Recherche zu Tod des Kremlkritikers: Wurde Nawalny vergiftet?
Stand: 30.09.2024 13:33 Uhr
Offiziell ist der russische Kremlkritiker Nawalny Anfang des Jahres eines natürlichen Todes gestorben. Die Recherche eines russischen Online-Magazins sieht nun jedoch Belege für eine Vergiftung.
"Hallo, hier ist Nawalny": Seine Videobotschaften erreichten in Russland Millionen - bis Alexej Nawalny im Januar 2021 festgenommen, später zu langjähriger Lagerhaft verurteilt und schließlich in das berüchtigte und abgelegene Straflager "Polarwolf" im nordrussischen Charp verlegt wurde - unter anderem verurteilt wegen Extremismus.
Dort in der Haftkolonie - so lautet bis heute die offizielle Version - starb er Mitte Februar plötzlich eines natürlichen Todes. Er brach bei einem Spaziergang im Haftlager herzbedingt zusammen und konnte nicht wiederbelebt werden. "Tragisch", hieß es seinerzeit - zumal er ganz oben auf der Liste eines geplanten Gefangenenaustausches gestanden haben soll.
Online-Medium meldet Zweifel anDoch an der offiziellen Version gab es sofort Zweifel nach dem Tod des erklärten Putin-Gegners, dessen Mutter um die Herausgabe des Leichnams tagelang kämpfen musste. Bestattet wurde Nawalnys Körper ohne vorherige unabhängige Autopsie auf einem Moskauer Friedhof.
Und nun meldet das russischsprachige Online-Medium "The Insider" nicht nur neue Zweifel an der Version "natürlicher Tod" an, sondern hat nach Angaben des Gründers und Chefredakteurs Roman Dobrochotow Hunderte offizielle Behördendokumente auswerten können: Sie deuten auf eine Vergiftung Nawalnys. So beschrieb ein erster Bericht, Nawalny habe über Magenkrämpfe und Bauchschmerzen geklagt, sich erbrochen. Dann habe er sein Bewusstsein verloren - aber all das wurde schon in einem zweiten Bericht gestrichen.
"Typische Vergiftungssymptome"Der Chefredakteur von "The Insider" sagte im Online-Sender Doschd: "Sie wollten kein Strafverfahren einleiten, beschrieben aber die Symptome mehr oder weniger wahrheitsgetreu. Und dann kratzten sie sich offenbar am Kopf und stellten fest, dass ihre Schlussfolgerung mit den Herzrhythmusstörungen überhaupt nicht zur Beschreibung passt."
Denn Herzrhythmusstörungen führten nicht zu starken Unterleibsschmerzen oder Krämpfen. "Dies sind typische Vergiftungssymptome. Deshalb haben sie alles entfernt, was bei Untersuchungen auf eine Vergiftung hinweisen könnte." Selbst Nawalnys Erbrochenes sei sichergestellt und analysiert worden. Später verschwanden auch diese Hinweise.
Ausgewertet hat "The Insider" Textdokumente. Sie enthielten keine direkten Hinweise auf mögliche Hintermänner der Vergiftung Nawalnys. Und: Es sind keine offiziellen, eindeutig zuzuordnenden Dateien etwa im pdf-Format mit Stempeln und Unterschriften.
Wird das die Ermittlungen neu aufrollen?"The Insider" selbst gilt in Russland bereits seit über zwei Jahren als "unerwünschte Organisation". Kein Grund also, die Ermittlungen zum Tod Nawalnys neu aufzurollen. Zumal schon die ursprüngliche Vergiftung Nawalnys im Sommer 2020 immer wieder in Zweifel gezogen wird - und die erfolgreiche Behandlung in Deutschland. Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte am Wochenende: "Er war bei ihnen in einem Zivilkrankenhaus, wo sie nichts bei ihm fanden. Dann wurde er in ein Militärkrankenhaus verlegt, wo man diese Substanz fand: Nowitschok. Später schien er geheilt zu sein, kehrte zurück und starb hier."
Dass sie den letztendlichen Beweis für eine Vergiftung Nawalnys Anfang des Jahres nicht gefunden haben, räumt auch "The Insider"-Chefredakteur Dobrochotow ein. Aber: "Ich habe keinen Zweifel daran, dass von Nawalnys Team eine umfassende Enthüllung kommen wird. Angekündigt haben sie diesen Plan. Und wir sind selbstverständlich bereit, mit allen russischen und ausländischen Ermittlern zusammenzuarbeiten, die sich mit dieser Angelegenheit befassen."
Doch es ist extrem unwahrscheinlich, dass bei der Redaktion im lettischen Riga das Telefon klingeln wird, und russische Ermittler um aktive Mithilfe bitten.