Nordwestbahnhof: Der große Abriss mitten in Wien beginnt

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„Ladezone“ steht auf einem blauen Schild, „Einfahrt Tag und Nacht freihalten“. Der Hinweis hängt an einem alten Ziegelbau. Am Fuße des langen Gebäudes wuchern Pflanzen. Einiges hier erinnert daran, dass auf dem historischen Gelände früher einmal viel Betrieb war. Heute ist das Areal des Nordwestbahnhofs in Wien Brigittenau eine städtische Brachfläche par excellence.

Nordwestbahnhof - Figure 1
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Wiewohl eine mit einer sehr wechselvollen Geschichte. 1872 wurde der Nordwestbahnhof eröffnet. Es war der letzte in Wien errichtete Kopfbahnhof. Die Züge brachten Passagiere nach Berlin und Dresden. 1912 wurde der sozialdemokratische Politiker Franz Schuhmeier in der Bahnhofshalle von einem politischen Gegner erschossen.

Tödliches Attentat

Ab den 1910er-Jahren ging der Personenverkehr am Nordwestbahnhof stark zurück. 1924 stellte man ihn daher ein und wickelte ihn über den nahegelegenen Nordbahnhof ab. Die Bahnhofshalle wurde danach für Veranstaltungen genutzt. 1927 etwa wurde hier eine Skipiste mit Kunstschnee errichtet. Der damalige Wiener Bürgermeister Karl Seitz überlebte hier unmittelbar nach deren Eröffnung ein Pistolenattentat.

Güterverkehr bis 2021

Nach dem Anschluss verwendeten die Nationalsozialisten die Halle zunächst für Propaganda-Ausstellungen und später als Zwangsarbeiterlager. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurde sie stark beschädigt, sodass sie 1952 schließlich völlig abgetragen wurde. Für den Güterverkehr blieb der Nordwestbahnhof aber von Bedeutung. In den 1970er-Jahren baute man das Areal zu einem Güter- und Containerterminal aus. 2006 beschlossen die ÖBB jedoch, den Containerumschlag schrittweise in das Güterzentrum Wien Süd zu verlegen. Ende 2021 wurde der Nordwestbahnhof endgültig stillgelegt. Und nun?

Nordwestbahnhof - Figure 2
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Ursprünglich als Personenbahnhof errichtet, wurde der Nordwestbahnhof in den letzten 100 Jahren vor allem für den Güterverkehr und als Frachten-Umschlagsplatz genutzt. Die Presse/Schrittwieser

Die Fläche ist das letzte große innerstädtische Stadtentwicklungsgebiet Wiens. Seit 2005 tüftelten ÖBB und Stadt an einem Plan dafür. Auf dem 44 Hektar großen Areal (60 Fußballfelder) soll bis 2035 ein neuer Stadtteil entstehen. Erst im heurigen August bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den positiven Abschluss einer Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt. Das historische Areal muss weichen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ), ÖBB-Vorständin Silvia Angelo und Bezirksvorsteherin Christine Dubravac-Widholm (SPÖ) gaben am Montag den Startschuss für die Abbrucharbeiten. Es sei das erste Mal in ihrer Zeit als Ministerin, dass sie bei der Präsentation eines Bauvorhabens nur mit Frauen auf dem Podium stehe, merkte Gewessler an.

2021 wurde das Gelände stillgelegt. Die Presse/Schrittwieser

Nordwestbahnhof - Figure 3
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16.000 Menschen sollen in dem Viertel künftig wohnen, 4700 Arbeitsplätze entstehen. Durch die Mitte soll sich eine Wiese mit Bäumen ziehen. Rundherum entstehen Wohnhäuser sowie vier Hochhäuser. 60 Prozent der Wohnungen sollen gefördert sein. Zudem wird es drei Schulstandorte für 1600 Schülerinnen und Schüler geben. Zwei der Backsteinbauten bleiben erhalten, „um an die Geschichte des Areals zu erinnern“, wie es heißt. Die künftige Straßenbahnlinie 12 (Baustart war im Juli) soll das neue Stadtviertel queren.

Baubeginn 2026

„Wir brauchen einen gesunden Boden“, betont Klimaschutzministerin Gewessler. Das verheerende Hochwasser Mitte September in Niederösterreich habe das wieder anschaulich gezeigt. Ein Element, um dazu beizutragen, ist, verfügbare verbaute Flächen zu nutzen. „Dieses Projekt ist dafür ein super Beispiel“, sagt die Grünen-Politikerin. 2026 soll noch während des Abbruchs mit dem Bau des neuen Viertels begonnen werden. „Es wird dann so sein: Wir reißen einen Teil ab, und an dem Ende beginnen wir dann schon mit dem Bau“, erklärt Stadträtin Sima. Begonnen werde mit der Bildungsinfrastruktur.

Die Brachfläche mitten in Wien misst 44 Hektar. Die Presse/Schrittwieser

Nordwestbahnhof - Figure 4
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Der Abbruch der Lagerhallen und der anderen Gebäude erfolgt in zwei Phasen. Im ersten Abschnitt (bis August 2026) beginnen die Arbeiten an der östlichen Seite im Bereich der Rebhanngasse. In der zweiten Phase (September 2026 bis August 2028) beginnt der Abriss an der westlichen Seite im Bereich der Nordwestbahnstraße. Das Abbruchmaterial soll großteils über die Schienen abtransportiert werden. Insgesamt werden in den vier Jahren 45 Gebäude abgerissen und 160.000 Quadratmeter Asphalt entsiegelt. Die ÖBB betonen, dass die Arbeiten nur tagsüber stattfinden. Eine eigene ökologische Bauaufsicht soll zudem die auf dem Gelände bestehende Pflanzen- und Tierpopulation schützen. Beispielsweise werden die Verantwortlichen vor dem Abbruch der Gebäude schauen, ob sich darin Fledermäuse befinden oder Vögel brüten.

Barriere im Bezirk beseitigen

Bezirksvorsteherin Dubravac-Widholm sprach von dem Nordwestbahnhof als Barriere. „Da war einfach mitten im Bezirk eine Mauer oder ein Zaun, und was dahinter ist, hat man nicht so genau gewusst“, sagt sie. Die Brachfläche trenne die Brigittenau in zwei Teile. Durch das neue Stadtviertel werde diese „Barriere im Kopf“ ganz schnell fallen. Und: „Es wächst das zusammen, was zusammengehört.“

Bis auf zwei Ziegelbauten wird alles auf dem Areal abgerissen. Die Presse/Schrittwieser

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