"Tatort" Münster: Es steht schon im Alten Testament
Keller ohne Leichen, Skulpturen und Champagner: Der neue "Tatort" aus Münster legt gleich zu Beginn einiges offen. Verschenkt dann aber auch einiges in der Inszenierung.
15. Dezember 2024, 21:43 Uhr
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An Münster kann man sehen, wie die Zeit vergeht. Als der Tatort-Schauplatz im Jahr 2002 an den Start ging, gehörte zur Erfolgsformel auch, sich als "politisch inkorrekt" zu entwerfen. Also Anliegen marginalisierter Gruppen als "politisch korrekt" (heute heißt das "woke") zu bezeichnen und damit lächerlich zu machen. Der "P. C."-Diskurs wurde Anfang der 1990er-Jahre aus den USA importiert und diente lange dazu, Debattenräume nach rechts offenzuhalten. Das ist nicht mehr nötig, weil sich in den letzten Jahren die gesellschaftliche Mitte dorthin verschoben hat.
Deshalb wirkt die neue Münsteraner Folge Man stirbt nur zweimal (WDR-Redaktion: Sophie Seitz) fast museal und auf jeden Fall pflichtschuldig an den Stellen, an denen die "Das wird man ja noch sagen dürfen"-Sprüche von früher gekloppt werden. Die Müdigkeit, die diese Momente auslösen, rührt auch daher, dass mit Sascha Arango ein markanter Drehbuchautor in Münster debütiert, der für diese Art von Humor bislang aber nicht bekannt war.
Der Fall setzt das Publikum, wie bei Arango-Büchern üblich, ins Bild. Doreen Prätorius (erste Wahl für die Hauptrolle im noch zu drehenden Sahra-Wagenknecht-Biopic: Cordelia Wege) feiert zu Beginn einen Erfolg vor Gericht – 3,4 Millionen Euro Lebensversicherung für ihren toten Mann werden ihr zugesprochen. Anwalt Oskar Weintraub (Nils Brunkhorst) fährt seine Mandantin nach Hause und entdeckt, als er ihr einen im Auto vergessenen Aktenhefter hinterhertragen will, dass der tote Mann ziemlich lebendig ist. Jonas Prätorius (Christian Erdmann) hatte die Jahre des Rechtsstreits in einem Kellerraum hinter geheimer Tür verbracht und sich durchs Haus nur mit Handschuhen und Schutzanzug bewegt, um keine Spuren zu hinterlassen.
Dummerweise zieht Jonas Prätorius dem Anwalt nach dessen Enttäuschung eins mit der Champagnerflasche über, um ihn dann von einer Empore zu stürzen, in den kolonial-exotisierenden Tand hinein, mit der der vermeintliche Entdecker und Forscher Prätorius die beeindruckende Villa zugemüllt hat. Weintraub hängt also aufgespießt im Raum, als die Polizei auf eine zuvor von Jonas mit blauem Auge und aufgesprungener Lippe versehene Doreen trifft – um die Geschichte glaubhafter zu machen, der Anwalt sei übergriffig geworden und die Frau habe in Notwehr gehandelt.
Es geht von diesem Tatort eine große Ruhe aus, weil die Spannung es sich gemütlich machen kann im Wissensvorsprung der Betrachterin: Wann werden Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) der Lüge auf die Spur kommen? Und was heißt das für das Paar Prätorius, das sich mit dem gewonnenen Prozess und den Millionen doch am Ziel seiner Wünsche sah?