Künstlerin Rebecca Horn gestorben: Feinmechanikerin der Seele
Manchmal enden Dinge dort, wo alles angefangen hat. Die 1944 im hessischen Michelstadt geborene Künstlerin Rebecca Horn, international arbeitende und gerühmte Bildhauerin, Poetin, Filmerin und Performerin, kehrte mit ihrem ausgedehnten Atelier im letzten Teil ihres Lebens auf das weitläufige Gelände der väterlichen Textilfabrik im märchenprovozierenden Odenwald zurück; im Kafka-Jahr 2024 ist sie, die sich häufig von Literatur zu eigenen Werken inspirieren ließ und die insbesondere die intensive Auseinandersetzung mit Franz Kafkas Bildwelten schon im Studium begann und diesen Schriftsteller des Hypersensitiven zeitlebens als Vademecum an ihrer Seite wusste, nun nach längerer Krankheit gestorben.
Wie bei der ihr verwandten Niki de Saint-Phalle brachte die ungeschützte Arbeit mit dem neuen Werkstoff Polyesterharz und Glasfaser für große und scheinbar schwerelose Skulpturen schon im Studium 1967 eine schwere Lungenschädigung mit sich, die ihr auch die letzten Jahre schwer werden ließen. Und wie bei Kafka hielten ihre abenteuerlich langen Körperextensionen aus Metall an Fingern, Armen oder das Einhorn-Horn auf dem Kopf ihres Alter Egos Zwiesprache mit einer Sinneswelt, die den Allermeisten der Zeitgenossen verschlossen blieb.
Schmetterlingsflügel und Straußenfedern
Rebecca Horn war eine Choreographin des Surrealen, sie verlängerte und aktualisierte die filmischen Arbeiten eines Luis Buñuel oder Meret Oppenheims in die Jetztzeit. Ihr 1978 während ihrer Jahre in New York gedrehter Film „Eintänzer“ lässt in einem Appartement einen blinden Tänzer, einen Sushi-Koch und schreibende Zwillinge aufeinanderstoßen. Wiederholt flattern in ihren Installationen Schmetterlingsflügel oder umhüllen Straußenfedern in kunstkammerartigen Mechanismen menschliche Füße – tatsächlich gehören Horns Materialien wie exotische Federn und seltene Schmetterlinge, Musikinstrumente, schlangenartig gewundene kupferne Schalltrichter und andere sonderbare Apparaturen seit der Renaissance als fester Bestandteil zu den Wunderkammern. Oft verrichten bei Horn tänzelnde Mensch-Tier-Maschinen in ihren Bewegungsabläufen merkwürdig asynchron erscheinende Tätigkeiten, fallen zu kakophonischen Klängen, doch in klar geordneten Abständen und Rhythmen ganze Flügel vom Himmel oder hängen Krankenhausbetten, Stühle und Leitern mit Geigen wie Noten einer unsichtbaren Partitur von der Decke.
Die Fabrikantentochter war in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren eine der Ersten, die sich mit subtil konstruierten Maschinen in einer noch stark männlich dominierten Kunstwelt buchstäblich Gehör verschaffte – noch die 1993 im New Yorker Guggenheim Museum gezeigte Arbeit „Blue Monday Strip“ etwa choreographiert typisch für Horn alte klappernde Schreibmaschinen so polysensuell wie poetisch an der Wand, die dabei Tinte auf den Museumsboden bluten.
Zugleich thematisieren ihre Werke immer auch die Ambiguität aus Befreiung des weiblichen Körpers und dem Verbleib in mehr oder weniger goldenen Käfigen. Ihre Bildfolge „White Body Fan“ 1972 versteckt in Anlehnung an die spanisch barocke Fächersprache unterschiedlich viele Teile eines Frauenkörpers, der mal ganz gezeigt und mal versteckt wird, mal stärker durch das Zeigen der Arme betont und dann doch wieder entschwindet, ein Teufelskreis ohne Anfang und Ende: Was und wie viel darf die Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit jeweils von einer Frau sehen, und was wird ihr besser vorenthalten?
Den überragenden Erfolg ihrer großen Retrospektive im Münchner Haus der Kunst zu ihrem Geburtstag im März dieses Jahres konnte sie noch genießen; nun ist eine der letzten Universalkünstlerinnen im Alter von achtzig Jahren gestorben.