Da steht ein gutmütiger Hüne in der Küche, mit Schnauzbart und im kuriosen Retro-Look, als wäre er den Sechzigern entsprungen. Telegin, bei Tschechow ein verarmter Gutsbesitzer, wirkt hier ein bisschen wie Oliver Hardy. Er steht in einer (von heute aus gesehen) altmodischen Küche, aus der es im Lauf der Inszenierung nach Eiern oder Eintopf riechen wird, und reizt schon zum Lachen, da ist noch gar kein Wort gefallen. In diesen ersten Minuten schon zeigt sich die Richtung, die diese Regie einschlagen wird. Und demnächst, beim Hereinstolpern einer weiteren männlichen Figur, wird man sich fragen: Was, das soll Onkel Wanja sein?!
In einer Retroküche statt wie bei Tschechow im Garten beginnt Amélie Niermeyers Inszenierung im Theater in der Josefstadt. Es wird auch später keinen Garten geben, alles spielt sich im Haus ab. Von dem sind dank zweier Etagen und Drehbühne stets mehrere Räume zu sehen. Das ländliche Draußen – der Wald als Kontrast und Sehnsuchtsort – dringt nur mit Holzgeruch und durch Videoprojektionen ab und zu ein.
Ganz reizend sind die Interieurs dieses Hauses gestaltet, es gibt typisch bürgerliche Accessoires wie gemütliche Lampenschirme und ein altes Klavier, aber auch ein modernes Badezimmer mit einem Wandspiegel voller Fingerabdrücke und einen elektrischen Fake-Kamin. Dazu jede Menge heutiger Retro-Accessoires: Schallplatten, Kinderfotos wie aus den Siebzigern, altes Plastikkinderspielzeug. Das und die Kleidung, von schreienden Sechziger-Hemdmustern bis zum Discolook, lässt das Lebensgefühl von Tschechows Figuren ein bisschen mit dem Heute verschwimmen: Retro-Trends und Nostalgie als Ausdruck eines Mangels an Zukunft(sglauben).
Auch die Textfassung von Angela Schanelec (nach einer Übersetzung von Arina Nestieva) klingt modern umgangssprachlich (und leider auch unnötig deutschlanddeutsch): „Mir hat offenbar jemand ins Gehirn geschissen“, „Echt jetzt?“ – so geht es dahin.
Herr Professor hockt auf dem Waschtisch