Merckx: «Pogacar steht jetzt über mir, es gibt keinen Zweifel mehr»
Triumphfahrt vor zehntausenden Fans: Tadej Pogacar fährt zum WM-Titel.Bild: keystone
Mit einer Attacke für die Geschichtsbücher ist Tadej Pogacar an der Rad-WM in Zürich ins Regenbogentrikot gefahren. Die Gegner waren ebenso beeindruckt wie Eddy Merckx, der erfolgreichste Velorennfahrer überhaupt.
Hundert Kilometer sind es noch bis ins Ziel. Da tritt der Slowene Tadej Pogacar in die Pedale. Will sich der Topfavorit etwa tatsächlich jetzt schon absetzen?
Die Gegner wundern sich so wie die Zuschauer. «Ich dachte, dass er seine Chancen auf den Titel wegwirft», gestand Titelverteidiger Mathieu van der Poel. Der Niederländer, der am Ende Bronze gewann, sagte, er habe Pogacars Angriff «eher für eine kleine Panikattacke» gehalten, weil das slowenische Team das Rennen nicht habe kontrollieren können. «Aber er war so stark, dass er es bis zum Ende durchhalten konnte.»
Van der Poel sagte, sein Plan sei es gewesen, so viel Energie wie möglich aufzusparen. «Als die Belgier dann die Kontrolle übernahmen, glaubte ich, dass wir die Lücke schliessen können. Aber Tadej war letztlich zu stark für alle. Er war von einem anderen Planeten.»
Auch der Schweizer Teamleader Marc Hirschi sah, wie sich «Pogi» absetzte. Der Berner sagte im SRF, was ihm und auch allen anderen dabei durch den Kopf ging: «Wenn ich jetzt mitgehe, ‹verbläst› es mich. Sein Sieg ist absolut verdient. Er war heute der Stärkste.»
Van der Poel (rechts) gratuliert Pogacar.Bild: www.imago-images.de
Mit einer Einholung wurde es auch deshalb nichts, weil das Rennen sehr hart war. «Es war unglaublich anstregend», sagte van der Poel. Der entthronte Titelverteidiger verriet, was er seinem Nachfolger auf dem Siegerpodest gesagt hat: «Dass er gestört sei!» Van der Poel lachte. Er komme gut mit Pogacar aus. «Ich glaube, dass jeder froh ist, dass er Weltmeister ist. Ich finde es immer gut, wenn der beste Fahrer der Welt auch Weltmeister ist. Tadej ist das im Moment und deshalb ist es gut, dass er nun das Regenbogentrikot trägt.»
Dieses so begehrte Kleidungsstück trug auch schon Remco Evenepoel für ein Jahr. Nur zu gerne hätte der Belgier es in Zürich wieder überstreifen und ein historisches «Double-Double» schaffen wollen: Mit Doppel-Gold bei Olympia in Paris und an der WM, jeweils im Zeitfahren wie im Strassenrennen. Daraus wurde nichts.
«Da wussten wir: Wir kämpfen um Silber»«Normalerweise ist so ein früher Angriff ein Selbstmordkommando», sagte Evenepoel bei «Eurosport» über Pogacars Attacke. Dadurch habe er das Rennen unglaublich hart gemacht. «Es waren hundert Kilometer Vollgas. Es war ein ziemlich explosives Rennen, auch sehr anspruchsvoll.»
Evenepoel (hellblau) und Hirschi (weiss) müssen sich im Kampf um Bronze van der Poel (orange) geschlagen geben.Bild: keystone
Evenepoel wurde Fünfter und in der gleichen Gruppe wurde Enric Mas Achter. Der Spanier sagte, einmal sei bei ihnen kurz Hoffnung aufgeflammt. «Wir kamen bis auf 35 Sekunden heran, da dachten wir, jetzt ist er eingebrochen. Aber in zwei Kilometern holte er wieder 15 Sekunden heraus. Da wussten wir: Wir kämpfen um Silber.» Diese Medaille schnappte sich der Australier Ben O'Connor, dessen Angriff kurz vor dem Ziel erfolgreich war.
Merckx verneigt sich vor PogacarNach dem Giro d'Italia und der Tour de France gelang es Tadej Pogacar mit dem WM-Titel, auch sein drittes grosses Ziel in dieser Saison zu gewinnen. Diese «Triple Crown» errangen erst zwei Rennfahrer: Eddy Merckx aus Belgien 1974 und der Ire Stephen Roche 1987.
Nun ist Pogacar in diesem sehr exklusiven Zirkel – und nicht nur das. Merckx, der «Kannibale», der erfolgreichste Radrennfahrer der Geschichte, adelte den Slowenen. «Es ist offensichtlich, dass Pogacar jetzt über mir steht», sagte Merckx gegenüber «L'Equipe». Er habe das in seinem Inneren schon vor dem WM-Rennen gedacht, nach dem, was Pogacar an der Tour gezeigt habe. «Aber heute Abend gibt es keinen Zweifel mehr.»
Merckx vor einigen Wochen mit Doppel-Olympiasieger Evenepoel.Bild: www.imago-images.de
Es sei schwierig, die verschiedenen Epochen zu vergleichen, sagte der 79-jährige Belgier, der in den 60er- und 70er-Jahren alles gewann, was es zu gewinnen gibt. «Wir haben es mit einem unglaublichen Fahrer zu tun. Was er heute geleistet hat, ist unvorstellbar. Wir werden uns noch sehr lange an ihn erinnern.» Pogacar habe gegen van der Poel und Evenepoel viel riskiert, aber das habe ihn offensichtlich nicht abgeschreckt. «Da versteht man, dass Tadej Pogacar ein riesiger Champion ist. Er ist ausserhalb der Norm.»
«Ein schöneres Kompliment kann es nicht geben»Stephen Roche meinte, sein WM-Triumph damals sei mit jenem Pogacars nicht zu vergleichen. «Ich hatte bis 400 Meter vor dem Ziel gewartet, er ging 100 Kilometer vor dem Ziel zum Angriff über. Wir reden nicht von derselben Sache.»
Für mindestens ein Jahr wird Tadej Pogacar nun ins Regenbogentrikot schlüpfen, wenn er ein Rennen bestreitet.Bild: keystone
Der Ire sagte, ihm würde es schwer fallen, die richtigen Worte für den Titelgewinn des Slowenen zu finden. Klar sei für ihn, dass es für den Radsport ein grossartiger Tag gewesen sei. «Ein solcher Sieg bringt so viel Frische. Unser Sport wird dadurch gestärkt.»
Als Roche mitgeteilt wurde, wie Merckx sich und Pogacar verglich, musste der Ire nachfragen, ob Merckx das wirklich so gesagt habe. «Ein schöneres Kompliment kann es nicht geben», meinte er.
Regenbogen-Parade: Die Strassen-Weltmeister seit 1998
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Regenbogen-Parade: Die Strassen-Weltmeister seit 1998
1998: Oscar Camenzind (Schweiz).
quelle: keystone / michele limna
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