Olympia 2024: Michael Jung holt zweite Gold-Medaille für ...

Seine Faust ballte Michael Jung verzögert, sein erster Blick nach dem letzten Sprung galt der Anzeigetafel, in deren Hintergrund das Schloss von Versailles in der Nachmittagssonne prangte. Blinkte da nicht doch noch ein Zeit-Strafpunkt auf?

Michael Jung - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Nein, nur die Nummer eins stand neben seinem Namen und dem seines Pferdes Chipmunk. Sie zeigte an: Michael Jung ist zum dritten Mal Einzel-Olympiasieger im Vielseitigkeitsreiten. Das hat vor ihm noch kein anderer in seiner Disziplin geschafft. Nachdem er sich seines Sieges sicher war, lachte er und klopfte seinem Pferd den Hals, so wie er es auch 2012 in London und 2016 in Rio getan hatte.

Unter Druck die Nerven behalten

Damals trug ihn Sam, das erfolgreichste Vielseitigkeitspferd der Welt, durch den Parcours. Vor den Toren von Paris krönte Jung nun seine gemeinsame Karriere mit dem Wallach Chipmunk im zweiten Anlauf, nachdem es in Tokio vor drei Jahren nicht geklappt hatte.

Doch jetzt – alles vergessen, was damals war. Ein Sicherheitsmechanismus war an einem der Geländehindernisse ausgelöst worden, als Chipmunk es beim Überwinden leicht gestreift hatte. Elf Strafpunkte gab es dafür, die alle Medaillenhoffnungen zunichtegemacht hatten.

In Paris tat Michael Jung wieder einmal das, was er am besten kann: unter größtem Druck die Nerven behalten und reiten, mit aller Ruhe. Wie groß die Anspannung war, ließ seine erste Reaktion im ARD-Interview erahnen: „Ich habe wacklige Knie.“

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Als letzte von 25 Startern betraten Jung und Chipmunk den Parcours. Die Medaillenkandidaten vor ihnen, der Australier Christopher Burton mit Shadow Man und die Britin Laura Collett mit London, hatten den finalen Parcours zuvor fehlerfrei absolviert. Burton wurde Zweiter, Collett Dritte. „Ich habe dreimal auf die Tafel gucken müssen, ob das tatsächlich stimmt“, sagte Jung, der an diesem Mittwoch 42 Jahre alt wird, nach seinem Sieg. Und: „Ich bin überglücklich, das war eine gigantische Woche.“

Michael Jung - Figure 2
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bereits am Samstag waren Jung und Chipmunk mit persönlicher Bestleistung in der Teildisziplin Dressur in den Wettkampf gestartet (17.8 Minuspunkte). Nur Laura Collett und London waren noch etwas besser gewesen, mit 17.5 Minuspunkten hatten sie einen neuen olympischen Rekord aufgestellt. Doch der famoseste Tag des Olympiasiegers folgte am Sonntag, als er mit Chipmunk den gut fünf Kilometer langen Geländeparcours quer durch den Schlosspark von Versailles als Bester absolvierte.

„Hart für jeden“

Nur kurz nachdem Mannschaftskamerad Christoph Wahler nach einem Missverständnis seines Pferdes Carjatan an einem der schwierigsten Hindernisse des Kurses aus dem Sattel gestürzt war. Die Chancen auf eine Mannschaftsmedaille waren damit zunichte, doch Jung konnte unbelastet in die zweite Teilprüfung starten: „Ich wusste, dass der Druck vom Team weg ist, und bin entspannter losgeritten“, berichtete er später.

Für seinen Teamkameraden hatte er noch tröstende Worte übrig: „Bei Olympia zu sein ist das Größte, ein Traum. Natürlich will man da eine tolle Leistung abliefern. Bei mir ging’s auch schon mal daneben. Das ist so im Sport, aber es ist bitter und hart für jeden.“

Die deutsche Mannschaft war damit auch Leidtragende des 2021 eingeführten neuen Olympia-Reglements. In Rio 2016 hatten noch vier Paare pro Nation reiten dürfen, das schlechteste Ergebnis wurde als „Streichergebnis“ gewertet und zählte nicht für das Mannschaftsresultat. Um mehr Nationen die Chance zu geben, Athleten zu den Reit-Wettkämpfen zu schicken, reduzierte der Weltreiterverband die Zahl der Starter pro Team auf drei – und schaffte das Streichergebnis trotz des Protests vieler Reiter ab.

Die guten Ergebnisse von Jung und Julia Krajewski, die mit dem Pferd Nickel letztlich Elfte im Einzel wurde, konnten nichts mehr daran ändern, dass Deutschland in Versailles Platz 14 von 16 Mannschaften belegte. Das britische Team wurde nach seinem Triumph in Tokio abermals Olympiasieger, zum fünften Mal insgesamt, so oft wie noch keine andere Nation.

„Ich bin meinem Pferd so dankbar“: Michael Jungdpa

Jung musste in Versailles noch einen zwischenzeitlichen Rückschlag hinnehmen. Das olympische Reglement sieht, anders als bei Welt- und Europameisterschaften, zwei Umläufe im abschließenden Parcoursspringen vor, damit die Athleten nicht für eine Leistung zwei Medaillen – eine im Team und eine im Einzel – gewinnen können.

Im ersten Umlauf unterlief Jung und Chipmunk ein Fehler, eine Stange fiel zu Boden, was ihnen vier zusätzliche Strafpunkte einbrachte. Ihr Vorsprung vor Burton schmolz auf 0,6 Punkte. Doch die Führung hielt bis zum letzten Umlauf.

Für Jung eine ungewohnte Situation bei Olympischen Spielen. In London 2012 siegte er von Rang fünf kommend, in Rio 2016 hatte er nach Dressur und Gelände auf Platz zwei gelegen. Jetzt, in Versailles, habe Chipmunk auf der entscheidenden Linie im Parcours alles richtig gemacht: „Ich bin meinem Pferd so dankbar. Ich habe wieder nicht alles richtig gut erwischt, aber er hat mich gerettet“, sagte Jung.

Seine Goldmedaille ist die 96. für die deutschen Reiter bei Olympischen Spielen. Geht es nach den Wünschen des deutschen Verbandes, sollen in dieser Woche noch vier dazukommen, um die 100. zu erreichen.

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