Handelsabkommen: Tag der Entscheidung für Mercosur-Deal
Handelsabkommen
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist nach Uruguay gereist, um das Handelsabkommen mit dem Wirtschaftsverband Mercosur nun rasch und gegen lauten Widerstand unter Dach und Fach zu bringen. Mit einem Verfahrenskniff will sie die Vetomöglichkeit für kritische Länder wie Frankreich und Österreich aushebeln. Ob das rechtlich möglich ist, ist derzeit ebenso offen wie der genaue Inhalt des Handelsdeals.
Online seit heute, 12.06 Uhr (Update: 12.55 Uhr)
Noch am Freitag könnte ein Grundsatzabkommen mit den Mercosur-Staaten verkündet werden. Am Donnerstag hatte von der Leyen in Uruguays Hauptstadt Montevideo gesagt, die „Ziellinie“ sei „in Sicht“. Nun sollen die Verhandlungen mit Uruguay, Brasilien, Argentinien und Paraguay vorerst abgeschlossen werden.
Für politische Vereinbarungen mit den Mercosur-Staaten ist Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedsländern sowie eine Ratifizierung in den nationalen Parlamenten nötig. Für den reinen Handelsteil reicht hingegen eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat, also unter den Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten.
Trumps Zölle ante portasIn der EU sind bei Weitem nicht alle Länder für den Handelsdeal, mit dem eine Freihandelszone mit über 700 Millionen Menschen entstehen soll. Derzeit ist der Handel der EU mit den vier Mercosur-Staaten noch begrenzt.
Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen, die Mercosur-Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern. Nicht zuletzt die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angedrohten weitreichenden Zölle sind wohl ein zusätzlicher Faktor für einen möglichst schnellen Abschluss des Deals.
Verhandlungen seit 25 JahrenVerhandelt wird das Abkommen seit mittlerweile 25 Jahren, der Abschluss scheiterte bisher jedoch, und auch im Jahr 2024 gibt es gewichtige Gegenstimmen. So äußerten sich zuletzt Polen und Italien ablehnend, auch Österreichs zuständiger ÖVP-Minister Martin Kocher ist durch einen Beschluss von 2019 zumindest vorerst noch zur Ablehnung verpflichtet.
Innerhalb der EU ist Frankreich der lautstärkste Kritiker eines Deals. Nicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auch der gestürzte Premier Michel Barnier und die rechtspopulistische Partei Rassemblement National gelten als Mercosur-Kritiker. Doch Macron ist wegen der innenpolitischen Krise politisch stark geschwächt, während von der Leyen aus der EU-Wahl gestärkt hervorging.
Sollte sich Brüssel über Paris hinwegsetzen, wird das wohl Kritik an der EU befeuern. Die nicht weniger wichtigen EU-Staaten Spanien und Deutschland sind hingegen für das Abkommen. Berlin drängte am Freitag auch noch einmal auf einen Abschluss. Man werde sich einem „EU only“-Abkommen „nicht verschließen, wenn sich abzeichnet, dass ein Abschluss anders nicht möglich ist“, sagte eine Regierungssprecherin. Damit ist nur eine Ratifizierung auf EU-Ebene, nicht aber durch die 27 Mitgliedsstaaten nötig.
Das momentane Chaos in Frankreich könnte dazu führen, dass die EU schon am Freitag den seit zwei Jahrzehnten diskutierten und umstrittenen Mercosur-Handelsdeal abschließt. ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter war Gast im Studio, sie sprach über die Bedeutung des Pakts und analysierte den Stand der Dinge in den Verhandlungen.
Kritiker befürchten, dass Europas Landwirtschaft künftig in einen Preiskampf gezwungen und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird.
Mercosur wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gegründet. Venezuela trat 2012 bei, seine Mitgliedschaft wurde 2017 ausgesetzt. Bolivien unterzeichnete ein Beitrittsprotokoll. Die Verhandlungen zwischen EU und Mercosur begannen 1999. Eine politische Einigung wurde in der EU nicht umgesetzt.
Die EU-Kommission verweist hingegen unter anderem darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU schätzungsweise jährlich mehrere Milliarden Euro an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte. Eine Existenzgefährdung für europäische Bauern sieht die EU nicht.
In Österreich ist die Sorge hingegen sehr wohl vorhanden. Dementsprechend „kampfbereit“ zeigte sich am Freitag der ÖVP-Bauernbund. Auch SPÖ, FPÖ, Grüne, die Landwirtschaftskammer, der Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammer zeigten sich erneut kritisch, ebenso globalisierungskritische und Umweltschutz-NGOs wie ATTAC und Greenpeace.
Die vom ÖVP-Wirtschaftsbund beherrschte Wirtschaftskammer sowie die Industriellenvereinigung verwiesen hingegen auf die Chancen durch den Deal. NEOS ist dafür.
Abwarten im MinisteriumDas Wirtschaftsministerium zeigte sich abwartend: „Erst wenn eine politische Einigung der Europäischen Kommission mit den Mercosur-Staaten erfolgt ist und den Mitgliedsstaaten ein Vertragstext vorgelegt wurde, kann eine handelspolitische Beurteilung des Abkommensinhalts und aller damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen vorgenommen werden“, hieß es am Donnerstag. Wichtig sei, dass die Mercosur-Staaten ihren Verpflichtungen im Bereich Umweltschutz nachkommen. Außerdem dürfe es zu keinen Verzerrungen auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte in der EU durch das Abkommen kommen.
Auch wenn am Freitag ein Deal zustande kommt, wird die Umsetzung dauern. Es muss der Text noch von Juristen bereinigt werden. Dann muss der Vertrag aus europäischer Sicht noch in alle EU-Sprachen übersetzt und anschließend vom EU-Rat beschlossen werden. Der Prozess wird einige Monate beanspruchen.