Pager-Explosionswelle im Libanon: Wie die Hisbollah getroffen ...

gestern

Bei dem beispiellosen Ereignis, das sich um im Grunde veraltete Technik dreht, wurden Tausende Hisbollah-Mitglieder schwer verletzt und viele getötet. Viele Fragen sind offen. Versuch eines Überblicks, in dem indes auch Ungarn und Österreich vorkommen.

Nach der so bizarren wie beispiellosen Serie von Explosionen in Pagern, durch die am Dienstagnachmittag im Libanon mehr als 2700 Menschen (laut Libanons Gesundheitsministerium sogar um die 4000) verletzt und mindestens elf getötet worden waren, gingen die Spekulationen über Hintergründe und technische Durchführung weiter. Da fast alle Opfer der Schiitenmiliz Hisbollah angehören oder ihr irgendwie nahestehen, die mit dem Iran verbündet ist und sich als mit Israel im Krieg befindlich sieht, deutete zumindest sehr vieles auf Israel als Urheber hin. Im Folgenden einige Fragen und Antworten:

Was ist nochmal passiert?

Wie gesagt explodierten in etwa zeitgleich, gegen 15 Uhr 30 lokaler Zeit plus/minus etwa eine halbe Stunde, mehrere Tausend dieser kleinen, sehr simplen Kommunikationsgeräte. Die Explosionen waren räumlich sehr begrenzt, auf Videos etwa aus Supermärkten sieht man, dass die Druckwelle rein optisch das Ausmaß einer gewissen Anzahl handelsüblicher Sylvesterböller hatte.

Die Explosionen fanden etwa in Geschäften, Lokalen, in Autos, Wohnungen und auf der Straße statt. Da die Besitzer der Pager diese oft am Körper trugen (etwa Hosen- und Jackentasche) oder gerade in der Hand hatten, wirkte die Explosion direkt auf ihre Körper, was gemäß Videoaufnahmen auch stark genug sein konnte, die Leute umzuwerfen. Zu den berichteten Verletzungen zählen etwa abgerissene Finger, Verletzungen am Kopf, im Gesicht, an den Augen, offene Fleischwunden an der Hüfte oder im Brustbereich. Die Zahl der Verletzen schwankte wie erwähnt zwischen etwa 2750 und bis zu 4000, dazu mindestens elf Tote. Auch der iranische Botschafter im Libanon, Mojtaba Amani, wurde Medienberichten zufolge bei der Explosion eines Pagers verletzt; das Gerät habe einem Leibwächter gehört. Explosionen wurden auch aus mehreren Orten in Syrien berichtet.

Am Mittwoch kamen zudem Berichte über Pager auf, die nicht aus heiterem Himmel heraus explodierten, sondern zuvor den Mitteilungston abgaben, damit man sie auch in die Hand nehme. Es ist auch die Rede von Fehlermeldungen, die den Benutzer dazu bringen sollen, die Löschtaste zu betätigen, erst danach knallte es.

Was ist ein Pager?

Pager (dt. auch Piepser genannt) sind Anfang der 1950er entwickelte, kleine Kommunikationsgeräte, die ihre Besitzer (z. B. Feuerwehrleute, Ärzte, Polizisten, Straßenarbeiter, Maschinenaufseher) durch Piepstöne alarmieren, damit sie ein bestimmtes Verhalten setzen, etwa sich irgendwo einfinden oder jemanden anrufen. In Lokalen werden Pager mitunter benützt, um in der Nähe wartenden Kunden zu übermitteln, dass ihre Bestellung abholbereit ist.

Mit vielen Pagern können auch kurze Textnachrichten empfangen werden, allerdings wurden sie ab den 2000er-Jahren großteils durch Handys bzw. Smartphones abgelöst. Sie sind jedoch unter bestimmten Umständen verlässlicher, weniger störungsanfällig und schwerer bis gar nicht zu orten, denn sie können in der Regel Signale (per Funk) nur empfangen, nicht aber senden, sind also strahlungspassive Empfänger.

Wie kann ein Pager explodieren?

Dazu gibt es bisher im Prinzip zwei Theorien. Beiden ist gemein, dass irgendjemand mittels eines oder mehrerer Funksender, die auf die Frequenz der Pager bzw. deren „Adresse“ abgestimmt waren, ein Zündkommando abgesetzt hat. Je nach Basisfrequenz, topographischen Umständen, Position und Stärke des Senders (in Watt) kann man den Pager über Entfernungen von einigen Kilometern bis zu mehreren Dutzend Kilometern ansprechen; ist der Sender hoch über dem Boden in einem Flugzeug oder einer Drohne, können es wohl einige Hundert Kilometer sein. Der Pager-Datenverbindung liegt übrigens häufig der verbreitete sogenannte POCSAG-Code zugrunde (Post Office Code Standard Advisory Group), ein einst maßgeblich in Großbritannien entwickelter Standard, was hier allerdings zu weit führen würde.

Theorie 1: Durch ein starkes Funksignal wurden die Elektronik und die Batterie binnen Sekunden dermaßen überlastet, dass Letztere explodierte. Tatsächlich berichteten Pager-Opfer bisweilen, die Geräte seien heiß geworden, manche Benützer warfen sie erschrocken weg.

Falls die Batterien vom Lithium-Ionen-Typ waren, können sie durch elektrische Überlastung, Kurzschluss, mechanische Beschädigung oder Wasserkontakt tatsächlich überhitzen und platzen oder zu brennen beginnen („thermisches Durchgehen“), daher gelten solche Batterien bzw. Akkus als Gefahrengut und unterliegen auch bestimmten Beförderungsbestimmungen. Allerdings waren die Explosionen im Libanon zu stark für ein „gewöhnliches“ Akku-Platzen. Und jene Firma, deren Name auf den betreffenden Pagern steht (siehe dazu unten), meldete am Mittwoch, dass in ihren Pagern in der Regel „ganz gewöhnliche Doppel-A-Batterien“ seien bzw. die Kunden sie damit betreiben können. Diese handelsüblichen AA-Batterien bzw. Mignonzellen, die jeder etwa von Fernsteuerungen kennt, bestehen aber vielfach aus anderen chemischen Verbindungen (etwa Alkali-Mangan, Zink-Kohle), die chemisch träge sind und nicht zum Explodieren neigen.

Theorie 2: Tatsächlich mehrten sich die Gerüchte und Berichte sogar von offizieller libanesischer Seite, wonach in den Pagern geringe Mengen Plastiksprengstoff im Grammbereich versteckt gewesen seien. Demnach wurden sie also irgendwann vor ihrer Auslieferung an die Hisbollah manipuliert. Der Sprengstoff könnte einen eigenen Funkempfänger samt Zünder für das Zündsignal besessen haben (solche Dinge können extrem klein sein) oder es wurde das oben beschriebene thermische Durchgehen der Batterie als Zünder genützt.

Wer hat die Pager gebaut?

Die betroffenen rechteckigen Geräte tragen als Herstelleraufdruck den Namen der mäßig bekannten taiwanesischen Firma „Gold Apollo“ (gegründet 1995) und sind vom aktuellen Modell AR-924, ohne Batterie rund 130 Gramm schwer und vom Durchmesser etwa handflächengroß. In einigen Beschreibungen taucht ein Lithium-Ionen-Akku auf, aber bei Gold Apollo sprach man am Mittwoch eben auch von gewöhnlichen AA-Batterien. Der Pager ist rein one-way, man kann nicht senden damit.

Hsu Ching-kuang., Chef von Gold Apollo, dementiert das Pager-Geschäft mit der Hamas.

Hsu Ching-kuang., Chef von Gold Apollo, dementiert das Pager-Geschäft mit der Hamas. APA / AFP / Yan Zhao

Gold-Apollo-Gründer Hsu Ching-Kuang sagte allerdings vor Journalisten, dass seine Firma die betreffenden Geräte nicht gebaut, geliefert oder der Hisbollah sonst irgendwie verkauft habe. Er legte stattdessen eine Spur nach Europa, konkret nach Ungarn: Dort baue seit mehreren Jahren ein Budapester Lizenznehmer namens BAC Consulting KFT diese Geräte, mitunter in abweichender technischer Ausführung.

Der Firmensitz von BAC Consulting in einer Budapester Wohngegend. Dort war vorerst niemand erreichbar.

Der Firmensitz von BAC Consulting in einer Budapester Wohngegend. Dort war vorerst niemand erreichbar. Reuters / Marton Monus

Ungarische Medien meldeten am Mittwoch, dass die Firma nicht auf Anfragen reagiere. Da es sich offenbar nur um ein Consulting-Unternehmen handelt, ist fraglich, ob es die Pager selbst bauen konnte. Ein Nachschau von Journalisten bei der Firmenadresse in Budapest ergab, dass dort nur ein Wohnhaus steht. Die Homepage von BAC war überdies „down“. Der Firmenname stand nur auf einem an einer Glastür angebrachten A4-Blatt. Eine Person im Gebäude, die nicht genannt werden wollte, sagte, BAC habe dort keinen physischen Sitz.

Die vorgebliche Chefin von BAC Consulting, eine gewisse Cristiana Barsony-Arcidiacono, gibt auf ihrem LinkedIn-Profil an, sie habe als Beraterin für verschiedene Organisationen gearbeitet, darunter auch die Unesco. Sie antwortete nicht auf Anfragen von Reuters.

Es gibt also Spekulationen, dass es sich nur um eine Tarnfirma handeln könnte, die Pager auch nie kommerziell im breiten Markt vertrieben hat, sondern nur für „ganz bestimmte Zwecke“. Wer hinter dieser Tarnfirma stecken könnte? Siehe den letzten Punkt ganz unten.

Allerdings: Hsu Ching-kuang deutete laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch eine Spur nach Österreich an, die allerdings vorerst äußerst dünn ist. Dort gebe einen Vertreter namens „Tom“, der Produkte unter dem Apollo-Label vertreibe. Er, Hsu, kenne diese Person aber bisher nur per Videogespräch.

Jedenfalls: Dieser Tom habe bald nach dem Lizenzvertrag Ingenieure beauftragt, ein eigenes Pagermodell zu entwerfen, das er unter dem Lizenz-Markennamen Gold Apollo vertrieb, sagte Hsu. „Wir sagten ihm, dass das, was Sie herstellen, weder schön noch gut ist, benutzen Sie doch einfach mein Produkt“, sagte Hsu laut FAZ. Man habe mittlerweile seit drei Jahren keine Waren mehr an Tom in Österreich geschickt, er mache offenbar sein eigenes Ding. Diese Person habe nie den Libanon erwähnt, aber nach einem nicht näher definierten „Problem mit einer Überweisung“ habe er irgendwie „ein komisches Gefühl“ bekommen, wie der Taiwaner sagte.

Wie und wo wurden die Pager manipuliert?

Sie wurden entweder schon so gebaut, oder jemand hat eine für die Hisbollah bestimmte Lieferung abgefangen und umgebaut oder überhaupt statt diesen Geräten der Hisbollah die eigenen „trojanischen Pferdchen“ zugestellt. Diese Islamisten sollen heuer 3000 bis 5000 Stück des besagten Modells bestellt haben (bei welchem Ansprechpartner genau, ist noch unklar, BAC in Taiwan dementiert das ja, vielleicht war da ein Zwischenhändler).

Wobei das Grundmotiv die nicht unberechtigte Annahme war, dass Pager im Vergleich zu Telefonen sicherer sind. Die Hisbollah nimmt an, dass die Fernmeldenetze in der Region, speziell im Libanon, von Israel, den USA und wohl auch von anderen angezapft sind. Und der Aufenthaltsort eines Pagers ist in der Regel nicht zu ermitteln, weil das Gerät passiv ist. Abhören kann man die kurzen Textbotschaften an die Pager, aber wenn diese nur aus codierten Befehlen, groben Handlungsanweisungen oder Warnungen bestehen, ist es wohl schwer, daraus Schlüsse zu ziehen.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte seine Anhänger mehrmals vor dem Gebrauch von Smartphones gewarnt. Im Februar rief er seine Kämpfer sogar dazu auf, ihre Smartphones wegzuwerfen.

Und wer hat sie manipuliert?

Tja. Die Jackpotfrage. Israel zumindest hat sich so wie in vielen anderen Fällen dazu bisher nicht öffentlich geäußert.

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