Nana Mouskouri im Interview zu ihrem 90. Geburtstag

Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Mehr als 300 Millionen dürften es sicher gewesen sein, aber ich finde, das ist kein wichtiger Maßstab.

Nana Mouskouri - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sie selbst sind 1963 beim Eurovision Song Contest angetreten, aber nicht für Ihre Heimat Griechenland, und Sie haben auch nicht gewonnen.

Stimmt, ein großer Erfolg war das nicht. Ich trat in London für Luxemburg an und wurde nur Achte. Doch im Nachhinein war es dann doch ein Glücksfall für mich, denn Harry Belafonte war an dem Tag in London, und er sah mich. Zurück in den Vereinigten Staaten, versuchte er dann herauszufinden, wer die Französin mit der Brille gewesen war. Lustigerweise war er eng mit Quincy Jones befreundet, mit dem ich ein Jahr zuvor schon eine Platte aufgenommen hatte. Und er sagte Harry dann, dass ich keine Französin, sondern eine Griechin sei, die nur auf Französisch gesungen habe. So wurde 1963 doch noch ein großartiges Jahr für mich, denn ein paar Monate später war ich mit Harry schon auf Tour durch die Vereinigten Staaten. Was ich auch meiner Brille zu verdanken habe, die Harry übrigens gar nicht mochte.

Am Anfang Ihrer Karriere hieß es oft, Sie seien sehr schüchtern.

Ich bin noch immer sehr schüchtern.

Trotzdem trugen Sie stets diese auf­fällige Brille und den unverkennbaren Haarschnitt. Auch das machte Sie – neben Ihrer Stimme – unverwechselbar. Hat nie jemand versucht, Sie davon abzu­bringen?

Natürlich! Niemand mochte meine Brille, gleich mein erster Produzent in Frankreich wollte sie mir ausreden, und die Leute im Fernsehen sowieso, weil es schwierig mit dem Licht und der Kamera war. Ohne Brille könne ich aber nichts sehen, sagte ich ihnen. Das sei doch egal, für den Auftritt und beim Singen müsse ich doch nichts sehen. Das hat mich sehr beschäftigt, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. 1960 trat ich dann beim Mediterranean Song Festival in Barcelona auf und gewann. Mit Brille. Gleich danach rief mich Quincy Jones an, der mich dort gesehen hatte, und sagte: Babe, ich hoffe wir sehen uns in New York! Ihm gefiel meine Stimme, und wir nahmen 1962 mein erstes englischsprachiges Album auf. Mein Aussehen war ihm egal. Genauso wie Michel Legrand, mit dem ich gleich danach in Frankreich zusammenarbeitete. Und dann passierte die Geschichte mit Harry, der auf der Suche nach dem Mädchen mit der Brille war, mit dem er auf Tour gehen wollte. Sie alle beeindruckte meine Stimme. Darauf kam es an. Und doch gab es immer wieder Leute, die aus mir ein kommerzielles Produkt machen wollten, das sich angeblich besser verkaufen lasse. Aber das war und bin ich nicht.

Er mochte ihre Brille nicht: Harry Belafonte und MouskouriPicture Alliance

Sie sind auf Kreta aufgewachsen. Erinnern Sie sich an die Zeit, als Griechenland von den Nationalsozialisten besetzt war?

Aber ja. Ich war schon zehn Jahre alt, als der Krieg für uns endete. Allerdings habe ich keine schlechten Erinnerungen an die Zeit der Okkupation. Für mich als Kind änderte sich vor allem eines: Mein Vater war Filmvorführer in einem kleinen Kino in Chania. Ich bin also mit und in Filmen groß geworden. Zunächst waren es Filme zum Beispiel mit Charlie Chaplin, dann aber wurden auch deutsche Filme populär, etwa mit Zarah Leander, die meine Mutter sehr mochte. Ich hingegen liebte Marlene Dietrich. Das Kino hat mich auch zum Singen gebracht, all die Lieder in den Filmen, und in so vielen Sprachen: Griechisch und Englisch, Französisch, Deutsch und ­na­türlich Italienisch. Ich wuchs im Kino auf, wollte aber nie Schauspielerin werden, sondern immer nur Sängerin. Seit ich Judy Garland im „Zauberer von Oz“ gesehen hatte. Da war ich fünf.

Nana Mouskouri - Figure 2
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sie gingen später ans Konservatorium in Athen, einige Jahre nach Maria Callas. Wollten Sie Opernsängerin werden?

Ich wollte vor allem singen. Mehr als meine ältere Schwester, und da meine Eltern nicht viel Geld hatten, konnte nur eine von uns aufs Konservatorium ­ge­hen. Ich sang alles, mit 19 auch schon in Jazzkellern. Aber Jazz und populäre ­Musik waren natürlich nicht so ange­sehen wie klassischer Gesang. Eines ­Tages traf ich Maria Callas, sie kam in einen Klub, in dem ich auftrat. Ich erzählte ihr, mein Professor sei nicht glücklich darüber, dass ich nebenher in Jazzklubs auftrete. Sie sagte zu mir: Es ist dein Leben, und was immer du machst, solange du es mit Liebe machst, wirst du es auch lieben. Das gab für mich den Ausschlag. Ich wollte keine große Sängerin werden, ich wollte eine gute Sängerin sein.

Sie haben an die 1600 Lieder in mehr als 20 verschiedenen Sprachen gesungen, und immer wieder auch auf Deutsch.

Mein Deutsch ist aber nicht perfekt. Dafür hätte ich länger in Deutschland leben müssen. Ich fühlte mich aber in der Pflicht, nachdem ich 1962 meine erste Goldene Schallplatte bekommen hatte. Alle bemühten sich, Englisch mit mir zu sprechen, da war es nur recht und billig, dass ich Deutsch lernte. Seither hatte ich für jedes Land, in das ich reiste, ein ­Wörterbuch in der Tasche.

Die Goldene Schallplatte bekamen Sie für „Weiße Rosen aus Athen“, Ihr wahrscheinlich bekanntestes Lied in Deutschland.

Zu dem Lied gibt es eine Vorgeschichte: Man hatte mich schon 1959 eingeladen, für einen Dokumentarfilm über meine Heimat Griechenland einige Lieder zu singen, die alle Manos Hadjidakis geschrieben und zusammengestellt hatte. Darunter war auch ein altes Volkslied, das mit Rosen gar nichts zu tun hat. Es heißt „San sfirixis tris fores“ – „Wenn du dreimal pfeifst“. Erst 1961, nachdem der Film bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gezeigt worden war, bekam das Lied seinen deutschen Text. Nach nur acht Monaten hatte es sich 500.000-mal verkauft, und ich bekam die Goldene Schallplatte. Aufgenommen hatten wir die Lieder für die Platte in Berlin im halb zerstörten Grand Hotel Esplanade unweit des Potsdamer Platzes. Während ich drinnen sang, konnte ich draußen zusehen, wie die Berliner Mauer gebaut wurde. Das war für mich ein schreckliches Erlebnis, Menschen, die plötzlich voneinander getrennt waren, standen weinend an der Mauer und winkten sich verzweifelt zu.

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Das war 16 Jahre nach dem Krieg. Wie standen Sie damals zu Deutschland?

Mich verbindet viel mit Deutschland und vor allem mit Berlin. Das hat auch mit der Teilung zu tun, die ich nur schwer ­akzeptieren konnte. Ich bin in der DDR aufgetreten und habe nicht nur dort das Lied der Freiheit aus der Oper Nabucco gesungen, sondern auch auf Einladung eines französischen Kommandeurs am Nationalfeiertag Frankreichs vor der Mauer in Westberlin. Das war am 14. Juli 1982, ich trug eine französische Uniform. Ich sang für die, die hinter der Mauer eingesperrt waren, und für die, die an der Mauer den Tod gefunden hatten.

Nana Mouskouri - Figure 3
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sie haben viele berühmte Künstler, ­Produzenten und Komponisten be­eindruckt, Mikis Theodorakis, Quincy Jones, Harry Belafonte, Julio Iglesias, Michel Legrand. Alle wollten un­bedingt mit Ihnen zusammenarbeiten. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Das kann ich nicht sagen, sie waren ja ­alle meine guten Freunde. Aber mit einer Künstlerin verbindet mich eine besondere Geschichte: Marlene Dietrich, die ich als Kind schon verehrte. Ich hatte in den frühen Sechzigern schon eines ihrer Lieder im Repertoire, „Sag mir, wo die Blumen sind“. Begegnet aber waren wir uns noch nicht, obwohl wir beide denselben Tourneeveranstalter hatten, Fritz Rau. Und so gaben wir an denselben Orten Konzerte, mal folgte ich ihr am nächsten Abend, mal sie mir. Als Fritz einmal zu mir sagte, dass Marlene nach mir am nächsten Abend singen würde, ließ ich einen Blumenstrauß für sie in der Garderobe mit einer persönlichen Nachricht. Das nächste Mal, als ich dann nach ihr auftrat, fand ich Blumen mit einer handgeschriebenen Karte von ihr. Das ging so hin und her, ohne dass wir uns persönlich trafen. Eines Tages war ich bei einem Konzert von ihr in Paris, und unter all den anderen Leuten erkannte sie mich und bat mich in ihre Garderobe. Und da sagte Marlene Dietrich zu mir, dass sie meine Stimme sehr mag und ich wie eine Nachtigall singen würde. Ich konnte es kaum fassen, und ich werde das nie vergessen.

Die schwarze Brille ist ihr Markenzeichen: Nana Mouskouri 1977 in Parisdpa

Damals mussten Sie sich in Ihrem Metier in einer Männerwelt durchsetzen, heute geben Frauen wie Adele und Taylor Swift den Ton an. Sehen Sie sich als Vorbild für die heutige Künstlerinnengeneration?

Ich bin nicht sicher, ob man mich als Vorbild bezeichnen kann. Richtig ist aber, dass es eine andere Zeit war, dass sich viel geändert hat. Früher standen Männer im Scheinwerferlicht, von Elvis Presley bis Elton John. Heute ist es gemischter.

Männer bestimmten früher auch über Karrieren, im Nachgang zu MeToo haben viele Künstlerinnen von Machtmissbrauch und sogar sexuellem Missbrauch berichtet. Haben Sie jemals solche Erfahrungen machen müssen?

Nein. Ich hatte Glück. Ich war zwar sehr jung, aber auch nicht attraktiv. Ich traf nur nette Männer, die sich nicht für mich interessierten. Aber ich habe mich auch nie auf Avancen eingelassen. Ich wusste das zu trennen. Ich wollte es auch trennen, mein Berufs- und mein Privatleben. Ich wollte eine gute Sängerin sein, und ich wollte eine gute Mutter sein. Ich habe zwei Kinder und bin seit Langem mit meinem Mann André Chapelle verheiratet, der sich als mein Plattenproduzent auch um meine Musik gekümmert hat.

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Aber ja. Und nicht nur zu Hause. Ich trainiere immer noch meine Stimme. Sie hat sich natürlich verändert, aber schafft alle Höhen und Tiefen. Für mich, mit meinen fast 90 Jahren, war es eine besondere ­Ehre, dass ich im April bei der Übergabe der Olympischen Fackel im Panathinaiko-Stadion in Athen die griechische und die französische Nationalhymne singen ­durfte. Ich habe Athleten immer bewundert, weil sie versuchen, besser zu werden, neue Rekorde aufzustellen. Dasselbe habe ich stets beim Singen angestrebt.

Schon 2008 gaben Sie ihre Abschiedstournee und kehrten zu Ihrem 80. Geburtstag wieder zurück. Was planen Sie in Ihren Neunzigern?

Mir ist das richtig unangenehm. Ich dachte wirklich, es ist besser, aufzuhören, bevor die schlechten Zeiten anfangen. Ich war danach lange nicht auf der Bühne, bin schließlich aber dann doch wieder auf­getreten. Jetzt sage ich, ich bin bereit, auf die Bühne zu gehen, ein zweites Comeback wird es aber nicht geben.

Zu Ihrem 90. Geburtstag erscheint ein neues Album, „Happy Birthday Nana“.

Ja, ein Geschenk auch an mich. Denn groß gefeiert wird nicht. Ich habe noch nie meinen Geburtstag groß gefeiert, und das wird sich zum 90. auch nicht ändern.

Auf dem Album fehlen natürlich auch nicht „Weiße Rosen aus Athen“ und „Guten Morgen, Sonnenschein“.

Alle Lieder, die ich ausgewählt habe, ­liegen mir besonders am Herzen, sind mir wichtig. Ich habe sie aber nicht neu eingesungen, es sind alte Aufnahmen, die neu mit dem Royal Symphonic Orchestra London eingespielt wurden, was mich natürlich sehr stolz macht. Und es gibt ein neues Lied, das ich auf Griechisch eingesungen habe. Es handelt von der Liebe, von einer besonderen Liebe, nämlich der zum Leben. Die meisten von uns haben diese Liebe vergessen, scheint mir, anders als etwa die Liebe zur Mutter, zu den Kindern, der Musik oder dem Vaterland. Das Lied heißt „Pios échi Dakria“ und wurde vor langer Zeit für mich von ­Dimos Moutsis und Nikos Gatsos geschrieben. Doch ich habe es nie ein­ge­sungen. Jetzt endlich ist es an der Zeit. Es war schon immer so in meinem Leben, dass nicht ich die Lieder ausgewählt ­habe, die ich singe, es war umgekehrt: Die Lieder wollten zu mir.

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