Israel bestätigt Tod von Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah

10 Stunden vor

Das israelische Militär bestätigt den Tod von Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah. In Syrien wurde sein Tod bereits Freitagabend gefeiert. Nach den Luftangriffen der israelischen Streitkräfte werden Hunderte Tote befürchtet.

Israel hat seine Bombardierungen im Raum der libanesischen Hauptstadt Beirut in der Nacht auf Samstag fortgesetzt. Bei dem massiven Luftangriff vom Freitag, der nach Angaben der israelischen Armee dem unter Wohngebäuden versteckten Hauptquartier der Schiiten-Miliz Hisbollah galt, wurde deren Anführer Hassan Nasrallah getötet. „Hassan Nasrallah wird nicht länger in der Lage sein, die Welt zu terrorisieren“, teilte das israelische Militär mit. Auch der wichtige Hisbollah-Kommandant für den Süden des Landes, Ali Karaki, sei ums Leben gekommen. Die israelische Luftwaffe führte in der Früh weitere Angriffe auf Ziele im Libanon aus. Von der Hisbollah, die den Tod ihres Anführers erst mit deutlicher Verzögerung mitteilen könnte, gab es zunächst keine Bestätigung.

Zu Nasrallah hatte es nach dem Luftangriff vom Freitag widersprüchliche Informationen gegeben. Zunächst meldete die iranische Nachrichtenagentur Tasnim, er sei in Sicherheit. Auch die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr am Freitag von einer ihm nahestehenden Person, Nasrallah sei am Leben. Aus iranischen Regierungskreisen hieß es, man prüfe seinen Status. Ein Insider sagte Reuters dann in der Nacht, Nasrallah sei nicht erreichbar. Die Hisbollah selbst äußerte sich weder am Freitag noch zunächst am Samstagfrüh zu Nasrallahs Schicksal.

„Die Botschaft an alle, die die Bürger des Staates Israel bedrohen, ist einfach: Wir werden wissen, wie wir sie erreichen können. Im Norden, im Süden und an weiter entfernten Orten“, sagte Generalstabschef Herzi Halevi. Der Angriff am Freitag sei lange vorbereitet worden. „Er kam zum richtigen Zeitpunkt und auf sehr scharfe Weise“, sagte Halevi weiter. Das Militär sei nun in höchster Alarmbereitschaft.

In Syrien wird Nasrallahs Tod gefeiert

Der Tod Nasrallahs, der die Organisation seit 30 Jahren anführte, ist der schwerste Schlag Israels gegen die Hisbollah und damit einen ihrer größten Feinde seit Jahrzehnten. Welche Folgen das für den Konflikt mit Israel, für die Nahost-Region sowie im Libanon selbst haben wird, ist zurzeit kaum absehbar. Im Nachbarland Syrien feierten Menschen im letzten großen Rebellengebiet Idlib bereits seinen Tod.

Die Menschen strömten dort am Abend auf die Straße, verteilten süßes Gebäck, hupten mit ihren Autos; einige gaben aus Freude Schüsse in die Luft ab, wie auf Videos in sozialen Netzwerken zu sehen war. Scharen von Menschen versammelten sich, sangen und klatschten und schwenkten Fahnen der syrischen Opposition. Etwa 40 Menschen seien in Lagern für Vertriebene durch Kugeln der Freudenschüsse verletzt worden, sagten Augenzeugen, darunter in den Orten Salkin, Hasano und Kali im Norden Idlibs. „Hassan Nasrallah ist nach Syrien gekommen und hat unschuldige Syrer mit seinen iranischen Verbündeten getötet“, sagte ein Aktivist der dpa. „Er bekommt, was er verdient.“

Wer war Hassan Nasrallah?

Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der Schiitenmiliz. Er war einer der schwierigsten Gegenspieler Israels. Er stimmte sich eng mit dem Iran und dessen Revolutionsgarden (IRGC) ab, dem wichtigsten Unterstützer der Hisbollah. Er hat die Miliz in eine deutlich mächtigere und gefährlichere Organisation verwandelt als sie in der Zeit seines Vorgängers war.

Nasrallah, der im Alter von 64 Jahren getötet wurde und vier Kinder hinterlässt, erhielt seine religiöse Ausbildung in den zwei wichtigsten Zentren der schiitischen Muslime: in der irakischen Pilgerstadt Nadschaf und im iranischen Qom. 1982 schloss er sich der neu gegründeten „Partei Gottes“ an.

Nach dem Tod von Anführer Abbas al-Mussawi, den Israel 1992 ermordete, wurde er zum Nachfolger gewählt. Als großen Triumph der Hisbollah empfand er den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 und den ihrer Beschreibung nach „göttlichen Sieg“ nach Ende des Kriegs 2006.

 APA / AFP / Atta Kenare

Hunderte Tote befürchtet

Unterdessen flohen in Beirut Hunderte Menschen vor Israels Angriffen in den südlichen Vororten in das Zentrum der Hauptstadt. Der Schock stand den Menschen im Gesicht. Überall harrten verängstigte Familien mit Tränen in den Augen auf den Straßen aus, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur in Beirut schilderte. Die Menschen, die aus den südlichen Vororten, in denen die Hisbollah besonders stark ist, ins Stadtzentrum flohen, sprachen von einer „Hölle“. Sie suchten in der schwülen Nacht Schutz in Parks, auf der Straße und an öffentlichen Stränden. Sie sei barfuß geflohen, erzählte eine Frau. Am frühen Morgen herrschte laut Augenzeugen gespenstische Ruhe. Ein Bewohner der Hauptstadt sprach von einem „Albtraum“.

Örtliche Fernsehsender zeigten nächtliche Explosionen südlich von Beirut in der Nähe des internationalen Flughafens. Es waren Brände und Folgeexplosionen zu sehen. Retter suchten unterdessen weiter nach Überlebenden des massiven Luftangriffs vom Freitag, bei dem laut Libanons staatlicher Nachrichtenagentur NNA mehrere Gebäude in dem dicht besiedelten Vorort Haret Hreik zerstört wurden. Es könne Dutzende oder gar Hunderte Tote geben.

Die Zeitung „Haaretz“ berichtete unter Berufung auf israelische Regierungsvertreter, es seien schätzungsweise 300 Menschen getötet worden. Das libanesische Gesundheitsministerium sprach zunächst von sechs Toten und 91 Verletzten. Diese Zahlen könnten aber steigen, weil viele Opfer noch unter Trümmern liegen dürften. Auf Videos vom Ort des Angriffs waren große Trümmerberge zu sehen. Die Beseitigung von Trümmern laufe, erklärte das Ministerium.

UN-Generalsekretär António Guterres warnte eindringlich vor einer Ausweitung des Konflikts. „Der Krieg im Libanon könnte zu einer weiteren Eskalation mit Beteiligung externer Mächte führen“, sagte er bei einer UN-Sicherheitsratssitzung in New York. „Wir müssen einen regionalen Krieg um jeden Preis vermeiden.“ Seit dem Beginn der schweren israelischen Angriffe im Libanon sind nach UN-Angaben bereits Zehntausende Menschen nach Syrien geflohen. Derweil meldete Israels Armee in der Nacht weitere Luftangriffe auf „Terrorziele“ in Beirut, die zur Hisbollah gehörten„. Einzelheiten wurden in der Mitteilung nicht genannt.

Israel setzt Angriffe fort

Israels Armee hatte in der Nacht weitere Angriffe im Gebiet der libanesischen Hauptstadt bekanntgegeben. Es seien Waffenproduktionsanlagen, Gebäude, in denen moderne Waffen gelagert würden sowie Kommandozentralen der proiranischen Miliz attackiert worden, hieß es. Nach Aussagen des israelischen Armeesprechers Daniel Hagari lagerten unter zivilen Wohngebäuden unter anderem Raketen, die auch eine Bedrohung für die internationale Schifffahrt sowie strategische Einrichtungen in Israel darstellten. Die israelische Armee hatte die Bewohner der angegriffenen Gegend zuvor zur Evakuierung aufgerufen.

Die Hisbollah wies die Darstellung der israelischen Armee zurück, Waffenlager der Miliz anzugreifen. In den angegriffenen Gebäuden befänden sich keine Waffen oder Depots.

Unterdessen griff Israels Militär nach eigenen Angaben auch im Süden des Libanons erneut Stellungen der Hisbollah-Miliz an. Nach Beschuss aus dem Libanon habe die Luftwaffe die Abschussvorrichtung bombardiert, teilte die Armee in der Nacht mit. Es seien zuvor von dort mindestens drei Geschosse auf Israel abgefeuert worden, von denen die meisten abgefangen worden seien. Zudem seien weitere Stellungen der Schiiten-Miliz im Südlibanon angegriffen worden, darunter Gebäude, in denen die Hisbollah Waffen gelagert habe.

Israel tötet ranghohes Hamas-Mitglied in Syrien

Während der gegenseitige Beschuss zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah-Miliz im Libanon andauert, hat Israels Militär nach eigenen Angaben in der Nacht auch in Syrien angegriffen. Bei dem Luftschlag sei ein wichtiges Hamas-Mitglied getötet worden, teilte die Armee mit. Ahmad Muhammad Fahd sei für das Abfeuern von Raketen auf die von Israel annektierten Golanhöhen verantwortlich gewesen. Er soll laut der Armee ein Führer der Hamas im Süden Syriens gewesen sein.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien bestätigte seinen Tod. Auch Fahds Frau sei bei einem israelischen Drohnenangriff im Südwesten von Damaskus ums Leben gekommen. Mehrere Familienmitglieder wurden demnach verletzt. Ob es sich bei ihm um ein Mitglied der Hamas handelt, konnten die Aktivisten zunächst nicht bestätigen.

Zerstörung der Hisbollah-Infrastruktur

Der von Israel gemeldete Angriff auf das Hauptquartier der Hisbollah sei der bisher „aggressivste Schritt“ Israels der vergangenen zwei Wochen mit ausgeklügelten Geheimdienstoperationen, gezielten Tötungen und schweren Bombardierungen, schrieb das „Wall Street Journal“. Die Miliz solle gehindert werden, über die Grenze nach Israel vorzudringen. Bisher habe es sich bei den Angriffen in Beirut um „gezielte Tötungen“ von Hisbollah-Kommandeuren gehandelt, schrieb die „Times of Israel“. Die jüngsten Angriffe seien jedoch umfangreicher und zielten auf die Zerstörung der Infrastruktur sowie ranghohe Personen ab.

Sollte tatsächlich Hisbollah-Anführer Nasrallah getötet worden sein, wäre dies nicht nur für die von ihm angeführte Miliz ein „enormer Schlag“, schrieb das „Wall Street Journal“. Es wäre auch ein schwerer Schlag für ihren wichtigsten Unterstützer, den Iran, und das Netzwerk verbündeter Milizen, das Teheran im gesamten Nahen Osten gegen den Erzfeind Israel aufgebaut habe. Es wäre außerdem das bisher deutlichste Signal, dass die Hisbollah vom israelischen Geheimdienst tief durchdrungen worden sei, schrieb die US-Zeitung weiter.

Iran kritisiert Israels Vorgehen

Irans Außenministerium kritisierte Israels Vorgehen scharf. Gleichzeitig betonte Außenamtssprecher Nasser Kanaani laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna erneut die entschlossene Unterstützung der Islamischen Republik Iran für den Libanon. Auch Russland übte harsche Kritik. „Wir verurteilen das Vorgehen der israelischen Seite aufs Schärfste, da es die Souveränität unseres befreundeten Landes Libanon eklatant verletzt“, sagte Außenminister Sergej Lawrow in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates. „Die gefährliche Entwicklung in der Aggression gegen den Libanon öffnet die Tür zu einem offenen und umfassenden Krieg“, erklärte auch die vom Iran unterstützte Houthi-Miliz im Jemen. Das Ergebnis eines solchen Krieges werde „verheerend“ sein für Israel.

UN-Generalsekretär Guterres sagte, er unterstütze den Vorschlag einer vorübergehenden Waffenruhe, die die Lieferung humanitärer Hilfe ermögliche und den Weg für die Wiederaufnahme ernsthafter Verhandlungen über einen dauerhaften Frieden ebne. „Wir brauchen diese Waffenruhe jetzt.“ Endlose Verhandlungen wie im Gazastreifen könne man sich nicht leisten.

Mit dem Tod Nasrallahs könnte der Konflikt mit Israel, der in den Konfrontationen über fast ein Jahr gewissen Regeln zu folgen schien, noch weiter außer Kontrolle geraten. Allerdings ist nicht klar, ob der Iran als wichtigster Unterstützer der Miliz im Fall eines Kriegs zu Hilfe eilt. Die neue iranische Regierung unter Präsident Masoud Pezeshkian kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise und strebt eine Wiederannäherung an den Westen an. Obwohl Irans militärische Führung nach der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Haniyeh Ende Juli Vergeltung ankündigte, blieb diese bis heute aus.

Wie es jetzt weitergehen könnte

Auch die Hisbollah wurde durch massive Angriffe Israels in den vergangenen Wochen schwer getroffen. Sie ist mit Blick auf ihre Führung, ihre Kommunikationsmittel und wohl auch ihre Kampfmoral deutlich geschwächt.

Mehrere Szenarien wären jetzt möglich: Die Hisbollah könnte den Kampf vorerst aufgeben, den Beschuss Israels beenden, einer Waffenruhe zustimmen und sich - wie es eine UN-Resolution vorsieht - rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Israel hätte ein Kriegsziel erreicht, wenn mehr als 60.000 Menschen in ihrer Häuser und Wohnungen im Norden des Landes zurückkehren können.

Oder die Hisbollah weitet die Angriffe gegen Israel aus und greift mit modernsten Raketen israelische Städte und militärische Ziele an. Fraglich ist auch, inwieweit der Iran der Hisbollah zu Hilfe eilt. Auch im Libanon ist unklar, in welcher Form die militärisch, politisch und sozial sehr mächtige Organisation fortbestehen wird. (APA/DPA/red.)

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