ÖVP: Größtes Minus der Parteigeschichte

16 Tage vor

ÖVP

Die ÖVP hat am Sonntag das größte prozentuelle Minus bei einer Nationalratswahl in der Geschichte der Partei eingefahren. Auch wenn in den Umfragen ein Abschneiden hinter der FPÖ prognostiziert wurde, hoffte die ÖVP bis zuletzt auf ein zumindest knapperes Rennen. Entsprechend ernüchtert zeigte sich die Parteispitze am Abend. Bundeskanzler und Parteichef Karl Nehammer gab sich dennoch weiter kämpferisch.

Nehammer - Figure 1
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Online seit gestern, 22.51 Uhr (Update: heute, 6.29 Uhr)

Die Volkspartei kommt laut vorläufigem Endergebnis auf 26,5 Prozent, das sind genau elf Prozentpunkte weniger als bei der letzten Wahl. Der Stimmenverlust ist damit klar größer als bei der Wahl im Jahr 1990, als man ein Minus von 9,23 Prozentpunkten hinnehmen musste. Auch damals profitierten die Freiheitlichen. Die ÖVP verlor damit beinahe ein Drittel ihrer Mandate. Immerhin blieb der Partei der bisherige Negativrekord aus dem Jahr 2013 erspart, bei der damaligen Nationalratswahl kamen die Schwarzen lediglich auf 23,99 Prozent der Stimmen.

Für Nehammer, der die Partei Ende 2021 von Sebastian Kurz übernommen hatte, bedeutet das Minus am Sonntag die fünfte Wahlschlappe in seiner Obmannschaft. In den sechs Urnengängen gab es fünfmal ein sattes Minus. Lediglich einmal, nämlich bei der Landtagswahl in Kärnten, gab es ein zartes Plus.

Das letzte Plus davor hatte die ÖVP in Oberösterreich geschafft, im September 2021 – kurz bevor die Korruptionsermittlungen gegen die Bundes-ÖVP und den damaligen Kanzler Kurz bekanntwurden. Auch dieses war allerdings schon recht mager ausgefallen: 1,6 Prozentpunkte. Und es war – mit den folgenden Rücktritten von Kurz und seinen Getreuen samt Details aus Chats von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid und anderen – das Ende der ÖVP-Erfolgsserie. Zwischen 2017 und 2021 hatte die ÖVP bei zwölf Wahlen unter Kurz teilweise triumphale Wahlsiege gefeiert.

„Regieren ist ein Rendezvous mit der Realität“

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker spricht unter anderem über den größten Wahlverlust der Geschichte der ÖVP und welche Koalitionsmöglichkeiten es jetzt gibt.

Nehammer - Figure 2
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Nehammer: ÖVP hat sich zurückgekämpft

Die ÖVP habe sich zurückgekämpft, sagte Nehammer dennoch im Wahlzelt der Volkspartei am Sonntag, weg von dort, „wo uns schon manche gesehen haben, nämlich in der Bedeutungslosigkeit der politischen Auseinandersetzung“. Die Enttäuschung könne er seinen Mitstreitern nicht nehmen. Aber: „Wir kämpfen weiter.“

Erfolge seien anzuerkennen. Für die Zukunft bleibe aber die Aufgabe, zu verstehen, „warum Radikalisierte mehr Stimmen bekommen als wir“, schließlich vertrete die ÖVP im Gegensatz zur FPÖ die Mitte und die Vernunft. Dass man Probleme löse und nicht davon lebe, sei „kein Parteislogan, sondern Identität“, rief Nehammer in die applaudierende Menge. Jetzt gelte es, die Menschen noch mehr von sich zu überzeugen. Bei der Wahlparty stellte man sich am Sonntag geeint hinter den Bundesparteichef.

Nehammer will verstehen, „warum Radikalisierte mehr Stimmen bekommen“ als die ÖVP Stocker: „Jetzt feiern wir trotzdem“

„Es ist kein Geheimnis, dass wir Platz eins erreichen wollten“, so Generalsekretär Christian Stocker im prall gefüllten Festzelt. Aber: „Jetzt feiern wir trotzdem.“ Für das Überholen sowie das erhoffte Fotofinish habe es leider nicht gereicht, so Stocker. Das Wahlergebnis sei nicht mit vorherigen vergleichbar. Später werde man sich ansehen müssen, an welchen Schrauben man drehen müsse. Die Volkspartei stehe jedenfalls einig hinter Nehammer, bekräftigte er. Eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl werde die ÖVP, wie Nehammer immer wieder betont hatte, nicht eingehen.

Stocker will analysieren, „an welchen Schrauben man drehen müsse“ Sobotka schließt Koalition mit Kickl weiter aus

Das bekräftigte auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) im ORF-Interview. Mit FPÖ-Chef Kickl könne die ÖVP keine Koalition eingehen: „Das war vor der Wahl so und ist auch jetzt so.“ Eine verlässliche Zusammenarbeit mit Kickl sei nicht möglich. Abzuwarten sei nun, „welche Mehrheiten sich dann ergeben“, so Sobotka.

„Man wird selten gewählt für das, was man gemacht hat“, meinte Romana Deckenbacher, Landeslistenerste in Wien, auf die Frage, warum die ÖVP auf Platz zwei landete. Die FPÖ habe hingegen Angstmache betrieben sowie Verschwörungstheorien verbreitet und die Menschen damit emotional angesprochen. „Wir machen weiter“, betonte sie.

Man habe erwartungsgemäß gegenüber 2019 verloren, meinte Bauernbund-Präsident und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Georg Strasser. Allerdings teile er die Perspektive, dass eine Aufholjagd gelungen sei, „trotz schwierigster Rahmenbedingungen“. Das Ergebnis sei eine „solide Leistung“. Nicht übersehen dürfe man aber, dass etwa 29 Prozent der Wählerinnen und Wähler mit der FPÖ eine Protestpartei gewählt hätten. Auch Strasser stellte sich bei der Wahlparty hinter Nehammer.

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