Nach Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburg: Debatte um ...
Hier bekommen Betroffene und Angehörige Hilfe:
Am heutigen Montag gibt es erneut die Möglichkeit, in Magdeburg gemeinsam an die Getöteten zu erinnern. Rund um den Alten Markt hat eine Initiative namens "Gib Hass keine Chance" aufgerufen, eine Menschenkette zu bilden. Das stille Gedenken soll demnach um 17 Uhr beginnen. Treffpunkt sei die Johanniskirche.
Es ist nicht leicht, aktuell Abstand vom Geschehenen zu gewinnen. Ein Hotel in Fichtelberg nahe Bayreuth bietet über Weihnachten kostenfreie Übernachtungen inklusive Frühstück für Magdeburger an, die genau dies brauchen. Wie das "Wild West Hotel & Restaurant" bei Facebook schreibt, gilt dies bis zum 25. Dezember und richtet sich ausschließlich an Einwohnerinnen und Einwohner von Magdeburg.
08:14 Uhr | Wer war Taleb A.? Interview mit Zeit-Autor Christian FuchsSehr gebildet, aber auch mit einer manischen Art – so beschreibt der Journalist Christian Fuchs den mutmaßlichen Attentäter Taleb A. nach einer gemeinsamen Begegnung. Fuchs, der für Die Zeit schreibt, hat vor ungefähr einem Jahr gut vier Stunden lang mit A. gesprochen. Im ARD-Interview schildert er seine damals gewonnen Eindrücke:
Fuchs zufolge war das Gespräch damals im Zuge einer Recherche über Oppositionelle aus Saudi-Arabien entstanden, die in Deutschland leben und sich für Menschenrechte und Demokratie in ihrem Heimatland einsetzen. A. habe im Verlauf des Gesprächs zunehmend getrieben und misstrauisch gegenüber Jedem gewirkt.
Auf der einen Seite wirkte er sehr gebildet, er sprach fließendes Deutsch auf einem sehr hohen Niveau, kannte sich wahnsinnig gut mit den Institutionen in Deutschland aus. [...] Aber er war auch auf einer Mission. [...] Er hat sich versteigert in so eine Theorie, dass es ein gefährliches Netzwerk gibt an anderen Asylaktivisten in Deutschland, die Spendenbetrug begehen [...] und geheime Kontakte zur saudischen Botschaft pflegen würden.
Auch Polizei und Justiz habe A. damals nicht mehr getraut, so Fuchs. "Man merkte schon, dass er eine manische Art hatte." Seine gesamte Energie schien in den Aktivismus zu fließen.
07:31 Uhr | Niedersachsen trauert um getöteten JungenDas Schicksal der Getöteten und ihrer Familien bewegt viele. Der neunjährige Junge, der sein Leben verlor, kam aus Warle im Landkreis Wolfenbüttel in Niedersachsen und war dort Mitglied der Kinderfeuerwehr. Wie der NDR berichtet, ringt der kleine Ort um Fassung.
Dirk Neumann, der Bürgermeister der zuständigen Samtgemeinde Elm-Asse (parteilos), hat die Familie des Jungen besucht und einen Notfallseelsorger organisiert. Die Angehörigen durchleben einen Albtraum, so Neumann.
Das kann man wirklich nicht in Worte fassen. [...] Die durchleben gerade einen Albtraum und hoffen, dass sie einer zwickt und dieser Albtraum ist vorbei.
Viele Menschen vor Ort wollen helfen, wie der Bericht zeigt. Auch eine Gedenkveranstaltung sei geplant.
07:03 Uhr | Journalisten kritisieren Magdeburger PolizeiAm Samstagabend ist im Dom an die Opfer des Anschlags erinnert worden. Nicht weit davon entfernt – am Hasselbachplatz – versammelten sich mehrere hundert Menschen zu einer Demonstration aus der rechtsextremen Szene.
Bei dieser Demonstration haben sich Journalisten nicht ausreichend durch die Polizei geschützt gefühlt. Das haben die Landesverbände Sachsen-Anhalt und Sachsen des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) mitgeteilt. Schon vor Beginn der Kundgebung mit 2.100 Teilnehmern hätten sich Kolleginnen und Kollegen vor Ort um ihre Sicherheit gesorgt, weil ihnen das Polizeiaufgebot für die Art der Mobilisierung in rechten Netzwerken als zu niedrig erschien, heißt es von den beiden Verbänden.
Diese Sorge habe sich im Verlauf der Kundgebung bestätigt. Es habe Bedrohungen gegeben – dazu gehörten neben verbalen Äußerungen auch Griffe in Kameras. Ein Fotojournalist aus Sachsen sei von Demonstrationsteilnehmern mehrfach geschubst, getreten und geschlagen worden. Die Polizei habe zwar versucht, Journalistinnen und Journalisten in sichere Bereiche zu bringen, von dort sei eine Beobachtung der Demo aber kaum bis gar nicht möglich gewesen, kritisieren die Verbände.
Der DJV fordert die Polizei auf, den Schutz der freien Berichterstattung bei künftigen Demonstrationen im Einsatzkonzept stärker zu berücksichtigen.
Hier Sehen Sie Bilder der Demonstration von Samstag:
Zum mutmaßlichen Täter Taleb A. gibt es weitere Details. Wie bereits bekannt war, handelt es sich bei A. um einen 50-Jährigen, der aus Saudi-Arabien stammt und seit März 2020 als Facharzt für Psychiatrie im Maßregelvollzug Bernburg angestellt war.
Genau dort gab es aber offenbar Zweifel, ob A. tatsächlich Mediziner ist. Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtet, wurde er von anderen Mitarbeitenden "Dr. Google" genannt. Der Grund: Er habe vor jeder gestellten Diagnose im Internet nachgucken müssen. In dem Artikel heißt es zudem, der Mann habe seine Visiten grundsätzlich allein gemacht und Gespräche mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin möglichst vermieden. Einige Patientinnen und Patienten hätten sich zudem geweigert, von ihm behandelt zu werden.
Immer wieder sind die Bilder des Anschlags zu sehen und die Frage nach dem Warum ist sehr präsent. Der Magdeburger Thomas Eichert hat die Amokfahrt hautnah miterlebt. Hier schildert er, wie er damit umgeht.
Magdeburgs Bürgermeisterin Regina-Dolores Stieler-Hinz – die erste Stellvertreterin von Oberbürgermeisterin Simone Borris (beide parteilos) – ruft dazu auf, die Angebote zur Krisenbewältigung zu nutzen. Sie sagte MDR SACHSEN-ANHALT, es gebe viele Möglichkeiten. Die Kriseninterventionen würden gut angenommen. Bund und Land hätten weitere Unterstützung zugesagt, unter anderem für die Schulen.
05:57 Uhr | Ältestenrat des Landtags trifft sich zu SondersitzungDer Ältestenrat des Landtags berät heute Nachmittag (14 Uhr) in einer Sondersitzung über den Anschlag. An der voraussichtlich zum Teil öffentlichen Sitzung sollen auch die innenpolitischen Sprecher aller sechs Landtagsfraktionen sowie mehrere Kabinettsmitglieder teilnehmen.
Neben einem aktuellen Überblick über die Lage soll es auch um die weitere parlamentarische Aufarbeitung des Anschlags, der Ursache und der Folgen gehen.
Ebenfalls heute will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein weiteres Mal mit den innenpolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen über die aktuellen Erkenntnisse sprechen. Gestern hatte Faeser dafür plädiert, schnell neue Gesetze zur inneren Sicherheit zu beschließen.
War das Sicherheitskonzept für den Weihnachtsmarkt ausreichend? Christian Schneider, Sachverständiger für Zufahrtsschutz, äußerte dazu bei MDR SACHSEN-ANHALT deutliche Kritik. Seiner Einschätzung nach entsprach der Zufahrtsschutz nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik.
Schneider erklärte, es sei baulich möglich, Zufahrten so zu gestalten, dass ohne Fahrzeugkontrolle niemand durchkomme. Wie bei einer Tiefgarage mache man ein Tor auf, dann fahre der berechtigte Verkehr durch und dann mache man das Tor wieder zu. "Also jetzt zu behaupten und zu sagen 'Wir haben da große Löcher lassen müssen, damit die Rettungsfahrzeuge reinfahren können', das ist falsch. [...]", so Schneider.
Die Bild-Zeitung hatte gestern berichtet, dass laut Sicherheitskonzept eigentlich ein Fahrzeug der Polizei im Breiten Weg hätte quer stehen sollen. Dies sei allerdings nicht der Fall gewesen.
An Tag drei nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt mit fünf Toten und mehr als 200 Verletzten rückt neben Trauer und Fassungslosigkeit zunehmend auch die politische Aufarbeitung in den Fokus. Wir halten Sie erneut in unserem Ticker über die Geschehnisse des Tages auf dem Laufenden. Zudem finden Sie auf unserer Übersichtsseite alle wichtigen Informationen gebündelt.
Nach dem tödlichen Anschlag von Freitagabend war die Anteilnahme auch am Sonntag ungebrochen. Das Meer aus Blumen, Kerzen und Stofftieren an der Magdeburger Johanniskirche wurde immer größer. Auch an anderen Orten in der Stadt kamen Menschen zusammen, um innezuhalten und der Opfer zu gedenken.
Gegen den mutmaßlichen Täter wurde in der Nacht zu Sonntag Haftbefehl wegen Mordes sowie mehrfachen versuchten Mordes erlassen. Er befindet sich nach Angaben der Behörden aktuell in der JVA Burg.
Zudem wurden am Sonntag weitere Informationen über die Getöteten bekannt. Laut Magdeburger Staatsanwaltschaft stammen vier der fünf Opfer aus dem Großraum Magdeburg. Es handelt sich demnach um Erwachsene im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren. Weitere Details wurden nicht veröffentlicht, um die Familien zu schützen. Zuvor war bereits bekannt geworden, dass es sich bei dem fünften Opfer um einen neun Jahre alten Jungen handelt, der erst seit kurzem in Niedersachsen lebte.
dpa, epd, AFP, MDR (Kalina Bunk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Dezember 2024 | 06:00 Uhr