Die FPÖ liegt in den Umfragen zur heutigen Nationalratswahl auf Platz eins, der Abstand zur ÖVP hat sich aber zuletzt verringert. Die SPÖ hofft auf eine „Aufholjagd“, die Neos auf eine Regierungsbeteiligung. Kurz nach 17 Uhr wird die erste Hochrechnung veröffentlicht.
Die heutige Nationalratswahl könnte die politische Landschaft Österreichs ordentlich durcheinanderwürfeln. Nach eindreiviertel Jahren, in denen die FPÖ in den Umfragen durchgehend voran lag, wäre es eine Überraschung, wenn die Freiheitlichen nicht erstmals die stärkste Kraft im Parlament würden (bei der EU-Wahl im Juni hatten sie es bereits erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf Platz eins geschafft). Die SPÖ wiederum könnte zum ersten Mal auf Platz drei abrutschen, und mit der Bierpartei könnte künftig eine neue Kraft im Nationalrat sitzen. Auch nach der Wahl stehen die Chancen nicht schlecht für eine innenpolitische Premiere: Eine Koalition aus drei Parteien ist aus heutiger Sicht durchaus realistisch. Ob die Wahl wirklich zu einem politischen Erdbeben gerät, wird sich kurz nach 17 Uhr abzeichnen, wenn die erste Hochrechnung veröffentlicht wird. „Die Presse“ wird Sie ab 14 Uhr mit einem Liveticker durch den Wahltag begleiten. Bis dahin: ein schneller Überblick über alles, was man am heutigen Wahlsonntag wissen sollte.
Wie ist die Ausgangslage?Der Blick auf den Stimmzettel kann heute etwas unübersichtlich werden, bis zu elf Parteien drängen sich darauf. Österreichweit kandidieren neben den fünf Parlamentsparteien ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos noch die Bierpartei, die KPÖ, die Liste Madeleine Petrovic und „Keine von denen“ (das ist eine Partei, nicht die Option für Weißwähler). Im Burgenland stehen zusätzlich die Liste GAZA und „Die Gelben“ zur Wahl, in Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien GAZA und MFG, in Salzburg MFG. Einen Überblick über all die Kleinparteien finden Sie hier:
Die ÖVP geht als Titelverteidigerin ins Rennen, lag in den Umfragen der letzten Monate aber in der Regel auf Platz zwei, hin und wieder sogar auf drei. Allerdings: In zwei der jüngsten Befragungen betrug der Vorsprung der FPÖ nur noch einen Prozentpunkt (26 zu 25 Prozent). Ein sattes Minus muss die ÖVP aber wohl selbst bei einem Wahlsieg hinnehmen, erreichte sie bei der letzten Nationalratswahl doch (nach dem Ibiza-Skandal und unter Sebastian Kurz) 37,5 Prozent.
Für die FPÖ dürfte sich jedenfalls ein Rekordplus ausgehen, sie rutschte 2019 schließlich auf 16,17 Prozent ab. Das bisherige Rekordergebnis bei einer Nationalratswahl erreichten die Freiheitlichen 1999 mit 26,91 Prozent.
Wie ÖVP und FPÖ gibt auch die SPÖ im Wahlkampf die Kanzlerschaft als Ziel aus, die Meinungsforscher sehen dafür aber kaum Chancen. In den allermeisten Befragungen der vergangenen Monate lag sie auf Platz drei und zwischen 20 und 23 Prozent. Zumindest ist die Fallhöhe für die Sozialdemokraten gering, nach dem bisher schwächsten Ergebnis von 21,18 Prozent bei der Wahl 2019.
Die Grünen erreichten bei der letzten Nationalratswahl mit 13,9 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis, diesmal sagen ihr die Umfragen 8 bis 10 Prozent voraus. Knapp darüber bewegen sich die Neos, womit für die Pinken ein neuer Rekord und ein Vorbeiziehen an den Grünen in Reichweite scheint.
Unter den Kleinparteien haben wohl nur KPÖ und Bierpartei realistische Chancen auf den Einzug in den Nationalrat. Letztere lag zwischenzeitlich in den Umfragen sogar bei 6 Prozent, zuletzt ging es aber bergab, die jüngsten Erhebungen sahen sie ebenso wie die Kommunisten nur noch bei drei Prozent.
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Wie verlief der Wahlkampf?Der amtierende Bundeskanzler und ÖVP-Spitzenkandidat Karl Nehammer hat im Wahlkampf ein „Kanzlerduell“ gegen FPÖ-Obmann Herbert Kickl ausgerufen. Wenige Tage vor dem Urnengang brachte die Volkspartei sogar eine Broschüre in Umlauf, in der sie Gründe gegen den freiheitlichen Listenersten auflistet. Der Titel: „Kickl kann’s nicht.“ Nehammer, so die Devise, schaffe „Stabilität statt Chaos“, stelle „die Mitte“ dar und vertrete daher die Bevölkerung am besten. Kickl wiederum stilisierte sich zum künftigen „Volkskanzler“, der gegen die „Einheitspartei“ und „das System“ antrete, um den Menschen in einer „Festung Österreich“ mehr „Freiheit“ zu geben. Beim direkten Duell im ORF zeigten sich die beiden aber durchaus koalitionstauglich, besonders viele Gemeinsamkeiten lotete man bei der Migrations- und Wirtschaftspolitik aus.
Andreas Babler führt die Sozialdemokratie nach einem turbulenten Parteitag 2023 inklusive Kampfabstimmung gegen Hans-Peter Doskozil erstmals in eine Nationalratswahl. Er gibt sich als „frisch“ und prophezeit „die große Aufholjagd“, die er mit seiner Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich (die er in einzelnen Branchen testen möchte) und der Einführung von Vermögenssteuern schaffen will. An die Pensionisten wandte er sich gar persönlich, als er wie einst Franz Vranitzky an diese einen Brief schrieb. Unumstritten ist Babler parteiintern dennoch bis heute nicht: Von der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures musste er sich jüngst teilweise „Unernsthaftigkeit“ vorwerfen lassen.
Grünen-Chef Werner Kogler geriet im Wahlkampf vielfach ins Abseits: In den TV-Konfrontationen und „Elefantenrunden“ verdribbelte sich der Vizekanzler und Sportminister in teils ausufernder Rhetorik. Während der Hochwasserkatastrophe in Niederösterreich gab er sich an einem Strang mit Nehammer ziehend, der sich als Krisenbewältiger in den Vordergrund spielte. Ein wenig Aufsehen erregte Kogler immerhin mit Warnungen vor „den Rechtsextremen“ und seiner Unterstützung für Umweltministerin Leonore Gewessler, die entgegen dem ausdrücklichen Willen der ÖVP dem EU-Renaturierungsgesetz zustimmte.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die einzige Spitzenkandidatin, übte sich per Video schon in Regierungsposen und bekundete eifrig, neben dem Bildungs- auch das Finanzministerium gerne in pinken Händen zu sehen. Als einzige „unverbrauchte Reformkraft“ im Land wolle man das Bildungssystem umkrempeln und eine „Ausgabenbremse“ einführen, anstatt „jedes Problem mit Geld zu bewerfen“.
Dominik Wlazny machte im Wahlkampf vor allem damit auf sich aufmerksam, anstelle eines Programmes nur nach und nach Überschriften auf der Homepage der Bierpartei zu präsentieren. Fernsehdiskussionen blieb er weitgehend fern, Interviews waren rar gesät. KPÖ-Spitzenkandidat Tobias Schweiger ließ indes mit den Aussagen aufhorchen, Österreichs Bundesheer abschaffen und zugunsten von leistbarem Wohnen nicht davor zurückschrecken zu wollen, EU-Recht zu brechen.
Wer darf wo und wie wählen?In Österreich leben ungefähr 9,2 Millionen Menschen, mehr als 6,3 Millionen davon dürfen bei der Nationalratswahl ihre Stimme abgeben. Wählen darf, wer am Tag der Wahl 16 Jahre alt oder älter ist. Zu den Wahlberechtigten gehören auch ungefähr 600.000 Österreicher, die im Ausland leben. Nicht wählen dürfen alle Menschen, die zwar im Land leben, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen; das sind aktuell fast 1,5 Millionen Personen. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die wegen einer gerichtlichen Verurteilung vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.
Grundsätzlich wird im Wahllokal oder per Briefwahl gewählt. Im Vorfeld der Nationalratswahl schickten die Gemeinden Wählerinnen und Wählern eine „amtliche Wahlinformation“ mit dem zuständigen Wahllokal und dessen Öffnungszeiten am Wahltag zu. Wer am Wahltag verhindert ist, konnte vorab eine Wahlkarte anfordern und per Post einsenden oder kann am 29. September in jedem beliebigen Wahllokal seine Stimme abgeben. Die ersten der 9889 Wahllokale öffnen bereits um 6 Uhr, die meisten um 7 oder 8 Uhr. Wahlschluss ist in ganz Österreich spätestens um 17 Uhr, wobei man sich nur in Wien so lange für die Stimmabgabe Zeit lassen kann. Etwas sputen sollte man sich in Vorarlberg: Dort schließen alle Wahllokale spätestens um 13 Uhr.
Ausgezählt werden die Stimmen (erstmals auch der Großteil der Briefwahlstimmen bereits am Sonntag) von den Sprengelwahlbehörden bzw. den Gemeindewahlbehörden und das jeweilige Ergebnis an die Bundeswahlbehörde weitergeleitet. Das vorläufige Gesamtergebnis dürfte dann gegen 23 Uhr verkündet werden. Am Montag werden noch jene Wahlkarten, die zwischen Freitagnachmittag und bis Sonntag (17 Uhr) den Bezirkswahlbehörden übermittelt werden, ausgezählt – und jene bereits zur Briefwahl verwendeten Wahlkarten, die am Wahltag in einem Wahllokal abgegeben werden. Jene Briefwahl-Wahlkarten, die nicht dem eigenen Regionalwahlkreis zugehören, werden erst am Donnerstag ausgewertet, ebenso alle Stimmen, die per Wahlkarte in einem anderen Wahllokal als dem „eigenen“ abgegeben wurden.
Wie könnte es nach der Wahl weitergehen?Die Zeit nach der Wahl dürfte mindestens genauso spannend werden wie der Wahlabend selbst. Fährt die FPÖ tatsächlich den Wahlsieg ein, wird Kickl den Anspruch auf den „Volkskanzler“ stellen. Die anderen Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ihm allerdings ausgeschlossen. Nehammer kann sich eine Zusammenarbeit mit anderen, nämlich aus seiner Sicht „vernünftigen“ Politikern in der FPÖ vorstellen, es deutet aber nichts darauf hin, dass Kickl freiwillig in den Hintergrund treten - oder gar von seiner Partei dorthin gedrängt werden - könnte.
Wahrscheinlicher als eine Regierung mit blauer Beteiligung scheint daher Türkis-Rot – wobei dafür ein dritter Partner vonnöten sein könnte. Die Neos haben sich schon lautstark in Stellung gebracht und gleich einmal den Wunsch nach dem Bildungs- und Finanzressort angemeldet. Die Grünen wollen zwar ebenfalls (weiter-)regieren, in der ÖVP ist die Zuneigung zum derzeitigen Juniorpartner aber spätestens seit dem Alleingang von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler beim EU-Renaturierungsgesetz nicht allzu groß. Bleibt nur ein Problem: Inhaltlich haben ÖVP und SPÖ wenig gemein.