1944–2024: Rebecca Horn ist tot

8 Sep 2024

1944–2024

Ihr disziplinenübergreifendes Werk hat Rebecca Horn auch international zu einer der wichtigsten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart gemacht. Am 6. September starb Horn im Alter von 80 Jahren. Sie schuf im Laufe ihres Künstlerinnenlebens Performances, Zeichnungen, Texte und Filme. Größte Bekanntheit erlangte sie aber mit ihren Installationen, die Betrachterinnen und Betrachter herausforderten.

Rebecca Horn - Figure 1
Foto ORF

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Fliegende Schreibmaschinen, ein über Kopf hängendes Klavier, pulsierende Quecksilberströme und Musikinstrumente auf einem Schienenstrang, die in ihrer Stummheit an die Opfer der Schoah erinnern: Wer vor den Installationen der 1944 im deutschen Odenwald geborenen Künstlerin steht, bemerkt schnell, es sind Kunstwerke, die neben allen Zitaten und Anspielungen Betrachterinnen und Betrachter ganz unmittelbar emotional ansprechen wollen.

Eine eindeutige Botschaft wollte sie ihren Werken keine unterstellen, das sei zu „messianisch“, sagte Horn der dpa vor zehn Jahren in einem Interview zu ihrem 70. Geburtstag. „Bei meinen Ausstellungen oder Filmen werden die Menschen Teil meiner Bilder. Nicht nur sie bewegen sich, sondern auch meine Skulpturen. Und plötzlich begegnen sie sich in einem drehenden Spiegel und werden Teil dieses künstlerischen Prozesses“, so die Künstlerin.

Von maschinenähnlichen Körpern zu beseelten Maschinen

Der Wunsch, Künstlerin zu werden, reifte in Horn laut ihren Erzählungen schon früh. Ohne das Wissen ihrer Eltern, die sie als Erbin der familiären Textilfabrik sahen, begann sie mit 19 Jahren ein Philosophie- und Kunststudium in Hamburg. 1967 erlitt sie bei Arbeiten mit Polyesterharz eine schwere Lungenvergiftung. Zwei Jahre musste sie im Krankenhaus und im Sanatorium verbringen. „Ich war vollkommen isoliert. Hinzu kam, dass meine Eltern in dieser Zeit starben. Für mich waren das Schreiben und das Zeichnen die einzigen Mittel, diese Isolation zu durchbrechen“, sagte Horn.

Rebecca Horn - Figure 2
Foto ORF
„Concert for Anarchy“ lautet der Titel von einer der berühmtesten Installationen Horns

Die Zeit im Krankenbett wurde zum Ausgangspunkt für ihr späteres künstlerisches Werk, das oftmals beim menschlichen Körper den Anfang nahm. Aus den dort gefertigten Entwürfen entstanden die ersten Skulpturen und Performances – darunter auch „Einhorn“ von 1970, eine von Horns berühmtesten Arbeiten. Eine nackte Frau, spärlich in Bandagen gewickelt, schreitet mit einem meterlangen weißen Stab auf dem Kopf durch ein wogendes Getreidefeld. 1972 nahm Horn als jüngste Teilnehmerin erstmals an der Documenta teil, sie drehte die ersten Filme, um ihre Performances zu dokumentieren.

Anlässlich der Olympischen Spiele 1992 errichtete Horn am Strand von Barcelona die Skulptur „L’Estel Ferit“

Drehte sich anfangs viel um maschinenähnliche Körper, wurden es später beseelte Maschinen, denen sich die Künstlerin widmete. „Les Amants“ (Die Liebenden, 1991) heißt eine Konstruktion, die eine Mischung aus Champagner und Tinte an die Wand sprüht, eine Malerei des Schwarzen Regens. Ein andermal scheinen Löffel Ballett zu tanzen, von der Decke hängende Schreibmaschinen tippen mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, ein Blindenstock dirigiert den Takt dazu.

Rebecca Horn - Figure 3
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Über hundert Einzelausstellungen weltweit

Viele von Horns Arbeiten waren 2021 auch in Wien zu sehen. Das Kunstforum widmete Horn vor drei Jahren eine umfangreiche Retrospektive. Aktuell ist eine große Retrospektive Horns in München im Haus der Kunst zu sehen.

Eine große Retrospektive Horns ist gerade im Haus der Kunst in München zu sehen

Weltweit wurden Horn von London über New York, Paris und Tokio mehr als 100 Einzelausstellungen gewidmet. Die Künstlerin erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2010 den japanischen Praemium Imperiale, der als weltweit wichtigster Kunstpreis gilt. Das Guggenheim Museum in New York widmete ihr schon 1993 eine große Retrospektive – es war zugleich die erste Einzelausstellung einer Künstlerin in dem Museum.

Rückkehr nach Deutschland

Horn lebte über viele Jahre in New York, später in Paris. Seit 1989 hatte sie allerdings auch an der Berliner Hochschule für Künste eine Professur – und setzte sich in ihrem Schaffen auch mit der deutschen Geschichte auseinander. So entstand etwa in Weimar im Kulturhauptstadtjahr 1999 das „Konzert für Buchenwald“: In einem Straßenbahndepot schüttete sie hinter Glas vierzig Meter lange Wände aus Asche auf. Davor stapelten sich auf einem kurzen Schienenstrang alte, gebrauchte Musikinstrumente samt den dazugehörigen Lederkoffern.

2007 zog Horn wieder zurück in den Odenwald und baute die frühere Fabrik ihrer Familie zu einem Kunstzentrum aus. 2012 gründete sie die Moontower Foundation, die neben der Bewahrung ihres Werks vor allem jungen Künstlern ein Sprungbrett bieten soll. Der Vorsitzende der Stiftung, Peter Raue, bestätigte nun gegenüber der dpa den Tod von Horn.

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