Real Madrid-Chef Pérez bricht Schweigen zum Ballon d'Or und ...
Florentino Pérez war noch nie der größte Redekünstler der spanischen Fußballwelt, das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Schon gar nicht jetzt, da die Zunge und auch der Gang des 77-jährigen Vorsitzenden von Real Madrid zunehmend schleppend wirken. Andererseits: Am Ende seiner anderthalbstündigen Rede bei der Jahreshauptversammlung des spanischen Rekordmeisters bekam er doch die Kurve – und provozierte ein Schmunzeln bei vielen der Zuhörer, die ihn kurz danach auch mit Standing Ovations feierten. Als er auf den „Ballon d’Or“ zu sprechen kam, die Wahl zum besten Fußballer des Jahres also, und Pérez nicht nur ein „hehehe“ entfuhr, sondern sein Gesicht sich doch glatt noch zu einem heiteren Lächeln verformte.
Zur Erinnerung: Ende Oktober war Real Madrid der Gala ferngeblieben, bei der Spaniens Nationalspieler Rodri (Manchester City) als bester Spieler der Saison mit dem „Goldenen Ball“ ausgezeichnet worden war; die Reise der Real-Madrid-Delegation nach Paris wurde par ordre de mufti abgesagt, als Stunden vor Beginn der Ehrung bekannt wurde, dass Real-Madrid-Stürmer Vinícius Jr. bloß Zweiter geworden war. Von Pérez hatte es seither keinen einzigen Kommentar gegeben; nun also brach er sein Schweigen. Einerseits, um Rodri zu sagen, dass er einen, aber nicht diesen „Ballon d’Or“ verdient habe (was möglicherweise mit der Kolportage im Zusammenhang steht, dass Real Madrid Rodri gern verpflichten möchte). Und andererseits, um vor dem inneren Auge der madridistas Bilder einer Verschwörung ablaufen zu lassen.
Denn: Dass die europäische Fußballunion Uefa erstmals (als Mitorganisatorin) mitgemischt habe, habe zu einer Reihe von Veränderungen beim Abstimmungsmodus geführt, die er mit dem ironisch-sarkastischen Ausruf „caray“ versah, sinngemäß: Sieh mal einer an! Sein Hinweis, dass Journalisten aus Ländern mit weniger als einer Million Einwohner abstimmen durften, wohingegen Indien (1,5 Milliarden) außen vor blieb, klang ein wenig so, als habe die Wahl-Ausrichterin, die Zeitschrift France Football, in Tuvalu, Nauru und San Marino nach Stimmen gefahndet. Den Ärger lenkte Pérez aber auf die Vertreter anderer Nationen: „Ohne die Stimmen aus vier Ländern – Namibia, Uganda, Albanien und Finnland – hätte Vinícius den Ballon d’Or gewonnen“, rief Pérez. Der Finne sei als Wahlmann zurückgetreten. „Ich danke ihm“, fügte er hinzu.
Es gab aber auch den ironiefreien Pérez. Er blickte zurück auf das „goldene Zeitalter“ des Klubs (sechs Champions-League-Titel in zehn Jahren), verkündete triumphale Nettogewinne (die 1,8 Milliarden Euro Schulden für den Stadionumbau nicht berücksichtigen) und schlug die Ausbildung von Vinícius (61 Millionen Euro Ablöse) und Rodrygo (45 Millionen) der Nachwuchsabteilung von Real zu. Vor allem aber malte er die Zukunft des Sports in düsteren Farben. „Nie war die Lage heikler“ als jetzt.
Das ging einher mit Attacken auf Spaniens Ligaverband, die Uefa und den Weltverband Fifa. Uefa und Fifa hätten den Kalender derart aufgebläht, dass ein Real-Spieler in dieser Saison auf 82 Spiele kommen könne. Die Zahl der von Uefa und Fifa organisierten Partien sei in zehn Jahren von 22 auf 36 angestiegen – zulasten von Spielern und Zuschauern. „Die Klub-WM der Fifa (Sommer 2025) bringt die Spieler um ihre unverzichtbare Erholung“, sagte er.
Ob der Verein sich zur Aktiengesellschaft wandeln wird, ließ Pérez vorerst offenPérez’ Lieblingsthema aber bleibt die Super League, die er im April 2021 aus dem Hut zauberte und sogleich implodieren sah. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) „hat uns die Freiheit zurückgegeben“, rief Pérez, die Super League werde schon noch kommen. Mit wem? Das sparte er aus. Das neue Champions-League-System mit 36 Vorrundenteilnehmern nannte er dafür „unverständlich“ und „ungerecht“. Er erinnerte daran, dass die (mit ihm verbandelten) Super-League-Betreiber „kostenlose“ Fußballübertragungen anböten und dadurch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollten. Man würde der Piraterie im Internet Herr werden – und das Schicksal vermeiden, welches einst die Firma Blockbuster erlitt: vom Markt zu verschwinden. Blockbuster sei zu Beginn des Jahrtausends der führende Videoverleiher der Welt gewesen – und habe den historischen Irrtum begangen, sich dem Streamingdienst „Netflix“ zu verschließen.
Die interessanteste Neuerung, die bei Real Madrid ansteht, skizzierte Peréz dagegen nur in Umrissen: Real Madrid, bislang ein eingetragener Verein, solle eine Neuorganisation erfahren, um das wirtschaftliche Vermögen des Klubs und seiner Mitglieder zu schützen. Spanische Medien spekulieren, dass Pérez die Mitgliedsausweise in Aktienscheine verwandeln wolle; auch von einer Umwandlung auf Grundlage des deutschen „50+1“-Modells ist die Rede, um nach dem Modell des FC Bayern Großinvestoren anzulocken. Pérez legte sich nur in einer Hinsicht fest: dass über die neue Verfassung von Real Madrid per Referendum abgestimmt werden solle.