EU warnt vor "mehr Krieg" durch erwarteten Rafah-Einsatz

13 Tage vor
Rafah
Erwartete Militäroffensive in Rafah EU warnt vor "mehr Krieg und Hungersnot"

Stand: 06.05.2024 18:14 Uhr

Israels Evakuierungsaufruf für Rafah hat scharfe Kritik ausgelöst. Der EU-Außenbeauftragte Borrell forderte Premier Netanyahu auf, auf eine Offensive zu verzichten. Die Bundesregierung warnt vor einer "Katastrophe mit Ansage".

Die EU hat die von Israel angeordnete Evakuierung des Ostteils der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen verurteilt. Der Aufruf der Armee lasse "das Schlimmste befürchten: mehr Krieg und Hungersnot", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf der Plattform X, ehemals Twitter. "Das ist inakzeptabel."

Israel müsse auf eine Bodenoffensive verzichten. Die EU sei gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft aufgefordert zu handeln, um ein solches Szenario zu verhindern.

Biden will mit Netanyahu sprechen

Nach dem Evakuierungsaufruf der israelischen Armee will US-Präsident Joe Biden noch heute mit Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu telefonieren. Das kündigte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses an. Er betonte, dass die US-Regierung bereits in der Vergangenheit ihre Ansichten zu der von der israelischen Armee geplanten Bodenoffensive in Rafah "klargemacht" habe.

Die USA wie auch andere westliche Verbündete hatten die Pläne für die Offensive in den vergangenen Monaten heftig kritisiert. Nach dem Evakuierungsaufruf appellierte die palästinensische Präsidentschaft an die US-Regierung, sich "unverzüglich" einzuschalten, um ein "Massaker" in Rafah zu verhindern, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete. 

100.000 Menschen sollen Rafah verlassen

Nach monatelangen Ankündigungen hat Israel mit entscheidenden Vorbereitungen für den Militäreinsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen. Das Militär rief rund 100.000 Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager zu begeben. Die Hilfe in den erweiterten "humanitären Zonen" sei ausgeweitet worden. Es stünden Feldlazarette, Zelte, Lebensmittel und Wasser bereit.

Die Armee erklärte, dass sie die Bewohner durch Poster, SMS, Anrufe und Aufrufe in den Medien auf Arabisch informiere. Der Aufruf erfolge im Rahmen einer "begrenzten" Operation zur Zerschlagung der palästinensischen Islamistengruppe Hamas, sagte ein Militärsprecher.

Nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes verstärkte die israelische Armee nach dem Evakuierungsaufruf ihre Luftangriffe in Ost-Rafah. Zwei dortige Viertel seien bombardiert worden, sagte ein Zivilschutz-Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. 

Ein hochrangiger Hamas-Funktionär kritisierte den Schritt Israels. Dies sei eine "gefährliche Eskalation, die Folgen haben wird", hieß es. Ein möglicher israelischer Militäreinsatz in Rafah gefährde die Verhandlungen über eine Waffenruhe.

Bundesregierung: "Katastrophe mit Ansage"

Die Bundesregierung warnte erneut eindringlich vor den Folgen eines großen Militäreinsatzes in Rafah. In dem Gebiet hielten sich mehr als eine Million Menschen auf, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Sie forderte: "Diese Menschen brauchen Schutz. Sie brauchen natürlich humanitäre Unterstützung. Und die Bundesregierung und auch die Außenministerin haben bereits in Vergangenheit wiederholt gesagt, dass eine großangelegte Bodenoffensive auf Rafah eine humanitäre Katastrophe wäre, und zwar eine humanitäre Katastrophe mit Ansage."

Das französische Außenministerium betonte ebenfalls seinen "entschiedenen Widerstand" gegen eine Bodenoffensive in Rafah. "Frankreich erinnert im Übrigen daran, dass die Zwangsumsiedlung einer Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerrechts darstellt", teilte das Ministerium mit. Die Geiseln der Hamas müssten sofort freigelassen werden, und ein dauerhafter Waffenstillstand müsse den Schutz ermöglichen, den die Zivilbevölkerung brauche, hieß es.

Jordanien warnte nach dem israelischen Evakuierungsaufruf ebenfalls erneut vor einer Militäroffensive. "Ein weiteres Massaker an den Palästinensern steht bevor", teilte der jordanische Außenminister, Aiman Al-Safadi, auf der Plattform X mit. Alle müssten jetzt handeln, um ein solches Szenario zu verhindern. Es sei ein "unauslöschlicher Schandfleck" für die internationale Gemeinschaft, sollte es zu einem Militäreinsatz in Rafah kommen.

UNICEF: Katastrophale Folgen für Kinder

Auch das UN-Kinderhilfswerk UNICEF schlug Alarm. Eine drohende Bodenoffensive Israels in Rafah hätte "katastrophale Folgen" für rund 600.000 geflüchtete Kinder. Die ohnehin Not leidenden Mädchen und Jungen könnten im Falle eines Militäreinsatzes nirgendwohin ausweichen, warnte das Hilfswerk. Evakuierungskorridore seien möglicherweise vermint oder mit nicht explodierten Sprengkörpern übersät. Unterkünfte und Hilfe für Kinder seien in den Gebieten, die für eine Umsiedlung in Frage kämen, höchstwahrscheinlich begrenzt.

Hunderttausende Kinder in Rafah seien verletzt, krank, mangelernährt, traumatisiert oder lebten mit einer Behinderung. Sie dürften nicht zwangsweise umgesiedelt werden, betonte UNICEF. Jungen und Mädchen seien von den verheerenden Auswirkungen des sieben Monate dauernden Krieges im Gaza-Streifen besonders betroffen. Nach jüngsten Schätzungen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums seien bereits mehr als 14.000 Kinder getötet worden.

1,2 Millionen Menschen in Rafah

In Rafah im südlichen Gazastreifen haben rund 1,2 Millionen Menschen Zuflucht vor den Kämpfen zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas gesucht. Die israelische Regierung bezeichnet die Stadt als letzte verbliebene Hochburg der Hamas in dem Küstenstreifen. Vier Bataillone der Terrororganisation sollen dort aktiv sein.

Es ist unklar, ob die israelische Armee in die genannten Gebiete vordringt, um Zivilisten herauszuholen, oder ob es nur die Aufrufe geben wird. Offen ist auch, ob die Hamas verhindert, dass Menschen Rafah verlassen.

Gallant: Hamas hat keine Interesse an Geisel-Deal

Israel kündigt seit Monaten eine Bodenoffensive in Rafah an, um dort verbliebene Strukturen der Hamas zu zerschlagen. Erst am Sonntag warf der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant der Hamas vor, sie sei nicht ernsthaft an einer Vereinbarung mit Israel interessiert. Der Minister warnte vor einem Großeinsatz in Rafah in "sehr naher Zukunft".

In einem Statement stellte Gallant zudem einen Zusammenhang zu den schleppenden Verhandlungen über eine Freilassung der Geiseln her. Der jetzige Schritt sei nötig, weil die Hamas - die noch immer Dutzende israelische Geiseln in ihrer Gewalt hat - nicht bereit sei, auf Vorschläge zu einer Waffenruhe und einer Freilassung der Verschleppten einzugehen.

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