Scholz übt bei der Fragestunde im Bundestag die Flucht nach vorn
analyse
Stand: 04.12.2024 16:38 Uhr
Statt oberflächlichem Wahlkampf-Geplänkel setzt sich der Bundestag mit der Regierungspolitik der Ampelkoalition auseinander. Der noch amtierende Bundeskanzler wirbt in letzter Minute für neue Mehrheiten.
Olaf Scholz wirft an der Regierungsbank stehend noch einen kurzen Blick in sein Skript, bevor der Gong des Bundestags zu 13 Uhr schlägt und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Anwesenden begrüßt. Der Kanzler wird gleich vom Platz aus seine achtminütige Auftaktrede halten, nicht vom Rednerpult - wie üblich, wenn es die Fragestunde an die Bundesregierung für die Abgeordneten im Bundestag gibt.
Es mutet an wie ein Routinetermin für ihn. Er beginnt mit fester Stimme sprechend mit Ausführungen zu seiner jüngsten Reise in die Ukraine und verteidigt seine damit verbunden politische Haltung: Man müsse das Land weiter unterstützen, aber "alles dafür tun, dass es nicht zu einer Eskalation kommt".
"Ich werde die Vertrauensfrage stellen"War da was? Der politisch für ihn und das Land dramatische November, das von ihm schlussendlich gesetzte Ende seiner Dreier-Koalition aus SPD, Grünen und FDP mit dem Rauswurf des FDP-Finanzministers Christian Lindner und den Rücktritten der verbleibenden FDP-Kabinettsmitglieder?
Scholz erwähnt es zur Halbzeit seiner Auftaktrede - wie betont selbstverständlich: "Ich werde die Vertrauensfrage stellen." Das werde dazu führen, dass der Bundestag aufgelöst werden und neu gewählt werden könne.
Lange politische To-Do-ListeDoch im Verlauf der Fragestunde spielt der Kanzler eine bisher von ihm ungekannte Vielfalt an Rollen - auch den um Mehrheiten bittenden, fast flehenden Scholz. Er appelliert Richtung Oppositionsparteien, die Zeit des Wahlkampfs nicht zum politischen Stillstand zu machen.
Ein Schlagabtausch oder gar eine Antwort dazu des Oppositionsführers und Unionsfraktionschefs Friedrich Merz bleibt an dem Tag aus. Der bleibt in der Rolle des Zuhörers.
Die Fragestunde ist eigentlich ein Instrument gerade der Opposition, die Regierenden zu stellen, auf Schwachstellen ihrer Politik anzusprechen, kein Moment der großen Rededuelle. Letzteres gelingt an diesem Tag erstaunlich gut. Von der Wirtschaftspolitik über die Bürgergeld-Reform bis hin zum ungelösten Problem der am schwersten verschuldeten Kommunen: Es entsteht ein Überblick über eine lange politische To-Do-Liste.
Aufwärmübung für den WahlkampfDafür, dass es eine reine Wahlkampf-Veranstaltung hätte werden können mit den dort üblichen Übertreibungen und Vereinfachungen, bleiben die Fragen und Antworten im Plenum überwiegend ernsthaft und sachlich auf beiden Seiten, bei den Fragen und beim antwortenden Scholz. Auf AfD-Fragende reagiert Scholz lediglich inhaltlich - ohne wertende Angriffe auf die Partei.
Bei der Union bleibt es bei einem gelegentlichen wechselseitigen Geplänkel, dass man viele Jahre gemeinsame Regierungspolitik gemacht habe und deswegen auch gemeinsam für Versäumtes stehe. Und zwischendurch taucht auch wieder der routinierte Scholz auf, der süffisant lächelnd sagt, die Union habe wohl vergessen, dass sie der aktuellen Bürgergeld-Reform voll zugestimmt habe.
Nicht ohne zu betonen, dass auch er beim Bürgergeld Reformbedarf sehe: Ganz klar nutzt er die Stunde auch, um das SPD-Profil zu schärfen. Ganz ohne Aufwärmübung für den Wahlkampf geht er nicht aus der Runde.
Scholz braucht MehrheitenEs bleibt aber ein Spagat für ihn an diesem Tag. Scholz braucht neue Mehrheiten für Gesetzesprojekte, bei denen die Zeit drängt. Gesetze, die zum Jahreswechsel oder spätestens zum Sommer des kommenden Jahres aus seiner Sicht wirksam werden sollten: Der Abbau der kalten Progression in der Steuerpolitik, die Verlängerung der Mietpreisbremse, aber auch die Stabilisierung des Rentenniveaus über den 1. Juli hinaus, an dem die Rentengarantie ausläuft. Er sagt, er hoffe auf Solidarität, um die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu finden, um Kommunen von Altschulden zu befreien.
Doch Scholz wäre nicht der von sich stets recht überzeugte Scholz, wenn er nicht zuweilen in dieser themendichten Fragestunde vergessen lassen würde, dass er aktuell ein Kanzler ohne Mehrheit ist. Etwa, als er von einem FDP-Abgeordneten gefragt wird, ob er sich beim Thema Bodentruppen für die Ukraine im Vorfeld mit der Außenministerin und dem Verteidigungsminister abgesprochen habe: "Ich nutze die Gelegenheit zu sagen, dass ich es durchaus im Einvernehmen mit der Außenministerin für ausgeschlossen halte, dass wir in der gegenwärtigen Situation Truppen oder deutsche Soldaten in die Ukraine schicken."
Seitenhiebe in Richtung FDPDa spricht ein Regierungschef und vermittelt fast, es sei das normalste der Welt, dass nun sein bisheriger Koalitionspartner in die Rolle der kritisch fragenden Oppositionspartei schlüpft. An diesem Tag lässt er keine Differenzen zwischen seiner SPD und dem noch amtierenden Koalitionspartner Grüne durchblicken. Eher noch stellt sich Scholz deutlich bei kritischen Fragen zu deren Politik hinter die grünen Kabinettsmitglieder Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Ein paar Seitenhiebe in Richtung FDP fehlen bei Scholz nicht. Etwa, als die ihn angreift, zu wenig schweres Gerät an die Ukraine geliefert zu haben. "Ich verstehe die Frage nicht", sagt Scholz, zählt einen ganzen Katalog an Waffensystemen namentlich auf - und schließt mit einem Vorwurf: "Wenn wir mehr tun wollen, müssen wir dazu die finanziellen Mittel finden." Und diese habe gerade die FDP immer wieder verweigert.
Offensive statt DefensiveAuch als die Linkspartei ihn nach Versäumnissen in der Mietenpolitik fragt, verweist er indirekt auf den bisherigen Koalitionspartner: Daran, dass der Gesetzentwurf jetzt erst komme, "sehen Sie, woran es gelegen haben mag".
Und als ein FDP-Abgeordneter anregt, in der Ukraine-Politik zumindest die Ausbildung am Waffensystem "Taurus" zu genehmigen, damit ein Nachfolger keine Zeit verliert, kontert Scholz grinsend: "Um das klar zu stellen - ich will auch mein eigener Nachfolger werden."
Damit ist seinerseits die Tonlage des Wahlkampfes trotz sachlicher Fragestunde gesetzt: Offensive statt Defensive - auch wenn gerade seine Regierung als Dreierbündnis gescheitert ist.