Prozess im Fall Michael Schumacher beginnt mit Geständnis

Michael Schumacher

Yilmaz T. und Markus F. kennen sich seit 20 Jahren gut. Mehrmals arbeiteten die beiden Männer aus Wuppertal und Wülfrath eng zusammen – mal war T. in einer Sicherheitsfirma von F. angestellt, später verdiente T. sein Geld als Türsteher einer Diskothek in Konstanz, deren Betriebsleiter F. war. Doch als die jeweils 53 Jahre alten Männer am Dienstag im Amtsgericht Wuppertal auf der Anklagebank sitzen, würdigen sie sich keines Blickes.

T. und F. wird eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der jüngeren Zeit zur Last gelegt: die Erpressung der Familie des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Michael Schumacher, der seit seinem schweren Skiunglück Ende 2013 zurückgezogen im Kreis seiner Familie in der Schweiz lebt.

Laut Anklage verkaufte der deutsche Staatsbürger Markus F. für den geplanten Millionencoup seinem türkischen Kumpel Yilmaz T. Film- und Fotoaufnahmen, auf denen Schumacher in einigen Fällen in „hilflosem, in allen Fällen aber pflege­bedürftigem“ Zustand „in Pflege oder Untersuchungssituationen in einem Krankenbett oder einem Rollstuhl“ zu sehen ist, wie der Staatsanwalt zum Prozessauftakt am Dienstag vorträgt. Mit dem Material hat Yilmaz T. im Frühsommer versucht, 15 Millionen Euro zu erpressen, weil er wusste, dass die Schumacher-Familie seit Jahren alle Hebel in Bewegung setzt, um Details zum Schicksal und Befinden des mehrfachen Weltmeisters aus den Medien zu halten. Für den Fall der Nichtzahlung soll T. damit gedroht haben, die Daten im Darknet zu veröffentlichen. T. gesteht die Vorwürfe weitgehend ein.

„Ich hab’ dann direkt 15 Millionen gefordert.“

Yilmaz T. wird versuchte Erpressung im besonders schweren Fall zur Last gelegt. Wegen Beihilfe angeklagt ist zudem Daniel Philipp L., sein 30 Jahre alter Sohn. Er legte unter anderem – wie er im Ermittlungsverfahren einräumte – eine technisch nicht rückverfolgbare Mailadresse zur Übermittlung von Beweisdateien an.

Yilmaz T. sagt am Dienstag: „Was in der Anklage steht, stimmt schon zu großen Teilen.“ Nur Geld will er F. für die Bilddateien nicht gegeben haben. Auch dass es sich um eine Erpressung handelte, sei ihm nicht klar gewesen. „Was soll ich dazu zu sagen? Ist halt blöd.“ Er habe gedacht, mit der Sache „ein bisschen Geld“ verdienen zu können. Es sei ausgemacht gewesen, den Erlös aufzuteilen zwischen Markus F., ihm selbst und einer ehemals bei den Schumachers beschäftigten Krankenschwester, deren Namen er jedoch nicht nennen könne. Zehn bis 15 Millionen habe man erlösen wollen, sei aus­gemacht gewesen. „Ich hab’ dann direkt 15 gefordert.“

An die Rechtsanwälte der als Nebenklägerin auftretenden Ehefrau des ehemaligen Rennfahrers sagt Yilmaz T., er habe einen Fehler gemacht. „Bitte teilen sie Corinna Schumacher mit, dass es mir wirklich leidtut.“ Laut wird T., als er dem Verteidiger von Markus F. vorwirft, dass er ihm nun alles einfach in die Schuhe schieben wolle. „Vor Gericht muss man die Wahrheit sagen, geradestehen für den Scheiß, den man gemacht hat.“ Markus F. hört sich den Wutausbruch seines Mit­angeklagten ungerührt an.

Beihilfe zur versuchten Erpressung

F., der viele Jahre lang Sicherheits­mitarbeiter der Familie Schumacher war, muss sich wegen Beihilfe zur versuchten Erpressung und wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen nach Paragraf 201a Strafgesetzbuch verantworten. Für die Anklage ist er der Hintermann des gescheiterten Coups. Im März 2012, also gut eineinhalb Jahre vor Schumachers Skiunfall, hatte er bei einer Sicherheitsfirma angeheuert, die das Anwesen des Rennfahrers in der Schweiz bewachte. Jahrelang begleitete Markus F. Krankentransporte Schumachers und fungierte zugleich als „Ansprechpartner“ für IT-Fragen, war „Mädchen für alles“, wie sein Verteidiger es formuliert.

Welch großes Vertrauen F. bei der Familie genossen haben muss, wird daran deutlich, dass er vor einigen Jahren beauftragt wurde, hochsensible Daten Michael Schumachers von der Festplatte des „Pflegecomputers“ zu sichern. Auch bat ihn Corinna Schu­macher dann während der Corona-Pandemie, private Fotoaufnahmen der Familie zu digitalisieren. Doch Anfang 2021 verlor Markus F. seinen Job bei der von den Schumachers beauftragten Firma. Wollte er sich dafür rächen?

Selbst ergreift F. nicht das Wort. Er lässt seinen Anwalt bestreiten, die fragliche Festplatte an sich genommen zu haben. Als er nach dem Jobverlust das ihm von der Familie Schu­macher zur Verfügung gestellte Zimmer Anfang Januar 2021 geräumt habe, sei es durchwühlt und durchsucht und die Festplatte nicht mehr da gewesen. „Mein Mandant dachte, die Festplatte sei im Besitz der Familie“, sagt der Strafverteidiger. Der Verbleib des Datenspeichers sei von der Familie nie hinterfragt worden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Schu­macher und seine Familie erpresst wurden. Vor einigen Jahren forderte ein ­Lackierer aus Baden-Württemberg den Formel-1-Rekordweltmeister per Mail zu einer „kleinen Spende“ in Höhe von 900.000 Euro auf. In der Mail hatte der Erpresser auch seine Bankverbindung angegeben, was ein Richter des Amtsgerichts Reutlingen so kommentierte: „Um es vorsichtig zu sagen, die eigene Kontonummer anzugeben ist nicht sinnvoll.“

Der vermeintliche Millionencoup scheiterte im frühen Stadium

Zwar hatte der wegen Betrugs, Diebstahls, Körperverletzung und Waffendelikten vielfach vorbestrafte Yilmaz T. mit den höchst privaten Bildern ein großes Erpressungspotential – die Ermittler stellten insgesamt 900 Foto- und 583 Videodateien aus der Zeit nach dem Unfall Michael Schumachers sicher. Doch auch sein vermeintlicher Millionencoup scheiterte im frühen Stadium. Schon nach seinem dritten Anruf am 5. Juni – dem Tag, an dem Corinna Schumacher Strafanzeige erstattete – fand die Kantonspolizei Waadt heraus, dass sich hinter der unterdrückten Rufnummer ein Mobilfunkanschluss aus Deutschland verbarg. Sämtliche weitere Telefonate konnten die Ermittler mitschneiden.

Am 11. Juni besprach Yilmaz T. – der sich als „ehrlicher Makler“ ausgab, der die Interessen seiner angeblichen Hintermänner und der Familie Schumacher zu einem „gerechten Ausgleich“ bringen wolle – mit einer Schumacher-Mitarbeiterin demnach, zur Überprüfung der Echtheit der Bilder „Proben“ über die von seinem Sohn angelegte Mail-Adresse zu versenden. Sechs Tage später forderte T. erstmals konkret 15 Millionen Euro. Am 18. Juni, einen Tag vor der Festnahme, schickte T. mit Hilfe seines Sohns drei weitere Bilder und Textdateien mit Medikamentenlisten. Sie befanden sich ursprünglich auf dem Pflegecomputer. Auf den nicht mit dem Internet verbundenen Rechner hatten nur Ärzte und Pflegepersonal Zugriff.

Im Ermittlungsverfahren konnte die Staatsanwaltschaft den Verdacht gegen die frühere Schumacher-Krankenschwester nicht erhärten. Doch schon am ersten Verhandlungstag wird ihr Name immer wieder genannt. Sabine K., die Schumacher-Mitarbeiterin, die im Juni die Anrufe entgegennahm, hatte – ebenso wie Corinna Schumacher – gleich das Gefühl, dass der Erpressungsversuch auf einen Mitarbeiter zurückgeht. Sie habe an die Krankenschwester gedacht, der im März 2020 gekündigt worden war. „Wir haben Probleme mit der Pflegeleistung bekommen und ein paar unschöne Dinge gesehen.“ Dass Markus F. vor zwölf Jahren schon einmal wegen Unterschlagung und Betrugs verurteilt worden war, habe sie erst durch das Verfahren erfahren, sagt Sabine K. Sie habe Markus F. vertraut. „Im Nachhinein kann man das für naiv halten. Aber das ist das Problem für die Familie Schumacher: Ganz ohne Vertrauen geht es auch nicht.“

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