Olaf Scholz nach Attentat von Mannheim: Straftäter sollen ...

Olaf Scholz kündigt eine neue Härte gegenüber dem Islamismus an – bleibt aber an entscheidenden Stellen vage

Olaf Scholz - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Der deutsche Kanzler will nach dem Terrorakt von Mannheim Gesetze verschärfen. Wie eine andere Migrationspolitik gelingen soll, steht nach seiner Rede weiter infrage.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung.

Sean Gallup Getty

Als der deutsche Bundeskanzler an diesem Donnerstag vor die Abgeordneten des Bundestags trat, stand er mehrfach unter Druck. Der tödliche Anschlag auf einen Polizisten in Mannheim durch einen Afghanen hat der Debatte um die Migrationspolitik eine neue Schärfe verliehen. Olaf Schulz muss ausserdem bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am kommenden Sonntag ein schlechtes Ergebnis für seine Partei, die Sozialdemokratie, fürchten. Und dann sind da noch die verheerenden Überschwemmungen im Süden Deutschlands und die Herausforderungen des Krieges in der Ukraine.

Vor diesem Hintergrund sagte Scholz einen bemerkenswerten Satz: Migranten, die schwerste Straftaten begehen würden, «gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen». In Deutschland gebe es kein Faustrecht. Mit dieser Erklärung setzte sich Scholz von seiner Aussenministerin Annalena Baerbock ab. Die ehemalige Kanzlerkandidatin der Grünen lehnt Ausschaffungen nach Afghanistan ab, da sie nicht mit den radikalislamischen Taliban verhandeln will.

Nun liess Scholz Baerbock in der Regierungserklärung unerwähnt und bezog sich auf seine sozialdemokratische Parteifreundin Innenministerin Nancy Faeser. Diese sei beauftragt, nach «rechtlich und praktisch tragfähigen Wegen» zu suchen, wie man «Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan ermöglichen» könne. Gespräche mit Nachbarländern Afghanistans fänden bereits statt.

Von einer Wende sprach Scholz nicht

Scholz gab sich grosse Mühe, die auch von der deutschen Sozialdemokratie in letzter Zeit stiefmütterlich behandelte innere Sicherheit ins Zentrum zu rücken: «Jede und jeder in unserem Land muss ohne Furcht vor seinen Mitmenschen leben können.» Dieses «zentrale Versprechen unseres Rechtsstaats setzen wir mit aller Macht durch». Konkret sollen Messerverbotszonen ausgeweitet werden. Auch werde man das Strafrecht verschärfen, um «hinterlistige Überfälle» auf Politiker, Bürgermeister, Ratsmitglieder und Landräte härter bestrafen zu können.

Drittens solle künftig aus der Billigung terroristischer Straftaten ein «schwerwiegendes Ausweisungsinteresse» folgen: «Wer Terrorismus verherrlicht, wendet sich gegen alle unsere Werte und gehört auch abgeschoben.» Von geänderten Einreisebedingungen oder einer Wende in der Migrationspolitik sprach Scholz an diesem Donnerstag nicht und blieb so gewissermassen im Sprung gehemmt.

Auch sagte der Kanzler nicht, dass Schwerstkriminelle künftig tatsächlich in ihre Herkunftsländer ausgeschafft würden – die Formulierung: Täter wie der Messerattentäter von Mannheim «gehören abgeschoben», lässt Raum für Interpretationen. Scholz weiss um den zuweilen grossen Abstand zwischen dem, was nottut, und dem, was getan werden kann.

Im Oktober 2023 versprach er, künftig «im grossen Stil» auszuschaffen. Zwar sind in den ersten drei Monaten dieses Jahres knapp 4800 Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis ausgewiesen worden, 34 Prozent mehr als im Vorjahr. Zeitgleich gab es aber über 60 000 Erstanträge auf Asyl.

Opposition geht mit Scholz ins Gericht

Besonders hohe praktische Hürden drohen in Afghanistan. In diese Sollbruchstelle hieb die Fraktionsvorsitzende der gemeinsam mit SPD und FDP regierenden Grünen. Ja, sagte Britta Hasselmann, der Islamismus sei «ein Feind unserer Demokratie» und «Menschen, die schwere Straftaten begehen, müssen nach Verbüssung der Strafe abgeschoben werden».

Aber das Innenministerium müsse die Sicherheitslage in allen Herkunftsländern genau prüfen, auch jene in Afghanistan. Damit war das Ausschaffungsprojekt von Scholz zum ergebnisoffenen Prüfantrag zurückgestuft. Hasselmann bleibt skeptisch: «Wie soll man das machen?», fragte sie, wie mit dem afghanischen Terrorregime verhandeln, wie ein Drittland finden, das Terroristen aufnimmt oder Straftäter, die schwere Verbrechen begangen haben?

Scharf ging die Opposition mit Scholz ins Gericht. Warum, so der Christlichdemokrat Friedrich Merz, sei das Islamische Zentrum Hamburg, «eine Brutstätte des Islamismus», noch nicht geschlossen? Weshalb stelle die Bundesregierung abgelehnten Asylbewerbern Pflichtverteidiger zur Seite, die neue Abschiebehindernisse aufbauten? Und was sei vom neuen Staatsbürgerrecht zu halten, das auf einen «generellen Doppelpass» für Neubürger hinauslaufe? Merz schenkt den Beteuerungen des Kanzlers keinen Glauben.

Alice Weidel, die Fraktionsvorsitzende der AfD, sah in der Mannheimer Attacke die «mörderischen Folgen einer verantwortungslosen Migrationspolitik». Sie verweist auf eine statistisch untermauerte «explodierende Gewaltkriminalität», an der Zuwanderer aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und der Türkei überproportional beteiligt seien, und leitet aus diesem «Niedergang der inneren Sicherheit» eine Forderung ab: «Die Grenzen müssen geschlossen werden.»

Während Form und Umfang der Unterstützung für die Ukraine zwischen Regierung und Opposition ebenso strittig sind, Alice Weidel gar verkündete, die Ukraine könne diesen Krieg nicht gewinnen, sorgten die Überschwemmungen für keinen Schlagabtausch. Scholz wusste die Parteien hinter sich, als er die «Flut der Hilfsbereitschaft» und die «Bilder der Solidarität und der Mitmenschlichkeit» würdigte und hinzufügte: «So ist Deutschland. Wir sind stark, weil wir zusammenhalten.» Für die zentrale Botschaft aber, die Bereitschaft zur Ausschaffung nach Syrien und Afghanistan, gilt: Wer stark im Fordern ist, muss nicht unbedingt stark in der Umsetzung sein.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten