Jutta Pedri: „Frauen haben einen anderen Blickpunkt“

Pedri
Raiffeisen Nachrichten: Seit über zehn Jahren arbeiten sie als Verwaltungsrätin einer Raiffeisenkasse. Wie kam es zu ihrem Engagement?

Jutta Pedri: Als Anwältin bin ich häufig mit Sanierungs- und Inkassofällen konfrontiert, bei denen Menschen Schwierigkeiten haben, Darlehen zurückzuzahlen oder mit Pfändungen belastet sind. Insbesondere bei Frauen, die Bürgschaften übernommen haben, habe ich den Eindruck, dass viele nicht vollständig verstehen, was sie unterzeichnen. Ich wollte Einblick in die Abläufe bekommen, um zu sehen, wie man solchen Situationen entgegenwirken kann. Darüber hinaus interessiert mich die Raiffeisenkasse als Genossenschaftsbank, der Genossenschaftsgedanken liegt mir nahe und deshalb bin ich gerne Teil dieses Entscheidungsgremiums.

Sie waren 2014 in Salurn im ersten Verwaltungsrat, der gleichberechtigt mit vier Männern und vier Frauen besetzt war.

Ich bin damals, zusammen mit drei weiteren Frauen, in den Verwaltungsrat der Raiffeisenkasse Salurn gewählt worden: Adelinde Mark, Sandra Montel und die Rechtsanwalt-Kollegin Iris Giacomozzi. Vier Frauen von acht Mitgliedern, das war ein Novum und fand auch in den Medien großes Echo.

Wie würden Sie ihre Arbeit im Verwaltungsrat beschreiben?

Die Arbeit im Verwaltungsrat ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die in den letzten Jahren komplexer geworden ist. Der Verwaltungsrat ist u.a für die Festlegung der allgemeinen Ausrichtung der Geschäftsgebarung, der Business und Finanzpläne, zum Teil für die strategische Ausrichtung der Bank zuständig, Kreditvergaben ab einer bestimmten Größenordnung werden von uns entschieden. Daher müssen wir die Bankengesetze sehr gut kennen und wirtschaftliche Situationen gut einschätzen können.

Wie fühlen Sie sich als Frau im männlich dominierten Gremium?

Als Anwältin bin ich in einer Männerdomäne tätig und habe den Vorteil, dass ich mich beruflich immer schon durchsetzen musste und mich zudem in männlichen Gremien nie ausgegrenzt gefühlt habe. Frauen haben einen anderen Blickpunkt, der für die Entscheidungsfindung wichtig ist. Frauen sollten sich trauen, sich durchzusetzen und nicht immer versuchen, sich anzupassen. Hilfreich wäre es, wenn in Gremien mindestens zwei Frauen vertreten sind, das macht es leichter.

Wie gelingt es Ihnen Familie und Beruf zu vereinen?

In der ersten Zeit, wo wir nach Neumarkt gezogen sind, wo ich meine Anwaltskanzlei führe, unterstützte mich in erster Linie mein Ehemann und eine Kinderfrau. Als die Kinder in die Schule kamen, sind wir nach Rabland gezogen, weil meine Eltern und Geschwister dort wohnen. Vor 15 Jahren haben mein Bruder Boris, der ebenfalls als Anwalt tätig ist, und ich eine gemeinsame Anwaltskanzlei gegründet, mit zwei Büros, in Neumarkt und Meran. Seitdem pendle ich berufsbedingt zwischen Unterland und Vinschgau. Mit der Änderung des Wohnsitzes nach Rabland konnte ich leider nicht mehr für den Verwaltungsrat der Raiffeisenkasse Salurn kandidieren. Daher habe ich mich in Partschins zur Verfügung gestellt und bin gewählt worden. Jetzt ist es bereits meine dritte Amtsperiode. Unsere beiden Söhne besuchen inzwischen das Vinzentinum in Brixen und kommen nur am Wochenende nach Hause. Deshalb bleibt mir unter der Woche viel Zeit für Sitzungen, die oft am Abend stattfinden. Das ist aus meiner Sicht einer der Gründe, warum sich wenige Frauen für die Arbeit in den Gremien melden, v.a. wenn die Kinder noch klein sind. Väter machen sich kaum Gedanken, wenn sie neben ihrer Arbeit noch Sitzungen am Abend haben, das wird toleriert. Bei uns Frauen ist das negativ behaftet, obwohl wir uns drei- und nicht nur zweiteilen, um allen Rollen gerecht zu werden. Sitzungen könnte man auch zu Mittag, vormittags, am Nachmittag oder als Online-Sitzungen organisieren. Das käme vor allem Frauen entgegen.

Wie erleben Sie die Bedeutung des Frauseins für Ihren Erfolg?

In Südtirol ist es nach wie vor eine schwierige Herausforderung, als Frau Karriere zu machen, insbesondere in Branchen wie dem Bankensektor und der Anwaltschaft.
Überhaupt während der Familienplanungsphase ist man als Frau oft auf sich allein gestellt und die Gesellschaft ist noch nicht so weit, eine Frau, die Beruf und Familie unter einen Hut bringt und Karriere macht, zu akzeptieren und positiv zu werten. Der Begriff „Karrierefrau“ wird oft negativ ausgelegt.

Wie könnte man die Situation ändern?

Netzwerke aufbauen und sich als Frauen gegenseitig unterstützen. Es hilft, wenn Frauen, die sich getraut haben, mutig zu sein, darüber reden, wie sie es geschafft haben.

Welches ist Ihre größte Herausforderung im Leben?

Zeit für mich selbst zu haben, ist meine größte Herausforderung. Ich mach’ viel für andere, das freut mich. Aber es bleibt dann wenig Zeit für mich selbst. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass sich die Situation für Frauen verbessert und die
Entwicklung nicht wieder rückwärtsgeht. Ich engagiere mich deshalb auch als Vorbild für die nächste Generation Mädchen. Sie sollen sehen, dass man sich nicht einschüchtern lassen braucht. Und ich engagiere mich in all diesen Gremien und werde nicht aufgeben, bis wir wieder die Situation von 2014 erreicht haben: Hälfte, Hälfte (lacht). Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass Frauen und Männer in Führungsebene gut zusammenarbeiten und gemeinsam hervorragende Ergebnisse liefern.

Wie gehen Sie mit Herausforderungen um?

Ich versuche, mich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Ich bin seit jeher ein mutiger und positiv eingestellter Mensch, und versuche das Beste aus jeder Situation zu machen. Als Kämpfernatur versuche ich andere zu unterstützen und Lösungen zu finden.

Was bedeutet Führung für Sie?

An Führung muss man demütig herangehen, weil man große Verantwortung hat. Es braucht Mut, aber auch Demut. Als Führungspersönlichkeit kann man sehr viel bewirken und deshalb muss man sich gut überlegen, was man macht. Aber ich bin gerne in dieser Position.

Wie gehen Sie mit Macht um?

Macht sollte nicht negativ behaftet sein, sollte aber auch keine subjektive Befriedigung sein oder ausgenutzt werden, v.a. in einer Genossenschaftsbank. Hier steht der Genossenschaftsgedanke im Vordergrund. Egotrips sind hier fehl am
Platz. Da schaffen wir Frauen in den Gremien schon einen Ausgleich, würde ich sagen. Ich hatte bisher nie das Gefühl, dass Frauen diese Macht negativ ausnützen. Frauen gehen ein bisschen anders mit Macht um, sie haben vielleicht mehr Angst davor, sind es nicht gewohnt und wollen deswegen oft nicht kandidieren. Aber Frauen sollen sich trauen, weil im Austausch mit anderen Frauen, die da dabei sind, verliert man die Angst.

Gibt es Menschen, die Sie inspirieren?

Auf alle Fälle meine Eltern, v.a. meine Mutter, obwohl sie nie in Gremien war. Sie hat uns Mädchen (ich habe noch eine Schwester, die als Ärztin arbeitet) in unserem beruflichen Ehrgeiz immer unterstützt. Berufliches Vorbild war sicher Ulrike Lobis, meine erste Chefin, weil sie mir gelernt hat, dass man hart zu sich sein muss, damit man zu etwas kommt. Sie ist nicht umsonst die erste Staatsrätin Südtirols geworden. Kraft braucht es schon.

Woher nehmen Sie die Kraft?

Meine Familie gibt mir viel Kraft. Ich freue mich immer, wenn die Kinder am Wochenende wieder nach Hause kommen. Meine beiden Buben geben mir sehr viel Kraft und Freude, auch gemeinsame Unternehmungen oder Reisen. Eine Reise, ein paar Tage am Meer, das ist für mich Ausgleich. Auch Spaziergänge mit unserem Hund tun mir gut. Natur und Bewegung draußen, das hilft mir. Kultur, Theater hilft mir ebenfalls, den Kopf frei zu kriegen. Und ich bin sehr gerne mit Menschen zusammen.

Was macht Sie glücklich?

Wenn ich die Balance finde zwischen meiner Arbeit, die ich wirklich gerne mache, meinen Freizeitaktivitäten und meiner Familie. Und wenn ich selbst einmal auch Zeit für mich herausholen kann und sei es nur einen Kaffee mit einer Freundin oder in der Sonne sitzen. Alles, was Freude macht, gibt Kraft, so auch außerberufliche Dinge wie die Arbeit im Gemeinderat, oder für eine Privatstiftung, die laut Statut Arme, Kranke, Menschen mit Beeinträchtigung und Künstler unterstützt. Dort bin ich seit 25 Jahren als Vizepräsidentin ehrenamtlich tätig. Hier kann man oft bereits mit einem kleinen Beitrag sehr viel Leid lindern. Das tut gut. Deshalb bin ich auch Anwältin geworden, da ich immer helfen wollte und Ungerechtigkeit nicht ausstehen kann .

Folgen Sie einem bestimmten Lebensmotto?

Mein Motto lautet: Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut. (Thukydides).

Vielen Dank für das Gespräch!
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