Putin: Russland driftet immer weiter ab – jetzt wird ein ...

2 Stunden vor
Putin

Dass Wladimir Putin eine etwas eigenwillige Einstellung zur Wahrheit hat, zeigt sich nicht nur in der Art, wie er die Medien in Russland umgekrempelt. Todeszahlen über russische Gefallene werden zurückgehalten oder nach unten korrigiert, politische Gegner ausgeschaltet und im Staatsfernsehen fällt kein putinkritisches Wort.

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Sogar in die Vergangenheit greift der Kremlchef ein. Er nutzt die russische Geschichte, um seine Macht zu legitimieren und den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Dabei macht er auch vor der Verherrlichung eines millionenfachen Massenmörders nicht halt.

Stalin als neues Vorbild

Im Rahmen der Sowjetherrschaft und der „Säuberungen“ verursachte Josef Stalin etwa 20 Millionen Todesopfer. Ein Verbrechen am russischen Volk, um das dieses eigentlich weiß – bis jetzt. Zu Schuljahresbeginn 2023 wurde ein neues Geschichtsbuch für Schulen herausgegeben. Der Inhalt: legitimiert den Angriff auf die Ukraine, die Sowjetunion wird als Erfolgsgeschichte dargestellt und stalinistische Massenverbrechen werden ausgeblendet.

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Doch welchen Nutzen hat ausgerechnet die Geschichte für Wladimir Putin? Martin Wagner, Geschichtswissenschaftler für Osteuropa an der Freien Universität Berlin, erklärt Stalins Bedeutung für Putin.

Die Lage in Russland unter Putin schätzt der Historiker folgendermaßen ein: „In Russland vollzieht sich eine Umwertung der Geschichte, die die Wiederherstellung des Imperiums mit militärischen Mitteln legitimieren soll. Das zeigt sich nicht nur an Putins falscher Vorstellung, die Ukraine hätte keine eigene Geschichte.“

Lenin ist für Putin ein Schwächling und Verräter

Durch den Umgang mit den Diktatoren der russischen Geschichte lasse sich eine Neubewertung vermeintlicher Vorbilder erkennen. „Wladimir Lenin, der Gründer der kommunistischen Sowjetunion, wurde von Moskaus Machthabern – auch nach dem Untergang der Sowjetunion – für eine Symbolfigur der Größe und Erneuerung gehalten. Für Putin aber gilt er als Schwächling und Verräter.“

Weil Lenin sich mit Russlands Niederlage im Ersten Weltkrieg zufriedengab und den Ukrainern ein Mindestmaß an Autonomie im sowjetischen Staat gewährte, passt er nicht in Putins Bild. Der Kreml habe auch die Einschätzung zu Josef Stalin umgekehrt, erklärt Wagner.

„Lange galt er als skrupelloser Diktator, der nach Belieben mordete. Heute verehrt ihn die russische Staatselite als Mann der Tat. Ihm allein wird der Sieg im Zweiten Weltkrieg, die militärische Expansion der Sowjetunion und die blutige Unterwerfung der Ukraine zugeschrieben. Die Russen, so will es die Kreml-Führung, sollen darauf wieder stolz sein.“

Stalin, so der Historiker, sei für Putin ein Spiegel. „Die Vergangenheit ist eine Projektionsfläche, in der sich Russland als etwas sehen will, was es nicht ist – stark, mächtig, unbezwingbar.“ Das gilt auch für Putin. „Wie Stalin will er allein über die Geschicke Russlands bestimmen.“

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Die Art ihrer Glorifizierung unterscheide sich jedoch. „Denn die Medien haben sich geändert: Vor gut 100 Jahren sahen die Menschen Stalin nur auf Plakaten, und zwar in retuschierten Fotografien oder romantisierten Gemälden.“ Putin hingegen sei heute allgegenwärtig – im Fernsehen, in den Zeitungen, im Internet, so der Geschichtswissenschaftler.

Putin-Kult noch wirkungsmächtiger als Stalin

„Weil alle Kanäle auf ihn zugeschnitten sind, ist sein „Kult“ viel wirkmächtiger, auch ohne dass Menschen sein Abbild durch die Innenstadt tragen wie einst Stalin-Porträts.“

Doch damit nicht genug: 2021 wurde die Organisation Memorial, die zur Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen beigetragen hat, in Russland verboten. Wagner erklärt: „Die Umwertung der Geschichte ermöglichte Russlands Krieg gegen die Ukraine erst.“

„Es ist kein Zufall: Nur wenige Wochen bevor Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, verbot der Kreml die älteste zivilgesellschaftliche Organisation Russlands – eine der letzten Stimmen eines ‚anderen Russlands‘, die außerhalb der Großstädte und über die Landesgrenzen hinweg Gehör fand.“

Dieser veränderte Umgang mit den Gräueltaten der Geschichte findet seine Anhänger in der russischen Kriegsgesellschaft: „An manchen Orten wurden Gedenktafeln für Opfer des Stalinismus, sozusagen die ‚Stolpersteine Russlands‘, nach Kriegsbeginn über Nacht einfach abmontiert.“

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Martin Wagner ist Historiker und forscht zur Geschichte Russlands und Chinas. Damit beschäftigt er sich auch in seinem im Februar in Coautorenschaft erscheinenden Buch „China und Russland. Kurze Geschichte einer langen Beziehung“.

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