Nach Einigung: Widerstand gegen Mercosur programmiert

5 Tage vor

Nach Einigung

Noch sind viele Fragen offen, auch wenn sich die EU-Kommission am Freitag grundsätzlich mit dem Wirtschaftsverband Mercosur über das umstrittene Freihandelsabkommen geeinigt hat. Doch die Gegenwehr ist bereits groß. Vor allem Europas Landwirtschaft, die einen heftigen Preiskampf befürchtet, will gegen den Deal mobilmachen.

Mercosur - Figure 1
Foto ORF

Online seit heute, 19.03 Uhr

Als „historischen Meilenstein“ bewertete EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Freitag das Handelsabkommen. Zuvor hatte sie gemeinsam mit den Verhandlern aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay eine grundsätzliche Verständigung zum gemeinsamen Freihandel erzielt.

Mit dem Deal soll eine riesige Freihandelszone entstehen. Derzeit ist der Handel der EU mit den vier Mercosur-Staaten noch begrenzt. Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen, die Mercosur-Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern.

Das Abkommen hatte zuvor über rund 25 Jahre Dauerschleifen an Verhandlungen absolviert, nun aber sollte es ganz schnell gehen. Der Zeitpunkt schien günstig für von der Leyen: Der größte Gegner innerhalb der EU, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, ist derzeit politisch stark geschwächt.

Protest für Montag angekündigt

In Frankreich reagierte man pikiert auf den Abschluss der Grundsatzvereinbarung in Uruguay: „Was in Montevideo passiert, ist keine Unterzeichnung des Abkommens, sondern lediglich der politische Abschluss von Verhandlungen“, erklärte die Außenhandelsministerin Sophie Primas. „Dieser verpflichtet nur die Kommission, nicht die Mitgliedsstaaten.“

Die europäische Agrarlobby COPA-COGECA, die nach eigenen Angaben über 22 Millionen europäische Landwirtinnen und Landwirte repräsentiert, bekräftigte am Freitag ihre Ablehnung und rief schon für Montag zu Protestaktionen in Brüssel auf. Sie fürchten, dass die EU nun mit billigem und unter EU-Standards verarbeitetem Fleisch überschwemmt wird.

Opfer „am Altar des Freihandels“

Auch in Österreich sind die Bäuerinnen und Bauern alarmiert. Der Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, Ferdinand Lembacher, sagte im Ö1-Mittagsjournal, am meisten störe es ihn, wenn die EU-Kommission in Europa immer strengere Standards mit einer „unglaublichen Lawine an Bürokratie“ vorschreibe und zugleich erkläre, dass das bei Importen keine Rolle spiele. Auch der Niederösterreichische ÖVP-Bauernbund zeigte sich „kampfbereit“.

Ebenso ablehnend war die Haltung von globalisierungskritischen und Umwelt-NGOs. Das Mandat stamme aus dem vergangenen Jahrtausend und ignoriere die Klimakrise und die Klimaziele der EU, so ATTAC. Greenpeace forderte von der nächsten Regierung, sich gegen Mercosur zu positionieren: „Weder der Amazonas noch unsere Bäuerinnen und Bauern dürfen am Altar des Freihandels geopfert werden.“

Ministerien warten auf Text

Österreichs ablehnende Haltung ist durch eine Vetofestlegung im Nationalrat seit 2019 eingefroren. „Derzeit liegen seitens der EU-Kommission noch keine schriftlichen Informationen über die Inhalte vor. Diese gilt es abzuwarten, um eine seriöse Bewertung vornehmen zu können“, so Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Freitag in einer Aussendung. Auch das Wirtschaftsministerium wollte erst den Text abwarten, bevor man eine Einschätzung abgebe.

Heimische Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter zeigten sich kritisch. Valentin Wedl, Leiter der Abteilung EU-Politik der Arbeiterkammer (AK), schrieb von „einem schwarzen Tag für das Klima und die Beschäftigten“. Ähnlich die Ökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Angela Pfister: „Die Einigung bringt zwar Gewinne für wenige, aber die Umwelt und vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden damit verlieren.“

Wirtschaft freut sich

Die Industrie hingegen freute sich über das Grundsatzabkommen. Igor Sekardi von der Industriellenvereinigung (IV) sagte im Ö1-Mittagsjournal, es sei aus Sicht der Industrie „absolut der richtige Zeitpunkt, um das Abkommen abzuschließen, aus wirtschaftlichen, ökologischen und auch geopolitischen Gründen“. IV-Präsident Georg Knill sah einen „historischen Schritt für die heimische exportorientierte Industrie“.

Auch der Generalsekretär der Wirtschaftskammer (WKO), Karlheinz Kopf, sagte, das Abkommen bringe beiden Seiten „weitreichende Vorteile“. Harald Oberhofer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) ging davon aus, dass sich durch das Abkommen die Wirtschaftsentwicklung in der Industrie verbessert, Jobs gesichert werden und das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird. Auch Konsumentinnen und Konsumenten würden profitieren.

Alle im Parlament dagegen – nur NEOS dafür

Die politischen Parteien stellten sich mit Ausnahme von NEOS erneut gegen den Deal. Die FPÖ sah einen „Verrat der ÖVP“ an den heimischen Bauern, die SPÖ sorgte sich um Arbeitnehmerrechte. Grünen-Chef Werner Kogler sagte, es mache keinen Sinn, landwirtschaftliche Produkte über den Globus zu schicken „bei einer großen Gefahr, dass der Regenwald noch mehr zerstört“ werde. Anna Stürgkh, NEOS-Europaabgeordnete, meinte hingegen: „Dieses Abkommen schafft die Grundlage für eine starke wirtschaftliche Partnerschaft und fördert gleichzeitig die Anwendung strenger europäischer Umweltstandards im Handel mit Südamerika“.

Abkommen könnte gesplittet werden

Unstrittig ist jedenfalls in den öffentlichen Äußerungen, dass der Beschluss des Nationalrats von 2019, der die Regierung zu einer Ablehnung des Abkommens verpflichtet, aufrecht ist. Neben Österreich und Frankreich sind derzeit auch Italien und Polen gegen das Abkommen. Spanien und Deutschland sind hingegen dafür.

Berlin setzt dabei darauf, dass der handelspolitische Teil im Rat der Mitgliedsstaaten per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden könnte. Ein Vetorecht hätten Mitgliedsstaaten dann nur noch bei den geplanten Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation. Ob eine solche Lösung rechtlich möglich ist, ist derzeit ebenso offen wie der genaue Inhalt des Handelsdeals.

Hohe Hürden bleiben

Die Fronten scheinen verhärtet, in Paris hagelt es Kritik an Brüssel. Von der Leyen fährt nun wegen interner „schlechter Kommunikation“ nicht einmal am Wochenende nach Paris, wo die Kathedrale Notre-Dame pompös wiedereröffnet wird. Macron versucht derweil hinter den Kulissen, eine Sperrminorität zu organisieren, um einen Beschluss zu verhindern. Dafür wären vier Mitgliedsländer nötig, die mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Das könnte Paris mit Hilfe von Italien, Polen und Österreich gelingen.

Bevor die EU-Kommission eine Entscheidung darüber fällt, ob der Deal als Ganzes oder gesplittet zur Abstimmung vorgelegt wird, müssen die Texte für das Abkommen erst noch juristisch geprüft und übersetzt werden. Auch das EU-Parlament müsste das Abkommen ratifizieren. Eine Entscheidung wird frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erwartet.

Dass diese Hürden derzeit noch sehr hoch sind, dürfte auch von der Leyen klar sein. Bei der kurzen Pressekonferenz am Freitag in Montevideo blieben viele Fragen offen, denn es durften keine gestellt werden. Ans Mikrofon traten nur von der Leyen und Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou. Die Präsidenten von Brasilien, Argentinien und Paraguay saßen schweigend da. „Das allein spricht Bände“, sagte eine Insider gegenüber Reuters.

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