Neun Tote durch Explosionen im Libanon: Israel soll Pager ...

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Neun Tote durch Explosionen im Libanon

Die Explosionen Tausender Pager im Libanon haben am Dienstag laut offiziellen Angaben mindestens neun Menschenleben gefordert, über 2.750 wurden verletzt. Laut „New York Times“ („NYT“) fing der israelische Geheimdienst Mossad die für die proiranische Miliz Hisbollah gedachten Pager ab und platzierte einige Gramm Sprengstoff darin. Die Sorge vor einem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah ist groß. Die israelische Armee deutete an, sich auf einen Vergeltungsschlag vorzubereiten.

Pager - Figure 1
Foto ORF

Online seit heute, 8.11 Uhr (Update: 10.00 Uhr)

Reuters berichtete unter anderem unter Berufung auf einen hochrangigen libanesischen Sicherheitsbeamten, dass in 5.000 Pagern der taiwanischen Firma Gold Apollo bereits bei der Produktion eine kleine Menge Sprengstoff versteckt worden sein soll. „Der Mossad hat eine Platine mit Sprengstoff und einem Code in das Gerät eingeschleust. Es ist sehr schwierig, das mit irgendwelchen Mitteln zu entdecken, selbst mit Geräten oder Scannern“, sagte der Sicherheitsbeamte.

Die 5.000 Pager seien von der Hisbollah-Gruppe bei Gold Apollo bestellt und Anfang des Jahres ins Land gebracht worden. 3.000 der Pager seien am Dienstag explodiert, als eine verschlüsselte Nachricht an sie gesendet wurde, die gleichzeitig den Sprengstoff aktivierte. Laut „NYT“ wurden die Pager erst vor der Ankunft im Libanon abgefangen und mit Sprengstoff bestückt. Auch aus dem taiwanischen Wirtschaftsministerium hieß es, dass die Pager wahrscheinlich nach dem Export bearbeitet worden seien. Zudem gebe es keine Aufzeichnungen über direkte Exporte in den Libanon.

Hersteller weist Vorwürfe zurück

Der Gründer des Unternehmens, Hsu Ching-kuang, wies Vorwürfe zurück, sein Unternehmen habe die bei den Explosionen verwendeten Pager hergestellt. „Das Produkt war nicht von uns. Es trug nur unseren Markennamen“, sagte er. Laut Hsu wurden die Pager von einer Firma in Europa hergestellt, die das Recht habe, die Marke der taiwanischen Firma zu verwenden. Auch Gold Apollo sei Geschädigter des Vorfalls. „Wir sind eine verantwortungsvolle Firma. Das ist sehr peinlich“, sagte er. Taiwanischen Medienberichten zufolge will das Unternehmen rechtliche Schritte einleiten.

Videos von Überwachungskameras zeigen, dass es auch in Supermärkten zu Explosionen kam

Auf Nachfrage der dpa erklärte Gold Apollo, dass eine in Ungarn ansässige Firma die Geräte entworfen und gefertigt habe. „Gemäß einer Vereinbarung ermächtigen wir BAC, unser Markenzeichen für den Verkauf von Produkten in bestimmten Regionen zu nutzen, aber Design und Herstellung werden vollständig von BAC übernommen“, teilte Gold Apollo mit.

Pager sind kleine Kommunikationsgeräte, mit denen kurze Botschaften empfangen werden können, sie waren früher vor allem im Rettungswesen weit verbreitet. Die Hisbollah benutzt sie aus Sicherheitsgründen für die Kommunikation, denn anders als bei Handys kann ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden. Ein gewöhnlicher Pager ist nur ein Empfänger, der nicht in ein Netz eingeloggt ist.

Hisbollah droht mit Vergeltung

Die israelische Armee und Geheimdienste bekannten sich nicht zu den Explosionen. Die Hisbollah und ihr wichtigster Unterstützer, der Iran, beschuldigten Israel aber als Drahtzieher. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah will am Donnerstag eine Rede halten. Der mit der Hisbollah verbündete libanesische Parlamentsvorsitzende Nabih Berri sprach von einem „Massaker und Kriegsverbrechen Israels“. Der Iran reagierte vorerst zurückhaltend: Außenminister Abbas Araghtschi sprach von einem „Terrorakt“, vermied aber eine Schuldzuweisung.

Die UNO warnte vor einer Eskalation. Die Hisbollah kündigte Vergeltung an. Israel stellt sich darauf offenbar bereits ein. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi habe am Abend eine Lagebesprechung abgehalten, die sich auf die „Bereitschaft in allen Bereichen, sowohl in der Offensive als auch in der Defensive“, konzentriert habe, hieß es vonseiten der Armee.

Israel weitete Kriegsziele gegen Hisbollah aus

Nur wenige Stunden vor den Explosionen teilte die israelische Regierung am Dienstag mit, dass sie ihre Kriegsziele auf den Konflikt mit der Hisbollah im Libanon ausgeweitet habe. Seit Beginn des Gaza-Krieges nahmen auch die Kämpfe mit der Hisbollah zu. Hunderte Menschen wurden getötet, Zehntausende Bewohner und Bewohnerinnen auf beiden Seiten der Grenze mussten fliehen.

Israel erklärte die Rückkehr der Israelis in ihre Wohnorte im Norden des Landes zu einem der Kriegsziele. Der einzige Weg dahin sei ein militärischer Einsatz, hieß es von Verteidigungsminister Joav Galant.

Bericht: Hisbollah sollte verunsichert werden

Nach Informationen des US-Nachrichtenportals Axios legten die Explosionen auch einen wesentlichen Teil des militärischen Kommando- und Kontrollsystems der Hisbollah lahm. Der von Israel ausgeführte Angriff habe darauf abgezielt, die mächtige Miliz zu verunsichern und in ihren Reihen das Gefühl zu erwecken, sie sei vollständig von israelischen Geheimdiensten durchdrungen, zitierte Axios eine nicht näher beschriebene Quelle.

Diesem Bericht zufolge soll Israel den Zeitpunkt für den Einsatz der manipulierten Pager vorverlegt haben, da einige Hisbollah-Mitglieder offenbar Verdacht geschöpft hatten. Über die Planung seien die USA nicht vorab informiert worden, hieß es von US-Behörden gegenüber „Axios“. Der israelische Verteidigungsminister Galant habe aber noch am Dienstag seinen US-Kollegen Lloyd Austin informiert, dass es bald einen israelischen Einsatz im Libanon geben werde.

Zahlreiche Operationen an Augen und Armen

Unter den Verletzten sollen viele Hisbollah-Kämpfer sein, darunter auch Mitglieder der Eliteeinheit Radwan und der iranische Botschafter im Libanon. Dieser befinde sich nach Angaben seiner Ehefrau in einem Krankenhaus, berichtete die BBC. Unter den Toten sind laut Reuters der Sohn eines Hisbollah-Abgeordneten und die Tochter eines Mitglieds der Miliz. Das Mädchen sei getötet worden, als sie neben ihrem Vater stand und dessen Pager explodierte, gaben ihre Familie und eine der Hisbollah nahestehende Quelle an.

Der Iran schickte medizinische Hilfsteams in den Libanon. Viele der Verletzten mussten am Auge operiert werden, anderen wurden die Arme amputiert, hieß es von Ärzten am Mittwoch.

AUA setzt Flüge aus

Aus Sorge vor einer Eskalation haben Air France sowie die Lufthansa-Gruppe und mit ihr auch die AUA ihre Flüge nach Tel Aviv und Teheran vorerst bis Donnerstag ausgesetzt. Alle anderen Flüge in der Region werden den israelischen und iranischen Luftraum meiden. Die Entwicklung werde laufend neu bewertet. Betroffene Fluggäste können gratis umbuchen oder stornieren.

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