitionen, die hier im Land, in der Region getätigt werden.“ Neue Aufträge und Innovationen dürften nicht in andere Regionen der Welt verlagert werden, denn dann brauche es auch keinen Beitrag der Beschäftigten vor Ort.
Hohe Kosten im Südwesten
Der Branchenverband Südwestmetall wollte sich zwar nicht konkret zum Fall Recaro Automotive äußern, sieht aber insgesamt Herausforderungen für die Metall- und Elektroindustrie in der Region. Neben Steuern und Abgaben seien dies vor allem die hohen Arbeitskosten, erklärte ein Sprecher. Eine Umfrage unter den Mitgliedern habe ergeben, dass die Mehrheit in den vergangenen fünf Jahren vor allem im Ausland investiert habe, weil es schwierig sei, im Inland profitabel zu wirtschaften.
Ob Lohnzurückhaltung und ähnliche Zugeständnisse der Arbeitnehmer ausreichten, um dieses Verhältnis umzukehren, hänge vom Einzelfall ab, so der Sprecher. Generell gehörten Insolvenzen zum normalen Wirtschaftsgeschehen, die Frage sei, ob es einen Trend gebe. Dies werde in der Wirtschaft zumindest befürchtet.
Zum Thema Lohnkosten weist der Verbandsvertreter darauf hin, dass 80.000 Euro Jahresgehalt der Durchschnitt in der Automobilbranche in Baden-Württemberg sei – ohne Managementgehälter. Im nicht weit entfernten Osteuropa sei das Lohnniveau deutlich niedriger. Dort würden bei vergleichbarer Fertigungsqualität nur ein Viertel der Kosten anfallen.
Dass die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie generell von zu wenigen Kunden abhängig seien, sieht Südwestmetall nicht. Vielmehr sei bis zur Corona-Pandemie die mangelnde Diversifizierung der Lieferanten stellenweise ein Problem gewesen. Hier habe sich aber schon viel getan.
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